Aldarúun. Valeria Kardos. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Valeria Kardos
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Контркультура
Год издания: 0
isbn: 9783948397173
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wird im Laufe des Vormittags noch nach Ihnen sehen. Ich bin übrigens Schwester Claudia“, sagt sie lächelnd und schiebt meinen Ärmel hoch, um meinen Blutdruck zu messen.

      „Wie lange liege ich hier schon, Schwester Claudia?“

      Sie schiebt mir den Ärmel wieder herunter. „Heute ist Montag, also seit drei Tagen. Sie haben ziemlich starke Schmerz- und Beruhigungsmittel verabreicht bekommen, somit werden Sie in den nächsten Tagen auch noch viel schlafen.“

      „Verstehe“, murmele ich. „Von wem sind die Blumen?“

      „Von Ihrer Mutter.“

      „Meiner Mutter? Wie hat sie davon erfahren?“

      „Wir haben Ihren Ausweis in Ihrer Handtasche gefunden und die Polizei informiert. Die wiederum hat sie dann benachrichtigt.“

      Polizei? Verdammt! Das ist nicht gut. Keine Ahnung, was ich denen erzählen soll!

      Am liebsten würde ich mir die Decke über den Kopf ziehen.

      Schwester Claudia wechselt die Infusionsflasche aus. „Das ist Kochsalzlösung“, erklärt sie mir, als sie meinen fragenden Blick sieht. „Sie haben viel Blut verloren. Durch einen so hohen Flüssigkeitsverlust kann der Kreislauf versagen. Wir wollten Ihnen Blutkonserven verabreichen, konnten aber die Gruppe nicht bestimmen?!“ Sie schaut mich fragend an. „Sie haben sehr ungewöhnliches Blut, junge Dame!“

      „Ach ja?“ Ich zucke nur mit den Achseln.

      Stirnrunzelnd beendet sie ihre Arbeit. „Die Beamten werden noch einmal im Laufe des Tages vorbeikommen, um Sie zu diesem Hundeangriff zu befragen“, sagt sie. „Ruhen Sie sich schön aus. Wenn Sie etwas benötigen, klingeln Sie einfach. Der Knopf befindet sich links neben Ihrem Bett.“ Sie nickt mir zu und verlässt geschäftig mein Zimmer.

      Nun, da ich wieder alleine bin, muss ich an Liliana, meine Mutter, denken. Als ich geboren wurde, war sie selbst noch fast ein Kind; so kommt es, dass ich eine junge Mutter von gerade mal siebenunddreißig Jahren habe. Von meinem Vater weiß ich bis auf seinen Namen – Hakon – nichts. Er war noch vor meiner Geburt gestorben.

      Das energische Klackern von spitzen Absätzen ist auf dem Gang zu hören.

      Der kleine General ist unterwegs, denke ich grinsend.

      Diesen Titel hat sie Ramona zu verdanken, die es immer sehr amüsant findet, wenn meine Mutter mich in einem manchmal höchst militärischen Tonfall durch die Gegend scheucht.

      Die Tür wird schwungvoll geöffnet und ein apartes, schlankes Persönchen mit kurzen blonden Haaren stürmt herein. Sie trägt ein schickes Twin-Set aus altrosafarbener Seide mit dazu passenden hochhackigen Pumps. Sie sieht einfach hinreißend aus. Im Gegensatz zu mir legt Liliana stets großen Wert auf schicke Garderobe. Von uns beiden ist eindeutig sie das Modepüppchen.

      Den Pappbecher in der Hand, bleibt sie für einen Augenblick wie angewurzelt im Türrahmen stehen, stöckelt dann aber mit kleinen Trippelschritten zu meinem Bett rüber.

      „Angyalom“, begrüßt sie mich auf Ungarisch, was übersetzt mein Engel heißt. Sie stellt ihren Kaffee auf dem Nachttisch ab, nimmt vorsichtig mein Gesicht in ihre Hände und küsst mich auf den Mund.

      „Ich bin fast gestorben vor Sorge“, sagt sie mit ihrem niedlichen Akzent, wobei sie das R immer so herrlich rollt. „Was ist bloß passiert, Liebes? Die Ärzte haben gesagt, ein Hund hätte dich angefallen, aber die Wunden würden eher nach Spuren eines Kampfes mit einem Bären aussehen.“

      „Es ist auch schön, dich zu sehen, Mama“, sage ich grinsend.

      Liliana entspricht dem typischen Klischee einer Ungarin: wild, temperamentvoll und leidenschaftlich. Gute Laune und eine positive Lebenseinstellung scheint sie dauerhaft gepachtet zu haben. Aber jetzt sehe ich zum ersten Mal tiefe Besorgnis in ihren Augen. Stirnrunzelnd betrachtet sie zuerst meine Schulter und dann – sehr eindringlich – mich.

      Oje, wenn der kleine General so guckt, sollte ich auf der Hut sein! Ich rutsche etwas tiefer unter die Decke. Was soll ich ihr erzählen? Die Wahrheit? Die würde sie mir eh nicht glauben. Niemand würde mir glauben. Soll ich sie anlügen? Sie ist meine Mutter, sie erkennt sofort, wenn ich lüge.

      „Junge Dame“, sagt sie mit hochgezogener Augenbraue, „ich erwarte, dass du mir alles erzählst, und zwar wirklich alles! Die Wahrheit, nicht dieses Märchen, das du den Ärzten aufgetischt hast.“

      Kann diese Frau Gedanken lesen?

      „Mama, ich weiß selbst nicht genau, was ich da eigentlich erlebt habe.“

      „Wie meinst du das, Angyalom?“

      „Die Erinnerung ist zwar da, aber es kommt mir so unwirklich vor – wie ein böser Traum.“

      Dass ich meiner Mutter nichts vormachen kann, ist mir bewusst, aber wie soll ich ihr eine so abstruse Geschichte erklären?

      Ihr Gesichtsausdruck wird ernst und eine kleine Falte bildet sich auf ihrer sonst so makellosen Stirn. „Versuch es doch einfach. Erzähl deiner Mamicska, was passiert ist – und nichts auslassen, verstanden?“ Sie lächelt mir aufmunternd zu und zieht sich einen Stuhl heran.

      Ich beginne vom Abendessen im Restaurant zu berichten. Liliana hört mir geduldig zu und lächelt, als ich Ramonas Namen erwähne. Doch dann komme ich an die Stelle, wo mir eine der Bestien ihre Klaue in meine Schulter rammt. Ihre Augen weiten sich vor Entsetzen und sie murmelt etwas auf Ungarisch. Ich beende meine Geschichte und es tritt eine merkwürdige Stille ein. Sie mustert mich mit einem eigenartigen Gesichtsausdruck. Überlegt sie, ob sie mich einweisen lassen soll? Oder folgt gleich ein Vortrag darüber, dass Kinder ihre Eltern nicht anflunkern dürfen?

      „Mama, ich weiß, es klingt verrückt, aber genau so ist es passiert“, sage ich nachdrücklich.

      Ihr Gesichtsausdruck verändert sich nicht, da beugt sie sich vor und gibt mir einen Kuss auf die Stirn.

      „Mama?“

      „Dann sollten wir Gott danken, dass du noch am Leben bist, Angyalom.“

      Ihre Stimme ist seltsam belegt und eine kleine Träne bahnt sich ihren Weg über ihr hübsches Gesicht, die sie sich verstohlen wegwischt. Sie weint sonst nie.

      „Du glaubst mir?“, frage ich ungläubig. „Einfach so?“

      „Du bist meine Tochter und ich vertraue dir.“ Ihr Blick ist unergründlich. Kein Anzeichen von Zweifel. „Anja, die Polizei wird heute noch vorbeikommen und wir sollten uns überlegen, was du sagen wirst. Mit der Wahrheit sollten wir vorsichtig sein.“

      „Polizei … die habe ich ganz vergessen“, flüstere ich und atme geräuschvoll aus.

      „Bleib bei der Geschichte mit den Hunden, alles andere wäre zu … fantastisch.“

      „Du weißt, ich kann nicht gut lügen. Die werden mir kein Wort glauben, Mama.“

      „Das könnte passieren, aber was sollen sie machen? Du bist das Opfer! Selbst wenn sie deine Geschichte anzweifeln, müssen sie deine Aussage so hinnehmen.“

      „Du hast wohl recht“, antworte ich leise.

      „Natürlich, mein Schatz, Mamas haben immer recht!“ Sie streicht liebevoll über meine Wange. „Ich fahre jetzt kurz nach Hause, bin aber heute Nachmittag wieder da. Ich werde ein paar Zeitungen mitbringen und dann schauen wir mal, ob über den Angriff oder über sonstige seltsame Vorkommnisse etwas berichtet wurde.“

      Nachdem sie gegangen ist, komme ich ins Grübeln. Irgendetwas sehr Seltsames geht hier vor. Liliana ist eine bodenständige Frau, die nicht viel von Fantastereien hält. Es wundert mich daher, wie schnell sie mir glaubte. Sie hat meine Geschichte noch nicht mal für eine Sekunde angezweifelt oder hinterfragt, beinahe so, als ob sie etwas Derartiges schon erwartet hätte.

      Es wird immer merkwürdiger.

      Es ist Nachmittag und Liliana hat die Zeitungen mitgebracht.