Henkersmahl. Bärbel Böcker. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Bärbel Böcker
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Триллеры
Год издания: 0
isbn: 9783839234549
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Stunde – es war erst kurz nach halb neun – bereits hektisch zu.

      Obwohl der Mediapark, errichtet auf dem Gelände des ehemaligen Güterbahnhofs Gereon, als themenbezogener Stadtteil in der Medienbranche eine gute Adresse war, hatte Florians Chefin der Verlockung, in eines der modernen Hochhäuser umzusiedeln, widerstanden und war ihrem alten Büro am Hansaring mit dem Fischgrätparkett, den Stuckdecken und den großen Flügeltüren treu geblieben. Florian liebte Regine Liebermann dafür. Er fand es zwar schön, hin und wieder in der Mittagspause durch den Mediapark zu spazieren und sich ein wenig wie in Klein-Manhattan zu fühlen, wenn er auf den fast 150 Meter hohen Köln-Turm blickte, der den Dom und das Kölner Städtepanorama widerspiegelte, aber richtig wohl fühlte er sich grundsätzlich nur, wenn er von älteren Mauern umgeben war. Die Jahrzehnte, die die alten Gebäude auf dem Buckel hatten, verströmten eine ganz andere Aura, und diese zog er eindeutig der Kühle moderner Architektur vor. Inzwischen hatten sich im Mediapark mehr als 250 Medien- und Dienstleistungsunternehmen angesiedelt, und wenn große Leinwandstars zu ihren Filmpremieren einflogen und abends vor dem Cinedom im Scheinwerferlicht über den roten Teppich schwebten, stellte sich sogar etwas Hollywood-Glamour ein, was ihn jedoch nicht wesentlich beeindruckte.

      Jetzt, da er die altehrwürdigen Büroräume von Profi Entertainment betrat, fühlte er sich sofort wie zu Hause. Sein Blick fiel auf die Garderobe, es war kein Bügel mehr frei. Rasch schlüpfte er aus dem Trenchcoat, stülpte ihn achtlos über eine grüne Wildlederjacke, die so teuer aussah, dass sie nur seiner Chefin gehören konnte, nahm die Zeitung aus der Manteltasche und ging mit schnellen Schritten zur Küche. Dabei bemerkte er ein neues Foto, das neben den zehn glasgerahmten an die Wand gehängt war. Allesamt zeigten sie Jörn Carlo inmitten von prominenten Talkgästen. Auf dem neuen Foto war der Moderator mit dem Oberbürgermeister und einer stadtbekannten Kabarettistin zu sehen. Carlo starrte mit gerecktem Hals gebannt in ihr tiefes Dekolleté.

      Das ist wieder mal ganz und gar typisch für ihn, dachte Florian, gib ihm attraktive Frauen mit dicken Möpsen und Carlo ist zufrieden. Er gab dem Bild nicht mehr als einen halben Tag.

      Florian riss sich von dem Foto los und hastete weiter. In den meisten Büros wurde schon gearbeitet. Telefone klingelten, Stimmengewirr drang an sein Ohr. Aber er brauchte erst mal einen Kaffee, bevor er anfangen konnte. Meistens wurde der Kaffee von Theo gekocht, dem Praktikanten, und Florian hoffte, dass noch eine Tasse für ihn übrig war. Von den Kollegen hielt es im Prinzip nie jemand für nötig, Kaffee aufzusetzen. Sie bedienten sich zwar gern, doch den Rest sollte Theo erledigen. Die Redakteurinnen und vor allem die Redakteure hatten eben Wichtigeres zu tun.

      Als er die Küchentür öffnete, sah er zuallererst Jana. Er hatte bisher nicht oft mit ihr gesprochen, aber immer, wenn er ihr begegnete, war er überrascht darüber, wie gepflegt sie aussah. Florian fragte sich, ob dieser Eindruck vielleicht einzig ihrem Ultra-Kurzhaarschnitt zuzuschreiben war, der perfekt zu ihren klaren Gesichtszügen passte und besonders ihre schmale Nase und den breiten, dabei gut proportionierten Mund zur Geltung brachte. An ihrer Kleidung allein konnte es jedenfalls nicht liegen, denn es kam ebenso vor, dass sie derbe Stiefel zu ausgewaschenen Jeans und einem weiten Rollkragenpullover trug wie ein klassisch geschnittenes Kleid aus Rohseide. Heute hatte sie sich für die Jeans-Variante entschieden. Sie lehnte lässig an der Arbeitsplatte der Einbauküche. Florian bemerkte, dass sie sich langsam mit der linken Hand über ihr kurzes dunkelbraunes Haar strich.

      Sie sagte: »Die Zeit ist ziemlich knapp, Max, und ich bin nicht sicher, ob ich das für dich machen kann. Wenn es auffliegt, werde ich Probleme bekommen.«

      Max, Redaktionsleiter und damit sein direkter Vorgesetzter, antwortete grinsend: »Wie ich dich kenne, wirst du so geschickt vorgehen, dass niemand auch nur das Geringste merkt.«

      Jana drehte den Becher zwischen ihren Händen. »Ich werde darüber nachdenken.« Sie sah von Max zu Florian und begrüßte ihn lächelnd: »Hi, auch schon wach?«

      »Nicht wirklich.« Florian warf seine Zeitung auf den Tisch zu dem Stapel anderer Zeitungen, griff in das Regal neben Max und angelte sich eine Tasse. Obwohl der Frühling bereits in der Luft lag, war es morgens ziemlich frisch. Das heiße Getränk tat ihm gut. Er stellte sich neben Jana und sah Max, der immer noch schwieg, fragend an: »Störe ich?«

      »Nein, ist schon in Ordnung«, antwortete Max. Er fühlte sich dazu animiert, eine Erklärung abzugeben. »Wir haben uns gerade Gedanken über die morgige Sendung gemacht.«

      »Und was hat Jana damit zu tun? Soll sie uns eine neue Datenbank aufbauen?«

      »Nein. Es geht um etwas ganz anderes«, sagte Jana und wandte sich wieder an Max: »Sag mal, wie ist denn überhaupt der Stand bei diesem mysteriösen Krankheitsthema?«

      Florian fragte sich, was hier eigentlich vorging. Wahrscheinlich hatte Max die Kollegin am Wickel, um sie in letzter Minute noch in eine Aktion einzuspannen, von der er sich erhoffte, Weiteres über die Erkrankungen zu erfahren. Wenn Max an einem Thema dran war, ließ er nicht locker.

      Florian kannte Max von Kindesbeinen an, sie waren befreundet, und inzwischen arbeiteten sie zusammen, bereits seit über einem Jahr. Max’ Ideenreichtum bei der Recherche und der Biss, mit dem er Sendungen vorbereitete, imponierten ihm. Dass die Chefin Max vor drei Monaten zum Redaktionsleiter befördert hatte, konnte er gut nachvollziehen.

      Jetzt sagte Max, dessen struppiges blondes Haar noch feucht war von der morgendlichen Dusche, zu Jana: »Knapp 30 Personen hat es bislang erwischt. Fünf waren bereits bewusstlos, als sie ins Krankenhaus kamen. Angehörige oder Freunde haben sie gefunden. Derzeit versuchen Forscher vom Paul-Ehrlich- und Robert-Koch-Institut herauszufinden, ob es sich um eine epidemieartige Virusinfektion oder um eine Nahrungsmittelvergiftung handelt.«

      Florian dachte laut nach: »Wer weiß, wann es den ersten Todesfall gibt. Die Betroffenen haben Glück gehabt, dass sie rechtzeitig ins Krankenhaus gekommen sind.«

      »Wer allein ist und bewusstlos wird, hat vermutlich schlechte Karten«, sagte Jana trocken.

      »Ja, das sehe ich auch so. Ich war im Krankenhaus und habe versucht, aus den Ärzten was rauszukriegen, aber ich hatte keine Chance. Angeblich gibt es bislang keine Erkenntnisse.« Über Max’ Gesicht flog ein Schatten, und er fügte hinzu: »Es gibt also weiterhin keine konkreten Anhaltspunkte, über die wir in der Sendung reden können. Das wird weder den Unterhaltungschef noch Carlo besonders freuen. Immerhin muss er eine Stunde lang etwas zu reden haben. Ich verfolge zwar mehrere Hinweise, aber das ist alles nach wie vor nicht spruchreif.« Er wandte sich an Florian. »Weißt du inzwischen etwas Konkretes?«

      »Nein, nichts. Aber ich habe in der Bahn einen seltsamen Anruf bekommen.«

      »Du auch?« Max’ Augen weiteten sich.

      »Irgend so ein Durchgeknallter, der mich davor gewarnt hat, die Sendung zu machen.«

      »Mich hat jemand angerufen, als ich am Frühstückstisch saß. Vielleicht war es derselbe. Meinte, wenn wir mit dem Thema auf Sendung gingen, würde mir das schlecht bekommen.«

      »Und, kam dir die Stimme bekannt vor?« Florian sah Max gespannt an.

      »Bin nicht ganz sicher, glaube aber nicht.«

      »Mir sagte sie auch nichts.«

      »Woher hatte der eigentlich unsere Telefonnummern?«

      »Was weiß ich.« Max zuckte mit den Schultern und sprach weiter: »Schließlich ist es nicht schwierig, die Nummern herauszubekommen. Ein Anruf im Sekretariat und schon hat er sie.«

      »Aber er muss gewusst haben, dass wir die Sendung vorbereiten.«

      »Na und? Auch kein Problem. Vielleicht kommt er aus dem privaten Umfeld eines unserer Kollegen, oder er ist vom Sender. So eine Show ist schließlich kein Geheimnis.«

      Jana hatte aufmerksam zugehört. Halb ernst, halb ironisch sagte sie nun: »Da kann einem ja richtig mulmig werden.«

      Sie trat von einem Bein auf das andere und fügte lachend hinzu: »Glücklicherweise bin ich nur eine kleine EDV-Maus und damit außerhalb der Gefahrenzone.«

      Florian und Max lachten nun auch.