Taunusschuld. Osvin Nöller. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Osvin Nöller
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия: Gramberg-Reihe
Жанр произведения: Триллеры
Год издания: 0
isbn: 9783347100527
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Sie bitte den Raum“, bat ­Sandro die Angestellte.

      ­Hummer gesellte sich zu ihnen. „Die Angaben der Zeugen des Überfalls sind mager“, erklärte er.

      Die Mitarbeiterin holte den Schlüssel aus der Schublade und ging voraus.

      Es handelte sich um eine Kombination aus Büro und Tresorraum. Dominiert wurde alles von einem deckenhohen Panzerschrank, dessen Tür angelehnt war. Außerdem war an der linken Wand eine Arbeitsplatte befestigt, auf der unterschiedliche Schmuckstücke lagen. Ergänzt wurde die Einrichtung durch einen Schreibtisch, einen Büroschrank und ein Regal, auf dem Ordner und einige Fotos standen.

      ­Schubert drehte sich langsam im Kreis, er schien dabei jede Einzelheit aufzusaugen. „Sind die Diamanten im Safe ? Dürfen wir die einmal sehen ?“

      Erler zögerte. Schließlich ging sie auf den Tresor zu und zog die schwere Tür weiter auf. In verschiedenen Fächern lagen rote Ledermäppchen, deren Anzahl ­Melanie auf dreißig bis vierzig schätzte.

      ­Schubert ergriff ein Mäppchen und öffnete es. Ein kleiner Edelstein funkelte darin. Unter ihm steckte eine mit Stempel und Unterschrift versehene Urkunde.

      Er wandte sich der Mitarbeiterin zu. „Wie viel ist so einer wert ?“

      Sie nahm ihm die Mappe aus der Hand und blickte auf das Zertifikat. Es war, als spräche sie zu sich selbst. „Ein in Tropfenform geschliffener Diamant von der Reinheit fl, was so viel wie absolut lupenrein bedeutet. Klassifizierung D, demnach hochfein weiß. Ein Karat.“ Sie ging zu dem auf dem Schreibtisch stehenden Computer und machte ein paar Eingaben. „Der Stein wird derzeit auf rund 20.000 Euro taxiert.“

      ­Schubert riss die Augen auf und zeigte auf den Panzerschrank. „Die anderen dort sind genauso wertvoll ?“

      Erler nickte. „Vermutlich, müsste man jetzt aber einzeln nachsehen.“

      In ­Melanies Magen entwickelte sich ein flaues Gefühl. In diesem Raum lagerte ein Vermögen, das dem Täter in die Hände gefallen wäre, hätte er sich nicht so dilettantisch verhalten.

      ***

      ­Melanie schloss am frühen Nachmittag den Hintereingang zur Gaststätte Zum Silbernen Bein auf. Auch wenn die Wirtschaft noch geschlossen war, hielten sich Katja und Siggi bestimmt dort auf.

      Sie blieb im Treppenhaus stehen, als die Anspannung der letzten Stunden von ihr ein wenig abfiel und sich ihre Gedanken verselbständigten. Es war schön, die beiden als Freunde zu haben. Der Oberstaatsanwalt a. D. und die angeheiratete Nichte seiner Schwester, eine nun sesshaft gewordene Weltenbummlerin, waren die einzigen Hinterbliebenen einer Familie mit einer bedrückenden Vergangenheit. ­Melanie hatte sie im Verlauf von Ermittlungen kennengelernt, als sie in die Familiengeschichte eintauchen und schreckliche Geheimnisse aufdecken musste. Die gemeinsamen Erlebnisse hatten sie überraschenderweise regelrecht zusammengeschweißt.

      ­Melanie war Katja unendlich dankbar, dass sie ihr das Angebot gemacht hatte, eine leerstehende Wohnung im angrenzenden Haus zu beziehen und dort ihre Privatdetektei einzurichten. So bekam sie die Chance, mit Hamburg, der Stadt, in der sie so viel Leid und Frust erlebt hatte, abzuschließen. Sie hatte endlich ein Zuhause, in dem sie sich wohl fühlte. Zum ersten Mal seit Jahren. Sie seufzte und betrat den Gastraum.

      Siggi strahlte sie an. „Mel, schön, dich zu sehen.“ Er umarmte sie und gab ihr einen Kuss auf die Wange.

      „Hi. Du wirst nicht glauben, was mir heute passiert ist.“

      Er verengte die dunklen Augen zu schmalen Schlitzen und zupfte den schlohweißen Vollbart, der ihm zusammen mit den gepflegten wallenden Haaren, das charismatische Aussehen eines Grandseigneurs verlieh.

      Mit einer Kopfbewegung deutete er auf einen der derben Holztische. „Lass uns hinsetzen und warten, bis Katja aus dem Keller kommt. Sie müsste gleich da sein.“

      Sein Verhalten zeigte ihr, wie gut er sie kannte und dass er längst bemerkt hatte, wie stark sie etwas beschäftigen musste. War das noch der Siegfried Graf zu Biebenau, den sie während seines selbstgewählten Obdachlosendaseins kennengelernt hatte ? Ihm war der Sprung zurück in die Zivilisation perfekt gelungen. Er genoss die neue Rolle als Teilhaber der Gaststätte sichtlich. In wenigen Wochen wurde er einundsechzig, kaum zu glauben. Er war für sie eine Art väterlicher Freund geworden, mit dem sie über alles sprechen konnte. Er sah in ihr vielleicht so etwas wie eine Tochter, zumal er seine vor rund sechzehn Jahren auf tragische Weise verloren hatte.

      „Aha, wir haben Besuch“, holte sie Katja aus ihren Gedanken. Sie stellte eine Flasche Almdudler und ein Glas auf den Tisch. „Was gibt es Neues in der unfreundlichen Welt ?“

      ­Melanie bedankte sich für das Getränk und berichtete mit hastigen Worten von dem Überfall und der Begegnung mit ­Schubert und ­Sandro. Die Wirtsleute hörten konzentriert zu. Katja spielte mit ihrem Nasenpiercing und drehte dann eine Strähne ihrer langen schwarzen Haare um einen Finger. „Ich habe davon in Facebook gelesen. Da warst du dabei ? Krass.“

      „Hab ich mir nicht ausgesucht“, entgegnete ­Melanie grinsend. Sie wurde wieder ernst. „Irgendetwas hat da übrigens nicht gestimmt !“

      Siggi kratzte sich am Kopf. „Wie kommst du darauf ? Meinst du was Konkretes oder spricht gerade dein Bauch ?“

      „Überleg mal: Da erscheint ein dilettantischer Typ ausgerechnet einen Tag, nachdem Diamanten im Wert von zig Tausenden geliefert werden. Er spricht keinen Ton, worauf der Juwelier nichts Besseres zu tun hat, als nach dem Schlüssel zu dem Raum zu greifen, in dem sich die Klunker befinden. Das passt doch hinten und vorne nicht ! Warum wartet er nicht ab, was der Täter von ihm fordert, und lässt ihn vielleicht nur die Vitrinen im Verkaufsraum ausräumen ?“

      „Weil er da schon eine Kugel in der Brust hatte ?“, gab Katja zu bedenken.

      ­Melanie schüttelte den Kopf. „Ich bin mir sicher, wenn der Schuss nicht gefallen wäre, hätte ­Jühlich das Büro ohne Aufforderung aufgeschlossen und die Steine freiwillig herausgerückt.“

      Siggi verschränkte die Hände im Nacken. „Glaubst du, er wollte den Juwelier erschießen ?“

      „Nein“, erklärte sie bestimmt. „Der Typ war völlig überfordert und ist über den Einkaufswagen gestolpert, wodurch sich der Schuss gelöst hat. Das war so nicht geplant. Außerdem war im Laden irgendetwas anders, als er es erwartet hat. Er ist kurz nach dem Betreten des Ladens mit einem Mal total abgedreht.“ Sie nahm einen Schluck von der Kräuterlimonade.

      „Wird ein Junkie auf Dope gewesen sein“, warf Katja ein.

      ­Melanie schüttelte erneut den Kopf. „Das denke ich nicht. Ich wette, ­Jühlich wusste, dass der Überfall stattfinden würde, und wollte dem Täter die Steine geben ! Wenn ihr mich fragt, war das ein geplanter Versicherungsbetrug. Versicherungssumme kassieren und gleichzeitig die Diamanten verkaufen ! Nur die Kugel kam unverhofft dazwischen !“

      Siggis Blick verriet ihr, dass er noch nicht überzeugt war. „Bisschen viel Aufwand, findest du nicht ? Ein fingierter Einbruch wäre viel einfacher gewesen. Hast du deine Gedanken der Kripo mitgeteilt ?“

      „Dazu war keine Zeit. Ich bin morgen wegen meiner Aussage im Präsidium. Bin gespannt, was die Herrschaften herausgefunden haben.“

      Er lachte. „Was für ein Glück, dass ­Schubert und ­Kimmerle ermitteln. Übertreib es aber nicht damit, den beiden auf den Nerv zu gehen.“

      ­Melanie verzog das Gesicht.

      Er wechselte plötzlich das Thema. „Sag mal, wie geht es deiner Schwester ? Hattest du nicht gestern den Termin mit dem Arzt im Pflegeheim ?“

      „Unverändert. Dr. Voigt kann sich nach wie vor nicht erklären, warum Anja im Wachkoma liegt, obwohl ihr Gehirn anscheinend tadellos arbeitet. Das einzig Neue ist, dass sie von einem anderen Pfleger betreut wird, der vor ein paar Tagen im Heim begonnen hat. Er scheint nett und kompetent zu sein.“

      Katja legte die Hand auf ­Melanies Arm. „Wenigstens etwas. Gibt es denn eine realistische Chance,