Aber dann sind es wenigstens die englischen Brownings, mit denen sie sich auskennen. Außerdem muss dafür Jerry dann ganz allein die Verantwortung tragen.
»Präsidium Köln, Herr Hauptkommissar!«, winkt Liszt mit der Hand zu ihm rüber und stellt durch.
Nein! Bloß nicht noch eine Wohnung aus Köln! Aber es ist nicht der kölsche Singsang des K-Leiters vom Waidmarkt.
»Kolzow. Ingeborg Kolzow. Kriminalrätin!« Eine kühle Frauenstimme.
»Ja? Benedict. Kripo Düsseldorf. Was ...?«
»Frau Staatsanwältin Meerkämper aus Berlin hat mit mir gesprochen. Über Ihre ... Probleme mit Maria ... Maria Leiden-Oster! Sie war nämlich ein paar Jahre unter meinen Fittichen. Früher ... als ich noch das Zwote bei uns geleitet habe!«
Was mache ich bloß mit der? Ausgerechnet jetzt ...
»Ja, ich verstehe, Frau Kollegin. Es gibt da nur für mich ein Problem ... im Moment bin ich mit anderen Sachen sehr beansprucht. Könnten wir das vielleicht, sagen wir, in zwei Wochen ...«
»Ich weiß, was Sie meinen, Herr Kollege! Allerdings ... nach allem, was mir Frau Meerkämper mitgeteilt hat ... es wäre sehr tragisch, wenn da was passiert!«
»Tragisch? Passiert? Übertreiben Sie da nicht ein wenig, Kollegin?«
»Mir wäre wohler, wenn dem so wäre. Damit Sie sich eine Meinung bilden können, müssten Sie sich erst ... etwas ansehen. Hier in Köln!«
Diese Stimme klingt zu ruhig und abwägend, um für blinden Aktionismus zu stehen. Benedict hört echte Sorge aus der Stimme am anderen Ende. Was ist nur gestern Abend gewesen? Irgendwas hat die MLO doch zu ihm gesagt, als er sie nach Ganser gefragt hat.
»Wie lange würde das dauern, bei Ihnen in Köln?«
»Ungefähr eine Stunde.«
Benedict sieht auf die Wanduhr. Viertel vor zwölf. Dreiviertel Stunde bis Köln. »In Ordnung. Bin gegen halb eins am Haupteingang!«
Von der Fahrbereitschaft aus ruft er noch mal kurz im Ersten an und versucht Ganser zu erreichen, aber der ist unterwegs. Von Läppert erfährt er, dass sich die Kommissarin krank gemeldet hat. Für einen Augenblick hat er ein flaues Gefühl im Magen.
Bedingt durch die üblichen Schwierigkeiten auf den Kölner Ringen schafft es Benedict bis zwanzig vor eins. Am Haupteingang wird er nur vom Pförtner empfangen: »Kommt sofort, die Kriminalrätin!« Solange vertritt sich Benedict auf ungewohntem Terrain die Beine. Trotz allem ein schöner Tag heute. Wasser plätschert in einem Brunnen auf der anderen Straßenseite. Die kleine St.-Georg-Kirche gegenüber stiehlt mit ihren wuchtigen Kalksandsteinen dem dreizehnstöckigen Polizeipräsidium die Schau. Trotz des immensen Größenunterschiedes scheint die kompakte Kirche größere Macht auszustrahlen. Da nützen auch die großen Antennen auf dem Dach des Präsidiums nichts.
Es hupt. Eine Tür in dem grün-weißen Polizeiwagen steht offen.
»Wir können mit dem Einsatzfahrzeug fahren!«
Die Frau ist wie ihre Stimme. Freundlich, besonnen und bestimmt, mit der Sicherheit einer berechtigten Position.
»Wo fahren wir hin, Kollegin?«
»Nach Köln-Merheim. In die Rheinische Landesklinik.«
»Da müssen Sie mir was zeigen? Um was geht es? Was hat das mit der Kommissarin Leiden-Oster zu tun?«
Darüber möchte Ingeborg Kolzow jetzt noch nicht reden. So verläuft die fünfzehnminütige Fahrt schweigend. Sie überqueren den Rhein über die Severinsbrücke und kommen durch Kalk. Auf den Straßen allgegenwärtiges, kölsches Grinsen. Uralt-Granadas und Ascona-Wracks. Dann biegen sie von der Olpener Straße rechts ab und fahren neben der Autobahn durch freies Feld, bis ein weißes Hinweisschild auftaucht: Rheinische Landesklinik. Sie erreichen die modernen Hochgebäude in grüner Kunstlandschaft. Ein großes Schild. Landschaftsverband Rheinland. Rheinische Landesklinik Köln. Fachklinik für Psychiatrie.
Hauptkommissar Benedict wirft der Kölner Beamtin einen unruhigen Blick von der Seite zu und runzelt betont die Stirn. Die Frau sieht weiterhin bewegungslos nach vorn.
Eine elektronische Schranke öffnet sich vor dem Polizeiwagen. Das Fahrzeug halt vor einem hohen Gebäude mit vielen Fenstern. »Wir sind da«, sagt die Frau neben ihm und steigt aus. »Ungefähr zwanzig Minuten!«, weist sie den Fahrer an.
Neben den breiten Glastüren des Eingangs ein neues Schild. Allgemeine Psychiatrie. Rehabilitation. Wie ruhig es hier ist. Benedict folgt still seiner Begleiterin, die sich hier auszukennen scheint. Sie werden erwartet.
»Das ist Herr Benedict von der Kripo Düsseldorf. Können wir sie jetzt sehen?«
»Natürlich.« Die Ärztin im weißen Kittel geht vor ihnen zum Aufzug. Benedict denkt während der kurzen Fahrt an das Paternoster-Monstrum im Düsseldorfer Präsidium und schüttelt sich.
»Ist Ihnen kalt?«
Bevor die Ärztin im dritten Stock auf den Türsummer drückt, wendet sie sich nochmals an Benedict. »Bemühen Sie sich bitte, ganz locker und normal zu reagieren!«
Der Hauptkommissar dreht sich hilfesuchend nach seiner Kollegin um, schaut aber nur in ein verschlossenes Gesicht. Verkrampft betritt der Kriminalbeamte daraufhin die Station.
Aus einem kleinen Raum mit einem Glasfenster kommt ein junger Mann in Jeans und Pullover, der sie freundlich begrüßt. In dem Zimmer sitzen zwei weitere, ebenfalls junge Männer und trinken Kaffee. Der Freundliche schließt eine andere, dicke Milchglastür auf und lässt sie ein.
Nach der Ruhe draußen könnte der Gegensatz nicht krasser sein. Eine Hand zupft an seinem Jackenärmel, zerrt dann heftiger an ihm. Erschrocken sieht er in ein aufgedunsenes Gesicht mit den hin und her rollenden Augen, »’ne Aktive? Haste ’ne Aktive da? Nur eine einzige Lulle. Bitte, bitte, bitte!«
Ein weißgekleideter Mann fasst die Frau mit der Reibeisenstimme beruhigend um die Schulter und drängt sie weg. »Lass den mal, Else, der hat bestimmt keine!«
»Hab' doch aber ganz schön bitte, bitte gemacht ...«, wimmert die Frau jetzt ängstlich vor sich hin und lässt sich willig wegführen.
Sie stehen in einem weiten, hellen, freundlichen Saal mit großen Fenstern auf ein parkähnliches Rasengelände. Es gibt mehrere kleine Rundtische mit grauen Kunststoffsesseln, auf denen unruhige Menschen sitzen. Frauen. Nur Frauen. Bis auf die zwei weißgekleideten Männer. Laute Stimmen bilden eine an den Nerven zerrende Geräuschkulisse unterschiedlichster Tonlagen. Auf der anderen Seite steht eine Schwarzhaarige in einem sackartigen Pullover vor der nackten Wand. Sie legt den Zeigefinger an die gespitzten Lippen, macht »pssst«, streckt den Finger gegen die Wand und sagt laut »Du!« Dann wieder zurück mit dem Finger vor den Mund. »Pssst. Du! Pssst. Du! Pssst. Du!«
Eine magere Rothaarige umrundet in kurzen eiligen Schritten das große Geviert. Immer eng an der Wand entlang. Bei der Frau mit dem Zeigefinger bleibt sie stehen und macht ein Geräusch wie eine pfeifende Lokomotive: »Hhüüüt!« Die Fingerfrau tritt einen Schritt zurück, vorbei ist die Rothaarige und macht wieder einen Schritt an die Wand. »Pssst. Du! Pssst. Du! Pssst. Du!« »Hhüüüt!« - »Pssst. Du! Pssst. Du!«
»Schöööner blonder Mann!«, kreischt eine dicke Blonde von einem der kleinen Tische herüber. »Willst du an meiner Muschi spielen?« Die anderen Frauen bei ihr geben kreischende Töne von sich, hysterisch aufgeregtes Gelächter.
»Nu, nu. Ist aber gut!«, sagt einer der stämmigen Männer und tritt an den Tisch heran.
Die Frauen in dem Saal verursachen Benedict starkes Unbehagen. Was soll er hier? Das Gesicht der Ärztin ist dicht an seinem rechten Ohr. »Wenn Sie bitte dorthin sehen wollen!«
Auf einem Rollstuhl in der hinteren Ecke des Saales sitzt