Nummer 1290 nannte sich Jefferson's Hotel, aber die Bezeichnung 'Hotel' war eine maßlose Übertreibung. Die Fassade blätterte von den Wänden und der komplette dritte Stock machte den Eindruck, dass dort schon seit Jahren niemand mehr wohnte.
Orry und Cleve hatten ihren Wagen so geparkt, dass sie den Eingang des 'Hotels' gut überblicken konnten.
Die Kollegen Les McClell und Joe Dornberg trafen etwas später ein. Die uniformierten Kollegen hatten Anweisung, sich strikt im Hintergrund zu halten.
"Wir gehen jetzt rein", kündigte ich den Kollegen über Funk an. "Ist die hintere Front des Gebäudes abgeriegelt?"
"Es kommt keiner raus, ohne dass wir das mitkriegen", meldete sich Agent Delladonna.
"Okay", murmelte ich. "Lew und ich gehen da jetzt rein und sehen mal zu, ob Vandermoore in seinem Zimmer ist."
"Nichts auf eigene Faust riskieren!", warnte Orry.
"Wir nehmen ihn erst fest, wenn er rauskommt."
"Gut." Ich wandte mich an Lew. "Du folgst mir in zwei Minuten."
"Gut."
Wenn wir versuchten, mit großem Aufgebot in das Hotel einzudringen, dann konnte Vandermoore uns durch das Fenster womöglich beobachten. Eventuell igelte er sich dann ein oder nahm Geiseln. Und selbst zwei G-men in Zivil konnten schon Verdacht erregen.
"Sei vorsichtig, Alter!", sagte Lew, als ich die Wagentür bereits halb geöffnet hatte.
"Wird schon schief gehen!"
Ich ging über die Straße, erreichte dann den Eingang von Jefferson's Hotel. Die Eingangshalle verdiente den Namen kaum. Es roch muffig. An der Rezeption saß ein Mann mit grauen Haaren und dem Gesicht voller Altersflecken. Er blickte mißtrauisch auf.
Bevor er etwas sagen konnte, hatte ich ihm den FBI-Dienstausweis auf den Tresen gelegt.
Sein Gesicht wurde starr.
Ich zeigte ihm ein Foto von Vandermoore.
"Nie gesehen", behauptete der Mann, noch ehe er überhaupt richtig hingesehen hatte.
"Wir wissen, dass dieser Mann hier wohnt", erwiderte ich.
"Es handelt sich um einen Profi-Killer. Egal wie viel er Ihnen für Ihr Schweigen geboten hat - Sie sollten sich da nicht in Dinge reinziehen lassen, die ein paar Nummern zu groß für Sie sind. Das ist es nicht wert."
Er sah mich an, schien nachzudenken.
"Welches Zimmer hat er?", fragte ich.
"Nummer 12, im ersten Stock."
"Ist er hier?"
"Nein."
"Geben Sie mir den Schlüssel."
"Den habe ich nicht. Er hat gesagt, er bringt mich um, wenn ich auch nur einen Schritt in das Zimmer mache, solange er es gemietet hat. Weiß der Teufel, was er da oben aufbewahrt."
Ich lächelte dünn. "Und Sie halten sich immer schön an die Anweisungen Ihrer Gäste..."
Der alte Mann zuckte die Achseln.
Er grinste breit.
"Ist gesünder!"
"Sie werden sicher einen Ersatzschlüssel haben. Für alle Fälle."
Er zögerte, dann drehte er sich um, nahm ihn von der Wand und gab ihn mir. Lew trat jetzt ein. Wie alle anderen Kollegen, die an diesem Einsatz beteiligt waren, hatte er über das Mikrofon an meinem Hemdkragen alles mitgehört.
Ich drehte mich zu ihm herum.
"Ich werde mich oben mal umsehen", meinte ich. "Pass du auf, dass unser Freund hier keine Dummheiten macht..."
"In Ordnung."
Mit großen Schritten nahm ich die Treppe. Einen Aufzug gab es hier nicht.
Nur Augenblicke später stand ich vor Nummer 12.
Vielleicht fand ich in seinem Zimmer ja irgendeinen Hinweis auf das, was 'die Bestie' als nächstes vorhatte.
Ich steckte den Schlüssel ins Schloss, drehte ihn herum und öffnete.
Das Zimmer sah chaotisch aus.
Leere Pizza-Schachteln bedeckten den Boden.
Kleidungsstücke lagen überall verstreut herum. Auf einem etwas wackelig wirkenden Tisch lag neben dem Telefon eine Ausgabe des 'Penthouse'. Auf der linken Brust der Titelschönheit stand in krakelige Handschrift eine Adresse.
234 Cedar Street, App.321.
Orry meldete sich über den Ohrhörer.
"Er kommt, Murray. In einem hellblauen Ford." Ich machte einen Schritt zur Seite, sah aus dem Fenster. Der hellblaue Ford parkte gerade in einiger Entfernung.
Dann hörte ich das leise tickende Geräusch.
Es klang fast wie der regelmäßige Schlag eines Metronoms.
Eine Uhr...
Ich drehte mich um.
Mir fiel mir die Lichtschranke auf.
Sie war so an der Fußbodenleiste angebracht, dass man sie durchschritt, sobald man weiter als einen Meter in den Raum getreten war...
"Verdammt..."
Sekundenbruchteile später brach um mich herum eine Explosionshölle los...
21
Rod Vandermoore zögerte, bevor er ausstieg. Er blickte sich um, beobachtete die wenigen Passanten auf den Bürgersteigen.
Zu wenige!, dachte er.
Er hielt inne.
'Die Bestie' hatte einen sechsten Sinn dafür, Gefahren aus dem Weg zu gehen. Nur einmal hatte dieser Instinkt versagt.
Als man ihn geschnappt hatte. Aber da war er verraten worden. Ein Hubschrauber kreiste über dem Viertel.
Vielleicht nur, um den Stau auf dem nahen City Leighway zu beobachten...
Alles schien ruhig.
Ein Mann drückte an den Früchten eines Obsthändlers herum, schien sich aber nicht sonderlich dafür zu interessieren. Unter dem dünnen Jackett drückte sich etwas ab, das gut und gerne eine Waffe sein konnte.
Sekunden verstrichen.
Vandermoore griff unter den Fahrersitz. Dort hatte er eine Uzi-MPi und zwei Handgranaten griffbereit verstaut, die er sich von einem alten Bekannten vor zwei Stunden besorgt hatte. Im Hosenbund steckte außerdem eine Automatik. Der dazugehörige Schalldämpfer befand sich im Handschuhfach.
Vandermoore legte die Uzi griffbereit auf den Beifahrersitz, ließ die Seitenscheibe herunter.
Sein Blick streifte eine Fensterfront auf der anderen Seite.
Ein Schatten zeichnete sich für Sekundenbruchteile hinter dem spiegelnden Glas ab.
Ein Scharfschütze in voller Montur!
Ein Cop!
Der Instinkt hatte Vandermoore nicht getrogen.
Er ließ den Motor des Ford aufheulen. Mit quietschenden Reifen brach er aus der Parklücke aus, fuhr zur Mitte der Straße und drehte.
Der Wagen rutschte quietschend herum, das Heck brach aus.
Aus mehreren Zivilfahrzeugen sprangen Bewaffnete heraus, brachten ihre Waffen in Anschlag.