Die Chroniken des Südviertels. Rimantas Kmita. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Rimantas Kmita
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Контркультура
Год издания: 0
isbn: 9783963112973
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würde ich mir schon bald ne Lederjacke leisten können.

      Was Besseres als ne Lederjacke gibts nicht. Oder ist vielleicht jemand anderer Meinung. Ne Lederjacke ist solide. Da sieht man, dass du seriös bist. Das kennt man doch ausm Film: Agenten, Detektive und ähnliche Typen tragen stets ne Lederjacke. Oder auch eine aus Kunstleder. Die kann man hinstellen und sie steht. Aber beim Kunstleder muss man dauernd auf der Hut sein, dass es nicht bricht oder Risse kriegt. Und was gibts noch für Jacken? Raschelparka? Und die mit den Daunen, na die für die Tundra, aber die sind schon fast aus der Mode gekommen. Konkurrenz machen den Lederjacken allenfalls noch die von den Chicago Bulls oder den Los Angeles Kings. Die gibts jetzt bei uns, sind n Modetrend. Lederjacken aber sind zeitlos. Und die gefallen mir. Die aus echtem Leder kannste einfach nicht abtragen, es sei denn, irgendn Idiot zerschnippelt sie dir. Und das ist die einzige Jacke, die ihren Duft hat, sie riecht nach Wildnis, und davon wird man ganz high. Wenn du weißt, dass du kein Kunstleder, sondern echtes auf der Haut trägst, fühlste dich wie n Jäger. Stimmt, die sind meist aus Schweinsleder, aber wisst ihr – man sagt doch, das Schwein ist das klügste Tier, also kein Grund zum Wiehern. Es lacht ja auch keiner, es laufen doch alle mit Schweinsleder rum, denn für was Besseres fehlt ihnen die Kohle. Und wenn du sie nicht länger befingerst, dann merkste auch keinen Unterschied.

      Am folgenden Samstag im Briefmarkensammlerklub dachten wir, das sind komische Vögel hier, aber als wir auch ne Woche später wieder nix losbrachten, dämmerte uns, dass dieser Klub schon mit unseren Plakaten versorgt war, also blieb uns nix anderes übrig, als in die oberste Liga zu wechseln. Wir warfen n Stück Karton am Eingang zum Markt aufn Boden und breiteten die Plakate darauf aus, damit sie nicht nass wurden. Wir hatten keinen Tisch oder was in der Art. Aller Anfang ist schwer, die Leute kamen, fragten, wie teuer, und verdufteten wieder. Und wenn sich bei dir keine Traube bildet, dann gehen alle an dir vorüber, als wärste gar nicht da. Wenn sich aber Grüppchen versammeln, dann kommen immer mehr Gaffer dazu – wie ne Lawine. Offenbar passten die Preise dem Publikum nicht – in drei Stunden wurden wir ganze zwei Plakate los. Aber wir mussten froh sein, dass uns niemand anmachte. Wahrscheinlich dachten sie sich, da stehen nur n paar Milchbubis rum, die sind ganz durchn Wind, die sind schnell wieder weg. Aber die Typen neben uns, die gehörten zu den alten Hasen, wann immer ich zum Markt ging, sah ich sie. Die hätten zu uns sagen können: Packt eure Fetzen zusammen und dann macht die Fliege. Obwohl sie es waren, die Fetzen vertickten, Plakätchen so groß wie zwei Heftseiten, die kosteten natürlich weniger, aber alles nur Mist. Und doch drängten sich die Leute bei ihnen, weil sie ihre Plakate mit abfotografierten nackten Weibern vollgekleistert hatten.

      Ich überließ Minde meine Plakate und latschte zu ihrem Tisch, um ihnen über die Schulter zu gucken und nachzusehen, was die dort aus den Taschen hervorzogen. Arbeiten von Meisterfotografen – mehrmals abgelichtete Karten, für die sie das Mehrfache vom Preis unserer Plakate verlangten. Aber ich hätte nie im Leben gefragt, ob ich die Karten in die Hände nehmen darf, und von Kaufen war schon gar keine Rede – wo hätte ich die denn vor meinen Alten verstecken sollen. Alle redeten nur andauernd von Porno, aber irgendwie hatte ich noch nie was in der Art gesehen, niemand hatte mich bisher zu sich eingeladen, um gemeinsam n ausgeliehenes Video reinzuziehen, deshalb glaubte ich, dass hier alle den Anglern glichen, die andauernd mit ihren Fängen angeben, die aber noch nie jemand gesehen hatte. Oder dann hatte ich einfach kein Glück gehabt. Wenn man ne nackte Tusse live sehen wollte, dann musste man am Wochenende oder so zu den Studis ins Wohnheim, wenn dort n paar von ihnen duschten, und sich reinschleichen. Also, einfach n Unglücksrabe. Und was am interessantesten war – die Frauen auf diesen Karten schauten dir zwar direkt in die Augen und man glaubte fast, sie würden dich mitm Zeigefinger zu sich winken, aber sie sahen scheiße und irgendwie falsch aus. Ich konnte nicht glauben, dass sie echt waren. Was heißt hier echt, selbst die, die spät abends auf RTL oder SAT1 übern Bildschirm flimmerten, auch die waren echter.

      So oder so, während ich diese Karten anstarrte, wurde mir eins klar: Das Rumfummeln mit den Mädchen aus meiner Klasse hinter dem Schrank gehörte der Vergangenheit an. Auch wenn mich der Gedanke daran ganz sentimental machte. Es gab ne Zeit, da kneteten wir einander dort in jeder Pause durch, jeweils etwa fünf Pärchen. Und in der nächsten Pause Schichtwechsel. Wir lernten die Besonderheiten der weiblichen Unterwäsche kennen, trieben den Blutkreislauf in die Höhe und trainierten gleichzeitig die Muckis, denn alle Mädchen zappelten wie die Fische. Auch sie mussten ja trainieren, nämlich wie man den Typen entkam, die sie umklammerten, auf jede erdenkliche Weise zu küssen versuchten und dabei auch noch nen Haufen Unsinn laberten. Das war ne merkwürdige Abart des Ringens mit eigenen Regeln und eigenem Punktesystem. Die Kerle vergaben sich in Gedanken Punkte, wenn ihre ganze Hand auf die Brust, aufn Po oder irgendwo unter die Kleider auf die Haut wanderte, und natürlich auch für nen Kuss. Das Punktesystem der Mädchen begriff ich dagegen nur im Ansatz. Klar war, dass es ganz viele Punkte dafür gab, wenn sie sich befreiten und hinter dem Schrank hervor ins Klassenzimmer entkamen. Andere Punkte gab es je nachdem, was für ne Strategie und was fürn Ziel die Tusse verfolgte: die Schüchterne zu spielen und sich dann doch befummeln zu lassen, sich zu sträuben und sich dann rauszuwinden oder sich ganz einfach möglichst schnell zu befreien. Da gab es dann Punkte für die Zeit, die sie den Typen hinhielt, die falschen Hoffnungen, die Beherrschung seiner Emotionen und die nüchterne Einschätzung der Lage.

      Und beim Judo in der Berufsschule um die Ecke sagte der Trainer manchmal, ich solle mit den älteren Mädchen trainieren. Damit sie sich nicht nur gegenseitig, sondern auch mit den Jungs ausprobierten. Da schloss ich zum ersten Mal Bekanntschaft mit dem Oberkörper der Mädels. Ohne Ringkampf kam man da nicht ran, das war klar. Wir packten einander also am Kimono, der Griff fest genug, damit ich sie auch ganz sicher nicht losließ, und zack, da flog ich auch schon über ihren Hintern und dann legte sie sich auf mich – ich bekam kaum Luft, aber jede Sekunde wurde mir wärmer, und ich wünschte sehnlichst, sich hätte mich für immer so fixiert. Das war natürlich ne ganz interessante Sache. Sollte ich sie mit aller Kraft an den Titten packen und auf die Tatami werfen? Aber du weißt, wenn du oben bist, kontrollierste die Lage und die Zeit, die du damit verbringst, diese ganze wabbelnde Masse in Schach zu halten, die dir so fremd ist und die unterm Kimono auch noch n weißes T-Shirt in Form hält. Deshalb führte uns der Durst nach Erkenntnis auf direktem Weg zum Ziel und es gab keine Zweifel, dass wir das Gute vor uns hatten.

      Sowohl die Judokämpferinnen als auch die coolen Mädchen aus unserer Klasse sahen in uns nur Sparringpartner. Sie trainierten mit uns, neckten uns, aber für Ernsteres waren die älteren Kerle zuständig. Von uns Jungs hatte keiner ne Freundin. Wir hatten so was von keine Freundin, dass wir nicht einmal darüber laberten. Höchste Zeit für ne Lösung des Problems, kein Grund, es auf die lange Bank zu schieben. Das Training war okay, der Markt auch, aber ohne Freundin biste nun mal einfach kein richtiger Kerl. Ohne Tussi biste n Kind, auch wenn dein Bart schon sprießt.

      So war das, der Bart spross schon, und wir fummelten noch immer nur rum, begnügten uns mit Zungenküssen und so was. Als ich aufm Markt diese Karten anstarrte, kapierte ich, dass ich in meinem Leben was noch nicht geschnallt hatte. Ohne das es einfach nicht ging. Obwohl ich, wenn ich ehrlich war, auch n bisschen Schiss hatte. Aus einem Buch mit dem Titel Im Namen der Liebe, das meine Eltern zum Schein versteckt aufbewahrten, aber so, dass ich auch ohne Absicht drüberstolperte, hatte ich gelernt, dass die Sache ganz schwierig und ernst – und heilig war. Zwar wurde dort das Kommunistische Manifest zitiert, aber sie war heilig, auch ohne Gott. Überhaupt nicht so wie diese Karten. Dort sah alles, wenn nicht einfach, so doch verlockend aus. Und im Buch stand geschrieben, dass n zu früh verführtes Mädchen sich dem Einfluss zufälliger Männerbekanntschaften hingeben könnte und dass n zu häufiger Wechsel der Männer womöglich zu Gebärmutterkrebs führt. Aber ich hatte keine Gebärmutter und in meinem Kopf schwirrte der Gedanke rum, dass ich diese Burg stürmen müsse. Genau, wie n Ritter im Mittelalter. Und wenn mans genauer betrachtete, dann hatten wir was von diesen Rittern. Mutig, stark, gewandt – nur die Mädchen eben in den Träumen und nicht im Bett.

      So ging ich denn mit den Plakaten in den Händen und dem Kartenstapel im Kopf nach Hause. Da sah ich aufm Hof Edita. Sie war offenbar auch aufm Heimweg, aber als sie mich sah, hielt sie an. Ich wusste, dass ich was sagen musste.

      »Hallo!«, sagte ich.

      »Hallo!«

      »Weißte