Der Computer zog das Holo wieder ein.
»Wann geht es los?«, fragte Conroy.
»Heute Abend noch bringt Sie ein Interkont-Shuttle nach Delhi. Von dort aus können Sie einen Hovercarrier nach Kaschmir bekommen. Damit wäre wohl alles besprochen.« Er stand auf und fuhr fort: »Halten Sie sich an den Major. Er hat alles für Ihre Legende vorbereitet. Lassen Sie sich die Unterlagen aushändigen und lernen Sie sie auswendig. Er wird sich auch um Ihre Ausrüstung kümmern. Viel Glück, Conroy. Und – enttäuschen Sie mich nicht.«
Morton verzichtete darauf, auf diese Floskel eine Antwort zu geben.
Es ist immer das gleiche, dachte er. Irgendwer baut Scheiße, und ein anderer bringt diese Scheiße wieder in Ordnung. So funktioniert die Welt! Ob diese Prämisse auch fürs übrige Universum zutrifft?
An der Tür wandte er sich noch einmal um.
»Eine letzte Frage, Sir! Wieviel weiß dieser Ray Haan über mich, über diese Aktion?«
Oberst Sheehy starrte für mehrere Sekunden ins Leere. »Nichts«, antwortete er dann. »Für ihn sind Sie nichts weiter als ein verrückter, weil offensichtlich lebensmüder Ethnologe, der sich für das archaische Leben der tibetanischen Bergmönche interessiert und sich den Teufel um die brisante Lage in dieser Region schert.«
TEIL ZWEI: DAS TOR ZUR HÖLLE
Ein Held ist jemand,
der sich zur falschen Zeit
am richtigen Ort befindet
und dumm genug ist,
dort zu bleiben...
SPRICHWORT DER MAORI
6. Kapitel
Der Hovercarrier senkte sich mit heulenden Hubtriebwerken auf das Flugfeld Schrinagars hinunter, setzte auf und federte tief durch.
Conroy löste den Gurt.
Die Leuchtschrift forderte die Insassen zum Verlassen der Maschine auf.
Conroy nahm sich Zeit.
Die knapp zwei Dutzend Passagiere waren überwiegend japanische Geschäftsleute und ein paar junge Chinesinnen. Ihre Bewegungen und das schnelle Plappern ihrer lackierten Münder verrieten die Zugehörigkeit zu einer Kategorie von Mädchen, deren Gewerbe zu einem der ältesten auf der Erde gehörte. Sie alle drängelten sich um den Ausgang, als gälte es, jede Sekunde des Aufenthaltes auszukosten. Sie warfen ihm herausfordernde Blicke zu, kicherten und wiegten sich in den geschlitzten Seidenkleidern wie Bambus im Wind.
Conroy grinste matt und verließ nach ihnen das Shuttle.
Sonnenlicht und Hitze trafen ihn wie ein Faustschlag.
Lautsprecher wehten ein undeutliches Willkommen herüber.
»Schrinagar heißt Sie willkommen. Ihre Ankunftszeit ist...«
Das Transportband trug ihn zusammen mit den anderen Passagieren der Sicherheitszone und deren Kontrollen entgegen.
»... bitte benutzen Sie Ausgang Zwei und leisten Sie den Anweisungen des Personals Folge...«
Noch bevor er die Halle erreichte, war das Shuttle bereits wieder in Richtung auf Delhi gestartet. Sekunden später verschmolz es mit dem klaren Himmel.
Morton Conroy trat vom Band herunter und ging durch den breiten Eingang. Er schrak etwas unter dem Strom kühler Luft zusammen, der aus den Gittern an der Decke kam, und ging tiefer in die Halle hinein. Fast reflexartig glitt sein Blick über die ihn umgebende Menge; es gab eigentlich keinen Grund dafür, aber in den Jahren beim Militär war es ihm zur Gewohnheit geworden, in Menschenansammlungen einzelne Gesichter zu betrachten. Man wusste ja nie, woher die Kugel oder die Klinge eines Attentäters kommen konnte. Aber die Leute in der Halle waren nur darauf aus, Reisende zu begrüßen oder zu verabschieden.
Plötzlich spürte er, wie sich seine Rückenmuskeln verhärteten.
Gefahr?
Er besaß keine telepathischen Fähigkeiten, aber ein ausgeprägtes Gespür für außergewöhnliche Stimmungen oder gefährliche Situationen. Mitunter war das recht hilfreich; in vielerlei Hinsicht. Suchend blickte er umher, als erwarte er jemanden, der ihn abholen kommen würde.
Das Gefühl wurde zur Gewissheit, als er vier in graugrünen, gepanzerten Uniformen steckende Soldaten des Pan-Pazifischen Blocks am Ausgang entdeckte. Eine unterschwellige Drohung ging von ihnen aus; die klobigen, schallgedämpften Maschinengewehre mit dem daruntergesetzten Rohr für panzerbrechende Lenkprojektile trugen sie feuerbereit in den Armbeugen, und eine gewisse Spannung war zu erkennen, als sich die kleine Gruppe der Reisenden vor der Passkontrolle aufreihte.
Der Beamte prüfte übertrieben sorgfältig die Dokumente.
Es ging nur schleppend voran.
Stimmen voller Ungeduld flogen hin und her.
»... wir suchen«, antwortete der Sicherheitsbeamte am Durchgang auf die Frage eines Passagiers, »nach ein paar flüchtigen Verbrechern.«
»Na, dann komme ich ja wohl nicht in Frage, oder?« Die dünne Stimme gehörte einer ebenso dünnen Frau mit spitzem Gesicht und wässrigen Augen. Neben den abstehenden Ohren war das Bemerkenswerteste an ihr ein riesiger Dutt aschblonder Haare. Jetzt lachte sie meckernd wie eine nepalesische Bergziege zu ihrer Bemerkung.
Stirnrunzelnd musterte sie der Beamte. Dann verzog er ärgerlich das Gesicht, warf ihr ihren Pass zu und schnappte: »Wohl kaum, Madam. Gehen Sie weiter!«
Als Conroy an der Reihe war, zückte er seinen ID-Chip und reichte ihn dem Mann. Obwohl keine Information auf dem Datenträger der Wahrheit entsprach, war Morton recht zuversichtlich, ohne Schwierigkeiten passieren zu dürfen.
Der Beamte warf einen kurzen Blick darauf und schob sie dann in das Lesegerät vor ihm.
»Was ist der Zweck Ihres Besuches in Schrinagar, Mister Conroy?«, fragte er und ließ den Monitor nicht aus den Augen.
Conroy wusste, was jetzt geschah.
Der Computer würde in einen Dialog mit dem Netzwerk des PPB treten, um die auf dem Chip gespeicherten Informationen in Relation zu den Suchkriterien der sicher bestehenden Fahndungslisten zu setzen. Auf allen größeren Shuttleports und Interkont-Flughäfen der Welt wurde es so gehandhabt.
Das übliche Verfahren eben.