Du wurdest bestraft?
Nora wurde hysterisch, als sie sah, was ich getan hatte, schrie und weinte, sperrte sich im Zimmer ein und kam den ganzen Abend nicht heraus, und sprach tagelang nicht mit mir. Ich glaube nicht, dass sie mir jemals vergeben hat.
Mutter wollte, dass ich verprügelt wurde, aber Vater sagte, dass Schläge schlechtes Benehmen nicht korrigierten, sondern es fördern, indem es zeigte, dass Gewalt akzeptabel ist. Stattdessen sollte ich, wenn alle zu Abend aßen, in der Ecke stehen, und drei Tage lang hungrig zu Bett gehen.
Ich habe diese Bestrafung jedoch genossen und hätte gerne länger damit fortgefahren. Ich stand gerade wie eine Stange und starrte auf die leere Wand vor mir. Ich hörte das Klappern von Löffeln, Messern und Gabeln, die hinter meinem Rücken auf das Porzellan trafen, während Hunger schmerzhaft meinen Bauch rieb und ich spürte, wie ich dadurch mehr und mehr bereit wurde, die schlechten Dinge zu verkraften, die das Leben mir eines Tages bereiten würde.
In der zweiten Nacht wollte Mutter mir, als ich ins Bett ging, heimlich etwas zu essen geben, ohne dass Vater es wusste, aber obwohl ich versucht war, ihr Angebot anzunehmen, lehnte ich es ab und schlief noch glücklicher ein, als ich es war, während ich vor der Wand stand. Hätte ich ihr Angebot angenommen, hätte es alles verdorben, was ich erreicht hatte.
In der dritten Nacht ließ sie mich in Ruhe.
7
Deine Großmutter?
Jeden Sommer verbrachten wir einige Wochen bei meiner Großmutter, die weit weg in den Bergen lebte. Wir nahmen zuerst für eine kurze Strecke einen Zug und stiegen dann um in einen anderen, mit dem wir stundenlang fuhren. Es dauerte fast den ganzen Tag, um dorthin zu gelangen.
Der zweite Teil der Reise gefiel mir am besten. Wir waren normalerweise allein im Abteil und ich saß am offenen Fenster und blickte in die Richtung, in die wir reisten, die hereinströmende Luft drückte wie ein kaltes Kissen fest gegen mein Gesicht, was mir das Atmen schwer machte. Sie war mit Rauch vermischt, der aus der Lokomotive austrat, und roch nach hartgekochten Eiern, wie die, die wir mit den belegten Broten gegessen hatten, die Mutter zubereitet und in einem großen Korb mitgebracht hatte, was ich mochte.
Mehr noch mochte ich es, meinen Kopf aus dem Fenster zu stecken und dann wirklich von der Luft erstickt zu werden, so dass ich nach Luft schnappte, aber man sagte mir, ich solle es nicht tun, weil ein Funke im Rauch in mein Auge geraten und mich blenden könnte. Obgleich ich davor Angst hatte, konnte ich der Versuchung nicht widerstehen, mich immer wieder erneut aus dem Fenster zu lehnen, besonders in den Kurven, denn dann konnte ich den gesamten Zug von der Lokomotive vorne bis zum letzten Wagon am Ende sehen. Sie sahen beide überraschend klein aus, fast wie Spielzeug, und der Zug war kürzer als ich gedacht hatte, was ich schön fand.
Manchmal hatte Vater jedoch genug von meinem Benehmen und schloss wütend das Fenster. Er zog es mit einem Lederriemen hoch, der aus einem Spalt im Fenstersims herausragte.
Die Luft wurde, je höher wir in die Berge kamen, zunehmend kühler und frischer. Das gefiel allen, das Fenster wurde, wenn es hochgeschoben worden war, wieder heruntergelassen, und ich verhielt mich so, dass es nicht wieder geschlossen wurde.
Es gab einen Tunnel, den wir passieren mussten, bevor wir unser Ziel erreichten. Das Abteil wurde ganz dunkel, als wir hineinfuhren, die Luft stank nach Rauch und der Lärm, den der Zug machte, der nun von den Steinmauern widerhallte, wurde so laut, dass man nichts anderes hören konnte.
Dies dauerte lange, so dass es so schien, als würde es nie enden, aber plötzlich war alles wieder hell, die Luft roch frisch, der Lärm war verschwunden, und man hörte das rhythmische Rattern der Räder des Zuges beim Rollen auf den Schienen. Die Stadt lag unter dem hohen Viadukt ausgebreitet vor uns und der Zug fuhr langsam weiter, bis er auf der anderen Seite den Bahnhof erreichte.
Er hatte verputzte Wände und ein rotes Ziegeldach, an dessen Dachtraufen Blumentöpfe mit roten Blumen aufgehängt waren, die wie Flammen aussahen.
Der peron – der Bahnsteig – war mit in kleine Quadrate unterteilten Fliesen belegt, wodurch er wie eine Schokoladentafel aussah. Wenn man ihn entlang ging, machten die Füße scharfe Klackgeräusche wie eine Schokoladentafel, die bricht. Als wir ankamen, um meine Großmutter zu besuchen, hatte ich immer das Gefühl, als würde ich eine riesige Schokoladentafel entlanggehen, von der das Silberpapier abgezogen war, und freute mich besonders darauf.
Sie erwartete Euch?
Vor dem Bahnhof erwartete uns Großmutter immer in einem Fiaker, das Verdeck hinterrücks heruntergeklappt, sie ganz in Schwarz, den Kopf in ein Tuch gehüllt und ein bodenlanges Kleid tragend, ihre Hände auf dem elfenbeinernen Griff eines Stocks, den sie draußen trug.
Sie küsste mich, wenn ich neben sie in den Fiaker kam und drückte mir eine Schokoladentafel in die Hand, wie ich es mir vorstellte, als ich den Peron hinunterging, die sie irgendwo zwischen den Falten ihres Kleides hervorbrachte und von der sie wusste, dass ich sie erwartet hatte. Unser Gepäck wurde in den Kofferraum im Fond gesteckt, meine Eltern und Nora zwängten sich auf die Vorder- und Rücksitze, die einander gegenüber lagen, der Fahrer stieg auf seinen hohen Sitz, seine Peitsche knallte und der Fiaker rollte los in die Stadt.
Die Straße war mit Pflastersteinen gepflastert und das Geräusch, das die Hufe des Pferdes auf ihm machten, ließ mich wieder an den Laut einer Schokoladentafel denken, wenn man sie bricht, und ich freute mich darauf, den Laut von derjenigen zu hören, die Großmutter mir gab, wenn ich sie brechen würde, sobald wir endlich bei ihr daheim waren und gegessen hatten, was sie für uns zubereitet hatte. Du durftest keine Süßigkeiten vor einer Mahlzeit nehmen und nicht zulassen, dass dein Magen dein Leben lenkt.
Was hast Du gegessen?
Selbstgebackenes Sauerteig-Roggenbrot, glänzend und mit dem Abdruck eines Kohlblattes oben auf dem Laib, mit frisch geschlagener Butter und Quark mit Sauerrahm und Radieschen und Frühlingszwiebeln und Dill, dazu frische Buttermilch und Sauerampfer-Suppe mit Reis und Sauerrahm und in Hälften geschnittene hartgekochte Eier, so wie Mutter es machte, und gedünstetes Kaninchen in Sauerrahmsauce mit Kartoffelpüree und pürierter roter Bete und in Butter sautierten Weißkäsepastetchen, serviert mit Kirsch-Johannisbeer-Konfitüren und Honigbrot und wilden Erdbeeren und Himbeeren und Blaubeeren, serviert mit Zucker und Sahne, Minztee mit Honig und örtlichem Mineralwasser mit Himbeersirup oder ohne zum Abschluss.
Du gingst schlafen?
Das leicht gestärkte und sorgfältig gebügelte Leinen streichelte sanft meine Haut, als ich zwischen die Laken kroch und sofort in den Schlaf glitt, als ginge es kopfüber entlang eines rutschigen, steil geneigten Brettes, begleitet von dem süßen Duft von Äpfeln, die verwendet wurden, um das Bettzeug in der Truhe, in der es aufbewahrt wurde, zu parfümieren.
Eine singende Pforte?
Vor dem Haus gab es einen Blumengarten, der durch einen Eisenzaun von der Straße getrennt war. Diese Pforte darin machte, wenn man sie öffnete oder schloss, ein Geräusch wie ein Vogel, der dezent einige Male zwitscherte und dann verstummte.
Blumen im Garten?
Entlang des Zauns wuchsen rote Kletterrosen. Ein breiter gelber Ziegelsteinweg, der vom Tor zur Eingangstür führte, schnitt den Garten in zwei Hälften und ging um jedes der beiden Rechtecke herum, die den Rest des Gartens einnahmen und mit denselben Ziegelsteinen, die senkrecht auf einer Seite standen, eingefasst waren. In der Mitte von jedem befand sich ein großer Kreis mit weißen Pfingstrosen am Rand in einem von ihnen und rosafarbenen im anderen, und hohen, flammenroten Dahlien in der Mitte. Ein dicker Teppich von Levkojen füllte den Rest jedes Rechtecks. Wenn es dunkel wurde, strahlten sie einen süßen, berauschenden Duft aus, der bis zum Morgengrauen anhielt. Er war so stark, dass er mich manchmal mitten in der Nacht weckte.
Eine singende Wasserpumpe?
Im Gemüsegarten auf der Rückseite des Hauses befand sich eine Wasserpumpe. Sie gab, sobald man sie betätigte, ein Geräusch von sich wie ein Vogel, der sang, immer weiter und weiter, nie bereit, aufzuhören. Ich musste manchmal,