Henkersmahl. Bärbel Böcker. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Bärbel Böcker
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Триллеры
Год издания: 0
isbn: 9783839234549
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ihm so vor, als ob er kaum noch ein Klubmitglied kenne.

      Er klingelte erneut und dachte daran, dass es jetzt doch zu spät geworden war, um fettarme Milch zu kaufen. Die meisten Läden hatten schon geschlossen.

      Seltsam, dass Anna nicht öffnete. Wahrscheinlich war wieder einmal Peter Alexander schuld. Anna hatte die komplette Sammlung. Sie hörte nichts anderes, und das immer in voller Lautstärke. Florian hatte sich schon oft gefragt, wie seine arme Mutter das aushielt.

      Endlich wurde die Tür schwungvoll geöffnet und vor ihm stand Anna. Kaum, dass sie ihn begrüßt hatte, machte sie schon wieder auf dem Absatz kehrt und war auf dem Weg zurück in die Küche. Florian sah perplex auf ihr weißes Schürzenband, das sich immer weiter von ihm entfernte und über ihrem Hinterteil zu einer ordentlichen Schleife gebunden war. Er dachte, dass ihr Elan offensichtlich völlig ungebrochen war. Soviel er von seiner Mutter wusste, führte sie den Haushalt wie eh und je in Dragonermanier. Jetzt brummte sie Florian über die Schulter an: »Es gibt dein Lieblingsgericht.«

      Florian rief ihr hinterher: »Doch nicht etwa rheinischen Sauerbraten?«

      Anna blieb stehen und knurrte: »Nein.«

      »Rievkoche?«

      »Nein.«

      Florian musste lachen. »Komm, sag schon, was ist es denn?«

      »Roastbeef.« Mit etwas weicherer Stimme fügte sie hinzu: »Aber das Bratenthermometer wartet, ich muss nachsehen, ob die Temperatur stimmt.« Abrupt drehte sie sich um und lief eilig in die Küche.

      Florian wusste ganz genau, dass Anna alles tat, um zu verhindern, dass seine Mutter ihm mit ihrem Sauerbraten oder ihren Reibekuchen den Appetit verdarb, und er war ihr dafür sehr dankbar. Marie-Louise Halstaff hatte nie Kochen gelernt und würde es auch nie mehr lernen. Sie selbst glaubte natürlich, sie sei eine hervorragende Köchin und ließ es sich daher nicht nehmen, hin und wieder für die besten Freunde oder ihren Sohn persönlich ein Essen, oft etwas typisch Kölsches, zuzubereiten. Bis heute hatte es niemand übers Herz gebracht, seiner Mutter in aller Deutlichkeit zu sagen, dass ihr rheinischer Sauerbraten und ihre Rievkoche, immerhin ihre favorisierten Gerichte, einfach scheußlich waren. Im Hintergrund hörte er ihre Stimme. »Bist du es, Florian?« Marie-Louise Halstaff kam in die Diele und reichte ihrem Sohn die Wangen zum französischen Kuss.

      »Ein bisschen blass schaust du aus.«

      Florians Mutter, eine elegante Erscheinung, sehr schlank und zierlich, betrachtete Florian aufmerksam. Aufrecht ging sie voran ins Wohnzimmer. Wie das ganze Haus, das von den Bomben des Zweiten Weltkriegs verschont geblieben war und über eine Wohnfläche von 300 Quadratmetern verfügte, war auch das Wohnzimmer mit Eichenparkett ausgelegt und hatte eine Deckenhöhe von mehr als drei Metern. Es gab mehrere Sitzecken und Lichtquellen, die die Rot- und Brauntöne der Sofas und der Teppiche vorteilhaft hervorhoben und ihnen einen warmen Schimmer verliehen.

      Florian fühlte sich sofort wieder heimisch, auch wenn er im Grunde seines Herzens froh war, der Selbstverständlichkeit, mit der sich seine Mutter ihren exquisiten Geschmack leistete und zur Schau stellte, längst entkommen zu sein. Wie so oft meinte Florian auch jetzt, den süßlichen Duft der Dekadenz, den Möbel und Teppiche verströmten, förmlich riechen zu können. Um jedoch in seinem Innersten keine Missstimmung aufkommen zu lassen, weigerte er sich, diesem Eindruck nachzugehen und steuerte entschlossen auf die von ihm bevorzugte altrosafarbene Couch am Fenster zu. Erschöpft ließ er sich in die Kissen fallen und streckte die Beine aus.

      »Wie wäre es mit einem Aperitif?«

      »Gern.«

      Seine Mutter goss ihm ein Glas Vermouth ein und nahm mit der Eiszange einen Eiswürfel aus dem silbernen Kübel, der auf dem Beistelltisch stand. Sie gab auch eine Scheibe Zitrone hinzu, die vermutlich Anna fürsorglich aufgeschnitten hatte. Florian hob sein Glas. »Zum Wohl, auf alle Feierabende unseres Lebens.« Genussvoll nahm er einen Schluck. »Du trinkst nichts?«

      »Später zum Essen. Erzähl, was gibt es Neues?« Marie-Louise sah ihn forschend aus ihren grünen Augen an, die sie Florian vererbt hatte und die dunkel werden konnten wie die Blätter eines Waldfarns im Oktober. »Wir haben uns lange nicht gesehen.«

      Florian begann ohne Umschweife zu erzählen: »Stell dir vor, sie haben meine Sendung gekippt. Angeblich, weil die eingeladenen Talkgäste kurzfristig abgesagt hätten.«

      »Worum ging es denn?«, fragte seine Mutter und strich sich vorsichtig mit ihrer Hand durch das halblange, fast schwarze Haar, dessen Spitzen mit leichtem Schwung nach außen sprangen.

      Vermutlich ist sie heute erst beim Friseur gewesen, dachte Florian, perfekt gestylt. Laut sagte er: »Um die rätselhaften Krankheitsfälle.«

      »Ich habe davon gelesen.« Marie-Louise runzelte die Stirn und spielte mit ihrer langen Halskette, die aus unterschiedlich großen türkisfarbenen Dreiecken und Quadraten bestand und auf Florian den Eindruck machte, als stamme sie von einem türkischen Luxusjuwelier. Seine Mutter hatte ein Faible für außergewöhnlichen Schmuck und Florian musste zugeben, dass sie ein Händchen dafür hatte.

      »Wer hat denn abgesagt?«, wollte Marie-Louise Halstaff nun genauer wissen.

      »Der Leiter des Gesundheitsamtes und eine Referentin aus dem Innenministerium. Angeblich aus Terminschwierigkeiten. Dabei habe ich eine knappe Stunde vorher mit beiden telefoniert und da war noch alles klar. Außerdem beherrscht das Thema die Schlagzeilen seit einer guten Woche, und ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass die keine Zeit für eine Sendung haben.«

      »Hört sich wirklich merkwürdig an.« Marie-Louise Halstaff sah ihren Sohn interessiert an.

      »Max bekam nach der Redaktionskonferenz mit, wie Regine Liebermann am Telefon versucht hat, den Leiter der journalistischen Unterhaltung dazu zu bewegen, die Sendung doch zu machen. Mit anderen Gästen, aber Barrick hat sich nicht darauf eingelassen.« Florian führte das Glas an seine Lippen und nahm noch einmal einen kräftigen Schluck.

      »Immerhin will Regine, dass wir dranbleiben, davon weiß aber Barrick nichts. Sie hat Max und mich aufgefordert, weiter zu recherchieren. Man kann nie wissen, wofür es gut ist.«

      Florians Mutter sah ihn prüfend an. »Dann bist du gerade wohl sehr im Stress?«

      »Geht so.« Florian machte eine wegwerfende Handbewegung. »Morgen hänge ich mich richtig rein. Mit der Alternativsendung zum Thema Jugendbanden habe ich zum Glück nichts zu tun, das machen Max, Katja und Curt. Max hat eh schon dafür recherchiert.«

      Marie-Louise Halstaff nahm sich einen Zitronenschnitz, biss hinein und musste sich unwillkürlich schütteln. Sie legte den Schnitz schnell zurück auf den Teller. »Kann das wirklich jeden erwischen?«

      »Ja.« Vorsichtig sprach er weiter: »Man weiß nach wie vor nichts Konkretes, aber es gibt erste Anhaltspunkte.« Florian stopfte sich ein weiteres Kissen in den Rücken. »Im Mageninhalt fast aller Betroffenen wurde die gleiche Substanz nachgewiesen. Worum es sich dabei handelt, wissen wir derzeit nicht. Ich habe es von einem Informanten erfahren, auf der Pressekonferenz heute Nachmittag wurde darüber kein Wort verloren.«

      Florians Mutter schwieg betreten.

      »Da werden ganz offensichtlich Fakten zurückgehalten. Inzwischen sind über 40 Leute erkrankt.«

      »Du meine Güte.« Marie-Louise Halstaff presste die fein geschwungenen Lippen aufeinander und fragte nach: »Was für eine Substanz könnte das sein?«

      »Ich weiß es nicht.«

      »Vielleicht ist doch ein Virus Schuld an allem?«

      »Genau das versucht man gerade herauszufinden.« Florian schnaubte kurz und griff nach einem Taschentuch, das er zerknüllt aus seiner Hosentasche zutage beförderte.

      Marie-Louise Halstaff strich sich einen Fussel von ihrem dunkelblauen halblangen Rock. »Das heißt, nach wie vor weiß keiner, wann, wo und wie man sich anstecken kann, und die, die was wissen, wollen oder dürfen nichts sagen. Tolle Aussichten. Ich sollte also erst einmal nirgendwohin gehen, niemanden treffen und möglichst nichts essen,