Die Chroniken des Südviertels. Rimantas Kmita. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Rimantas Kmita
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Контркультура
Год издания: 0
isbn: 9783963112973
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nicht eingesackt haben, wenn man dir keine gefälschten Dollars untergeschoben hat, wenns nicht so scheißkalt war, dass du dir Schnaps kaufen und ihn dir in die Kehle kippen musstest, wenn dus mitm Spiritus Marke Royal zurück über die Grenze geschafft und ihn hier ohne Stunk zu kriegen vertickt hast, dann ist das n gutes Business. Will heißen, du hast zehn oder fünfzehn Bucks in der Tasche.

      Aber an jenem Tag machten wir es anders.

      Wir gingen durch ne Unterführung und überlegten, was wir mit diesen lettischen Rubeln machen sollten: Zusammenlegen und Dollars, möglichst in großen Scheinen, kaufen – dafür bekam man nämlich nen besseren Kurs, dann kostete der Dollar vielleicht 180 lettische Rubel, und zurück in Litauen konnte man die für 400 verkaufen – oder Spiritus Royal kaufen, aber den musste man loswerden und, noch wichtiger, sie an den Heinis vom litauischen Zoll vorbeischmuggeln – die Letten kontrollierten uns ja bei der Rückkehr nicht mehr. Aber das mit den Litauern war easy – du drückst ihnen einen oder zwei Dollar in die Hand und basta. Aber in dieser Unterführung verkaufte jemand Plakate, und so blieben wir mit offenem Mund wie angewurzelt stehen: Stallone, Van Damme, Arnie ausm zweiten Terminator, Chuck Norris, Sharon Stone, 2 Unlimited, Madonna, Nirvana … und so weiter und so fort. Plakate gab es auch in Šiauliai, aber die hier waren gigantisch. Fast in Echtgröße. Und die Farben so, dass wir glaubten, sie würden uns gleich ansprechen. Noch echter als in der Glotze. Im Vergleich zu diesen Plakaten wirkten die TV-Farben so, als würde man durch n Fenster voller Vogelscheiße schauen. Und was für Plakate wurden schon in Šiauliai verkauft? Die unterschieden sich kaum von den kleinen Postern in der Bravo, Popcorn oder anderen Magazinen. Aber auch die fanden ihre Käufer, denn noch vor gar nicht allzu langer Zeit gab es nur Plakate aus der Jaunimo gretos oder, noch besser, abfotografierte Bilder von Bruce Lee oder Van Damme. Ungefähr so groß wie ne Schulheftseite. Da gab es nix zu überlegen. Wir schauten einander an, alles klar, die würden weggehen wie warme Semmeln.

      Wir fühlten uns, als hätten wir Amerika entdeckt. Kannste dir das Gefühl vorstellen, wenn du was aufspürst, was niemand zuvor hat finden können – du bist der Allererste. Du wirst nicht nur Kohle machen, sondern auch Respekt ernten, die anderen werden dich fragen, wo du das herhast, wie viel es gekostet hat und vieles mehr. Und dann dämmert dir, dass du nicht einfach nur Gewinne einfährst, nein, du hast sie verdient, weil du so n geiler Typ bist, dass du was gefunden und gerafft hast, was die vor dir entweder übersehen oder dessen Wert nicht kapiert haben. Mit einem Wort, es gibt nicht viele Situationen, in denen du dich so toll fühlen kannst.

      Natürlich würde der Gewinn nicht gewaltig sein – das Doppelte, Maximum das Dreifache. Aber es macht doch viel mehr Spaß, was von Herzen zu tun und nicht nur wegen der Kohle. Knete ist gut, aber wenn du von dem, waste tust, auch noch high wirst, dann umso besser, dann kriegste beim Raushauen der Ware keine Langeweile, hast genug Fantasie, um sie schnell loszuwerden, und Überzeugungskraft, dass die anderen glauben, dass ihre Bude ohne deine Plakate wie Onkel Toms Hütte aussieht.

      Und so fuhren wir voll relaxed nach Hause – an der Grenze würde uns niemand doof anmachen. Wir sahen die anderen n wenig von oben herab an, etwa so: Zittert ihr ruhig wie Espenlaub, wenn ihr zu faul seid, euren Grips anzustrengen, und einfach der Herde folgt. Obwohl, diese Bande war eigentlich ganz sympathisch. Wie ne große Familie, denn einer war wie der andere und alle atmeten dieselbe Luft. Alle strickten, nähten, fuhren rum, tauschten, kauften und verkauften. Und wie in jeder Familie wollte jeder cooler als der andere sein. Aber Konkurrenz ist gesund. Und wie bei Familientreffen erzählten auch in diesem Zug alle dieselben Geschichten: von der Fahrt über die Grenze, wer was und für wie viel versilbert und so. Wir fuhren mitm Zug – wie viel konnte man da schon in die eine und andere Richtung mitschleppen –, aber es gab auch welche, die nahmen das Ganze viel ernster. Sie packten ihr Auto randvoll mit Waren und baten nen Treckerfahrer, es über die Grenze zu schleppen, wo es nur lauter Gestrüpp und weit und breit keine Zöllner gab. Die Leute an der Grenze arbeiteten als Spitzel und meldeten, ob die Luft rein war, und dann sammelten sie die im Gebüsch versteckten Waren von der lettischen Seite wieder auf. Noch andere schmuggelten zu Pferd, die sprangen über die Meliorationskanäle – ne Verfolgung war sinnlos.

      Die konnten sie nicht fassen. Wie ich beim Anblick der Zugbegleiterin einfach nicht fassen konnte, warum jetzt die Zeitungen voll waren von Inseraten mit ein und demselben Text: »Nur unsere entzückendsten, allerliebsten Guides und Begleiterinnen bringen Sie wieder zu Laune und sind immer und überall bei Ihnen.« Eines dieser Inserate hatte auch ne Zeichnung dabei – zwei Silhouetten, ne männliche und ne weibliche. Die Frau beim Typen eingehakt und viel größer. Ne »Touri-Führerin« also, sie weiß, wos langgeht, und zeigt den Opas, dass sie Herrin der Lage ist? Riesenstuss. Und was hatte das mit den Zugbegleiterinnen zu tun?

      Aber ich zerbrach mir nicht lange über solchen Unsinn den Kopf, diesmal ging es fast ohne Generve. Šiauliai kam immer näher. Die Stadt der Fahrräder, sagte man. Vielleicht war sie das ja mal. Jetzt kostete der Sprit zwar fast so viel wie Gold, aber die Zahl der Drahtesel nahm nicht zu. Die neuen, von den Deutschen hier produzierten Fahrräder, landeten alle im Ausland, weil ihre Preise uns zum Lachen bringen – für das Geld konnte man sich auch ne Karre kaufen. Die guten Radrennfahrer kamen aus Klaipėda, aus Panevėžys oder woher auch immer, nur nicht aus Šiauliai. Es gab auch welche, die nannten Šiauliai die Stadt der Sonne. Die könnte hier ruhig öfters scheinen. Aber nüchtern betrachtet war Šiauliai die Stadt der Strickenden, Spekulanten, des Rugby und der Hockey-Spielerinnen. Und noch mehr der Van Dammes und Schwarzeneggers, ne Muckibude an jeder Ecke und in jeder davon hingen Plakate der beiden. Und wenn man da rauskam, stellte man sich vor, in so nem Film die Hauptrolle zu spielen.

      Wir erreichen den Bahnhof. Augen auf, Stallones und Van Dammes, Šiauliai! Genau hier sollten eure Filme spielen. Wisst ihr, ich fühle mich so, als hätte ich euch heimgebracht. Die Ohren gespitzt! Šiauliai. Hört ihrs? Nein? Noch mal – Shaolin! Seht ihr, hier sind die Leute wie ihr, fühlt euch wie zu Hause!

      2

      Wir beschlossen, die Plakate erst mal bei unseren Bekannten loszuschlagen. Dann würden wir schon sehen, wie die drauf reagieren, wer wie viel bezahlen will, und was sie ganz allgemein dazu sagen. Den Preis schraubten wir schamlos hoch, aber niemand machte n Drama draus. Keiner hatte je so n Plakat gesehen und schon gar keins zu Hause hängen. Aber stell dir mal vor: Du kommst ins Zimmer, und da hängt über die halbe Wand Van Damme. N ganz anderes Level als ne Wand voller Poster von der Größe einer Heftseite. Mein Cousin, mit dem wir die Muckis trainierten, nahm gleich n paar. Da leuchtete seine Muckibude sofort, die Wände nicht mehr zugepflastert, sondern alles schön sauber, und die ganze Wand einfach allererste Sahne. Und dann checkste, dass du dich hier nicht wegen der Tussen abplagst, sondern weil du allen zeigen willst, wer hier der Obermacker ist, und auch weil du eigentlich gern selbst mal auf so nem Plakat landen würdest.

      Die Nachricht verbreitete sich wie n Lauffeuer, andere sahen welche bei ihren Kumpels. Die erste Lieferung war schon fast ausverkauft, als wir eines Samstags bei den Briefmarkensammlern vorbeischauten. Alle möglichen Abzeichen, Marken, jemand verkaufte alte Zeitschriften, n anderer Flugzeugmodelle, alles voller Ramsch. Da hatten wir mit unserer selbsterklärenden Ware leichtes Spiel – unsere ganzen Restbestände waren im Nu weg, wir kehrten mit den Taschen voller Geld nach Hause zurück, und eines war klar: Kein Grund, sich auszuruhen, ab nach Riga, das Geld bleibt ja vor lauter Freude nicht lange liegen, und wenn das Glücksgefühl weiter anhält, dann sind unsere Taschen schon bald wieder leer.

      Außerdem versprach auch das Horoskop nur Gutes. Ich glaube natürlich nicht daran, aber ich lese es doch. Warum nicht n wenig die Laune aufbessern? Hier schrieb ne gewisse Angelina Zalatoriene was über die, die während der Winterstürme geboren sind: Du bist zur Welt gekommen und die Welt braucht dich, kann ganz einfach nicht ohne dich. Du musst nur leben, dich freuen und auf deiner Welle reiten … Ins Schwarze getroffen. Selbst wenn wir auch ohne Horoskop wussten, dass wir nicht lange fackeln und die Welle reiten sollten. Und da die Sterne mit uns waren, flutschte alles nur so. Wir nahmen keine Ware nach Riga mit, sondern fuhren wie Touristen, strahlten über beide Ohren. N seltsames Gefühl, keine Angst und keinen Grund zum Bibbern zu haben. Wenn jemand uns bat, ne kleine Tasche mit Brot für ihn über die Grenze zu bringen, sagten wir, wir haben unser eigenes und es ist nicht