Henkersmahl. Bärbel Böcker. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Bärbel Böcker
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Триллеры
Год издания: 0
isbn: 9783839234549
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an und antwortete ausweichend: »Eine ganze Menge. Euer Zeug ist giftig, Mensch, kapier das doch endlich! Einige, die zu viel davon intus haben, liegen jetzt im Krankenhaus. Ein Typ ist wahrscheinlich sogar daran gestorben.«

      »Deine Behauptung ist ungeheuerlich!« Burkhard Weidner verspürte den unmittelbaren Wunsch, sich zu setzen, aber die Parkbank, die er am Wegrand bemerkte, schien ihm meilenweit entfernt zu sein. Wortlos ging er neben seinem Sohn her, den Schritt unter der Schwere des soeben Gehörten unwillkürlich verlangsamend. Nachdem er sich wieder etwas gefasst hatte, sagte er: »Selbst wenn du recht hast, ist das immer noch kein Grund, eine TV-Sendung verhindern zu wollen, indem du Redakteure einschüchterst.«

      »Doch, es gibt Grund genug.« Tim sah seinen Vater von der Seite an, senkte den Blick jedoch sofort wieder und fuhr kleinlaut fort: »Ich habe es jemandem verkauft, mit dem nicht gut Kirschen essen ist. Wenn der herausfindet, dass man daran krepieren kann, werde ich auch nicht mehr lange leben.«

      »Du meine Güte.« Burkhard Weidner brach der Schweiß aus und Tim erklärte: »Ein Redakteur von Diens-Talk verfolgt eine Spur, die direkt zu euch führt. Er scheint aber der Einzige zu sein, der davon weiß. Wenn ich den in seinen Recherchen stoppen kann, kommt vielleicht nie heraus, dass dieses dämliche Zeug an allem Schuld ist und Alex lässt mich in Ruhe. Und du hättest Zeit genug, alles, was existiert, zu vernichten und könntest damit eventuell Schlimmeres verhindern.«

      Zielstrebig steuerte Burkhard Weidner die Parkbank an, die nun unmittelbar vor ihnen stand, und setzte sich schwerfällig. Tim nahm neben ihm Platz. Der Blick des Vaters wanderte zur Deutzer Brücke, die ihre Farbe wie vier weitere Brücken Konrad Adenauer zu verdanken hatte. Extra auf seinen Wunsch hin war das spezielle Patinagrün entwickelt worden, und es sah wirklich gut aus. Burkhard Weidner atmete tief durch. Am liebsten hätte er das Gespräch mit seinem Sohn jetzt nicht geführt. Wie gern würde er stattdessen unbeschwert über die Hohenzollernbrücke oder über die Südbrücke schlendern und die sogenannten Liebesschlösser in Augenschein nehmen, von denen er in der Zeitung gelesen hatte. Seit einiger Zeit hingen Tausende bunter Vorhängeschlösser am Zaun zwischen Bahngleisen und Fußgängerweg, und täglich wurden es mehr. Verliebte Paare schworen sich auf ihnen ewige Liebe, den Schlüssel für das Schloss warfen sie in den Rhein. Burkhard Weidner fand diesen neuen Brauch so sympathisch, dass er sich vornahm, die Schlösser unbedingt bei seinem nächsten Kölnbesuch anzusehen.

      Seufzend wandte er sich seinem Sohn zu und sagte: »Also, du hast davon an diesen Bandenchef verkauft. Wem noch, und wo?«

      »Das meiste auf dem Nippeser Wochenmarkt am Wilhelmplatz. Und dann hat so ein Schreiner ein bisschen was gekriegt und eben Alex. Vor allem Alex.«

      »Was hast du mit dem überhaupt zu schaffen? Junge, du hattest doch schon genug Ärger mit der Polizei! Willst du dein Schicksal unbedingt herausfordern, indem du dich mit diesem kriminellen Typen einlässt?«

      Burkhard Weidner war inzwischen auf alles gefasst, und Tims Schweigen war Antwort genug. Er stöhnte leise und fragte sich, was er eigentlich von seinem Sohn erwartet hatte. Wenn Tim nur ahnen würde, was er ihm antat. In diesem Moment hasste er ihn mit jeder Faser, aber als er Tim kleinlaut sagen hörte: »Ich habe Schiss vor Alex, begreif das doch endlich«, mischte sich unwiderruflich das altbekannte Gefühl der Sorge unter den Groll und gewann schließlich, obwohl er sich dagegen sträubte, die Oberhand.

      »Wenn Alex merkt, dass das Zeug nicht koscher ist, dann gnade mir Gott. Der fackelt nicht lange.«

      Gedankenversunken betrachtete Burkhard Weidner einige Spatzen, die sich begeistert um trockene Brotkrümel scharten und eifrig darauf erpicht waren, keinen einzigen außer Acht zu lassen. Schließlich sagte er: »Überlass die Angelegenheit bitte mir. Da ist sie besser aufgehoben, und vor allem lass diesen Redakteur in Ruhe.« Mühsam erhob er sich von der Parkbank, stopfte den Schal tiefer in den Ausschnitt seines Mantels und setzte den Weg fort. Tim folgte ihm wortlos. Nachdem sie eine Weile nebeneinander hergegangen waren, fragte Burkhard Weidner: »Haben die in der Redaktion deine Nummer erkennen können?«

      »Nein. Ich habe von einer Telefonzelle aus angerufen. Ich bin nicht blöd, auch wenn du immer meinst, ich wäre es«, sagte Tim verstockt. Angriffslustig fragte er nach: »Und? Was willst du tun? Wie ich dich kenne, füllst du erst mal 100 Anträge aus, stimmt doch, oder?« Tim kickte mit dem Fuß ein paar kleine Steinchen aus dem Weg.

      Burkhard Weidner spürte, dass er sich sehr beherrschen musste: »Du bist unverschämt«, sagte er nur und fügte nach einer kleinen Pause hinzu: »In jedem Fall wende ich Mittel an, die klüger sind als deine.«

      Inzwischen hatte er große Lust, das Gespräch mit seinem Sohn rasch zu beenden. Er wandte sich um und steuerte schweigend auf die schmalen, bunten Häuser der Kölner Altstadt mit ihren hohen Giebeln und Schieferdächern zu. Sie passierten Groß St. Martin und gingen, gedankenversunken, durch enge Gassen zur Tiefgarage am Dom, wo er seinen Wagen geparkt hatte. Für die Schönheit der Häuser hatte er heute keinen Blick. »Halt dich da raus, ich sage es dir noch einmal. Verstanden?« Burkhard Weidners Ton klang scharf.

      Tim schwieg und sein Vater insistierte: »Ob du das verstanden hast, habe ich gefragt.« Er blieb stehen und sah seinem Sohn fest in die Augen. Tim konnte ihm nicht ausweichen, denn jetzt griff sein Vater auch nach seinen Schultern. Er legte beide Hände darauf und zwang ihn, ihm ins Gesicht zu sehen.

      »Ich werde es schon nicht an die große Glocke hängen«, sagte Tim genervt. Er senkte den Blick sofort wieder, und sein Vater ließ ihn los.

      Inzwischen hatten sie den Kölner Dom erreicht, das als Weltkulturerbe geltende Wahrzeichen der Stadt. Vor ihnen wurde der Eingang zur Tiefgarage sichtbar. Auf der Domplatte, einer modernen Betonkonstruktion, die den Dom umgab und auf dem Domhügel rund 17 Meter über dem Rhein lag, waren verhältnismäßig wenig Menschen unterwegs.

      Bei dem ungemütlichen Wetter bleiben die meisten Menschen wohl zu Hause, dachte Burkhard Weidner und hielt seine Mütze fest, an der der typische Domplatten-Wind zerrte. Und die Touristen saßen vermutlich lieber in den umliegenden Kneipen, tranken Kölsch und aßen Halven Hahn oder Hämchen mit Sauerkraut.

      Burkhard Weidner wandte sich ein weiteres Mal an seinen Sohn: »Sieh bitte zu, dass du alles, was du unter die Leute gebracht hast, wiederbekommst. Wie, ist mir ganz egal. Und pass auf, dass niemand etwas merkt.«

      Bevor er die Treppen zur Tiefgarage hinabging, fügte er in etwas weicherem Ton nach einem Moment des Überlegens hinzu: »Wir packen das schon.«

      Ein flüchtiges, doch aufmunterndes Lächeln glitt über sein Gesicht, dann war er verschwunden. Als er in seinem Wagen saß, drückte er ein wenig zu heftig auf das Gaspedal und der Motor heulte auf. Verdammt, es war spät geworden, er musste dringend zurück.

      Zurück ins Ministerium.

      7

      Tim Weidner kam es so vor, als liefe er schon zum hundertsten Mal durch die Passage in der Bodenheimer Straße Ecke Bahide-Arslan-Straße. Von Alex keine Spur. Ein erneuter Blick auf seine Armbanduhr bestätigte ihm, dass er ihn bereits eine Stunde warten ließ. Gleich 21 Uhr. Frierend und ärgerlich zog Tim den Reißverschluss seiner Lederjacke hoch. Er würde ihm noch fünf Minuten geben, wenn er dann nach wie vor nicht auftauchte, würde er einfach verschwinden. Lange genug gewartet hatte er schließlich. Doch leise Zweifel verschafften sich Gehör. Vermutlich wäre es besser, ein wenig länger zu warten. Man wusste nie, wie er reagierte. Also gut, dann eben noch zehn Minuten.

      Alex vertrug es nicht, wenn man ihn versetzte. Dabei war der Gedanke eigentlich absurd. Schließlich hatte er ihn versetzt und nicht umgekehrt.

      Wenn er wenigstens wüsste, was er von ihm wollte. Hoffentlich hatte es nichts mit dem Stoff von seinem Vater zu tun. Tim strich sich wiederholt eine Strähne seines langen Haars aus dem Gesicht. Es war doch wohl niemand aus der Gang daran erkrankt? Warum hatte er es auch ausgerechnet an Alex verkaufen müssen. Er schalt sich selbst einen Dummkopf.

      Plötzlich spürte Tim einen heftigen Schlag im Rücken. Er stolperte und fiel auf die Steinplatten. Mühsam hob er den Kopf. Über ihm stand Alex und grinste.

      »Na, gemütlich da unten?«