Voll verliebt im Tor. Ulrike Bliefert. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ulrike Bliefert
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия:
Жанр произведения: Учебная литература
Год издания: 0
isbn: 9783401803616
Скачать книгу
Auto, schloss die Tür und rief: »Huuu! Fieser Gangster!«

      Wie ein geölter Blitz sprang Püppi in den Wagen und schaute sich zähnefletschend und knurrend nach dem vermeintlichen Übeltäter um. Zack, war die Heckklappe zu. Püppi wurde gelobt und gekuschelt und dann waren endgültig nur noch die Rucksäcke und der Reiseproviant zu verstauen. Es konnte losgehen!

      Hotte und Oma würden mit dem Zug nachkommen, sobald der Möbelwagen beladen und das Haus endgültig leer und abgeschlossen war.

      »Schnick, schnack, schnuck.« Paul und Paula spielten um das Recht auf den Beifahrerplatz. »Schere schneidet Papier!«, feixte Paul.

      Pech gehabt, dachte Paula und verzog sich auf den Rücksitz, während Paul sich vorne neben ihrer Mutter anschnallte.

      Es war genau dieser Moment, der sich später wie die Endlosschleife eines Filmclips immer wieder in ihrem Kopf abspulen sollte.

      Doch jetzt ging es erst einmal durch die verstopfte City Richtung Autobahn. Fünf langweilige Stunden lagen vor ihnen; mindestens! Paul hatte sich das Hertha-Lexikon gekauft, stöberte darin herum und stellte am laufenden Band irgendwelche Quizfragen: »Woher stammt der Name Hertha?«, »Wie hießen die Vereinsgründer?«

      Irgendwann hielt sich Paula demonstrativ ihren Krimi vor die Nase und schaltete auf Durchzug. Das ging eine ganze Weile gut. Aber kurz vor Berlin legte er wieder los: »Wer war bei Hertha der erfolgreichste Spieler aller Zeiten?«, »In welchem Jahr stand Hertha im UEFA-Cup-Halbfinale?«

      »Paul, du nervst!«

      »Wie heißt das Vereins-Maskottchen?«

      »Käpt’n Blaubär?« Paula hatte definitiv die Nase voll.

      »Herthinho«, antwortete Gesine Schmidtke zu Pauls und Paulas Verblüffung.

      »Wow!« Paul war hin und weg. Normalerweise interessierte sich seine Mutter nicht die Bohne für Fußball. Begeistert setzte er gleich noch einen drauf: »Und was bedeutet die Abkürzung BSC?«

      »Blöd, schlapp, chancenlos«, antwortete Paula wie aus der Pistole geschossen.

      Paul fand das gar nicht komisch. »Quatsch, das heißt Berliner Sport…«

      Der Rest ging in ohrenbetäubendem Lärm unter. Metall knirschte auf Metall, dann ein dumpfer Schlag, als der Wagen gegen die Leitplanke prallte. Splitterndes Glas und schließlich Stille und Dunkelheit.

      Irgendwann drangen aufgeregte Stimmen in das dumpfe, pulsierende Rauschen, das Paula von Kopf bis zu den Füßen auszufüllen schien:

      »… mit maßlos überhöhter Geschwindigkeit …«

      »… typischer Raser …«

      »… wahrscheinlich von der Fahrbahn abgedrängt …«

      »… schwer verletzt …«

      Paula schlug die Augen auf. Ein Feuerwehrmann nickte ihr beruhigend zu, öffnete die Wagentür, löste den Anschnallgurt und zog sie vorsichtig heraus. Das Rauschen hörte nicht auf.

      »… nichts passiert …«

      »… alles gut …«

      Als der Mann sie auf den Armen in Richtung der rotierenden blauen Lichter trug, schaute Paula zurück. Das Wrack der Schmidtke’schen Familienkutsche war von Feuerwehrleuten umringt. Durch das Beifahrerfenster konnte sie das Gesicht ihres Bruders erkennen. Er war aschfahl. Seine Augen waren weit aufgerissen. Dann verdeckte ein Feuerwehrmann die Sicht. Er hatte so etwas wie eine Kreissäge in den Händen.

      Auf dem Grünstreifen stand ein Polizist und telefonierte. Nicht weit davon entfernt brannte ein schwarzer Sportwagen.

      Schnick, schnack, schnuck, dachte Paula. Schnick, schnack, schnuck: Schere schneidet Papier. Ich hätte da vorne gesessen, wenn … wenn …

      Verzweifelt versuchte sie, einen klaren Gedanken zu fassen. Dann holte sie die Dunkelheit wieder ein.

      Es gab Kassler Braten mit Klößen. Paula musste schon beim Anblick würgen. »Ich bin Vegetarierin«, erklärte sie kategorisch.

      Die hektische junge Krankenschwester schaute sie verständnislos an und zuckte die Achseln. »Muss ich ansagen. Dann isst du heute halt nur das Sauerkraut und die Klöße.«

      »Klöße find ich obereklig. Fieser, fader Schwabbelkram.«

      »Sonst noch was?«, fragte die Schwester ungnädig und griff nach dem Teller. »Um halb vier gibt’s Kuchen. Wenn du bis dahin mit ’nem Apfel auskommst …«

      Paula nickte. »Kein Problem.«

      Die Schwester brachte ihr einen Apfel vom Essenswagen und verließ kopfschüttelnd das Zimmer.

      »Danke. Morgen bin ich eh nicht mehr da«, zwitscherte ihr Paula munter hinterher.

      Hotte hatte ihr gleich nach dem Frühstück die frohe Botschaft überbracht: Püppi war nach einer Nacht im Tierheim von Oma Helga abgeholt worden und hatte den Unfall offenbar ohne bleibenden Schaden überstanden. Mama trug wegen des Schleudertraumas eine Halskrause und hatte auf ihrer linken Körperseite ein Muster blauer Flecken von der Größe einer Schullandkarte. Aber ansonsten war sie okay.

      Und Paul hatte ein Gipsbein. Nicht weiter tragisch.

      »Es ist ein Wunder, dass ihr alle da einigermaßen heil herausgekommen seid«, hatte Hotte gemeint.

      Paula seufzte und biss herzhaft in ihren Apfel: Sie selbst hatte bei dem Unfall nicht mal einen Kratzer abbekommen. Die hatten sie nur zur Beobachtung in der Klinik behalten. Zwar war das Auto hin und die kleine Nachbarschaftsparty, die Carlottas Mutter zum Einzug organisiert hatte, war ins Wasser gefallen. Aber die Versicherung würde das Auto ersetzen und die Willkommens-Party … Wie aufs Stichwort klingelte das Telefon und Carlotta war am Apparat:

      »Kannst du singen?«

      »Wie? Jetzt sofort?« Paula war einigermaßen perplex über die Frage.

      »Quatsch. Wir proben mit der ganzen Klasse schon seit letztem Schuljahr Hair. Das Musical. Zusammen mit Axelschweiß.« »Mit wem?!«

      »Axelschweiß. Unsere Schulband. Axel mit X. Wegen Alexander von Humboldt, verstehst du?«

      »Klar!« So hieß ja ihre neue Schule. – »Super. Und?«

      »Eine von den Hauptrollen ist geplatzt.«

      »Was?!«

      »Na, die Maja, eine aus unserer Klasse, die musste von heut auf morgen umziehen. Nach Hannover. Und jetzt muss die Rolle natürlich neu besetzt werden.«

      »Aha …?« Paula verstand immer noch nicht, worauf Carlotta hinauswollte.

      »Und weil wir alle Songs auf Englisch singen und du doch total gut Englisch kannst, da dachte ich …«

      »Ja, schon, aber …«

      »Ich fänd das soooo cool, wenn du statt Maja die Jeannie spielen würdest! Das ist so ein freches, schwangeres Hippie-Mädchen.«

      Paula musste sofort an ihre Oma denken. »Könnte lustig werden«, stimmte sie Carlotta zu.

      »Super! Ich helf dir auch beim Textlernen«, versprach Carlotta. »Ich spiel übrigens die Sheila«, schwärmte sie weiter, »das ist so ’ne gaaanz Brave.«

      Wundert mich irgendwie nicht, dachte Paula.

      »Also soll ich Peachie sagen, dass du die Rolle übernimmst?«, fragte Carlotta ungeduldig.

      Peachie, das war der schöne Dr. Pesch. Französisch »pèche«, auf Deutsch übersetzt »Pfirsich«, das Ganze auf Englisch: »peach«. Und schließlich verniedlicht Peachie. Die Mädchen an der Humboldt-Oberschule himmelten ihn an wie einen Popstar.

      »Okay«, meinte Paula trocken.

      »Juuuuuuuuuuuuuuu-huuuuuuuuuuuuu!!!«