Ihre Bemühungen sind auf fruchtbaren Boden gefallen.
Jedenfalls wechseln sich zwei junge Männer, Freunde offenbar, als ihre Tanzpartner ab. Sie haben ein paar Gläser zusammen getrunken, ein paar Takte gequatscht, auch schon mal zwei, drei langsame Sachen zum Stehendschmusen genutzt. Ganz locker alles.
Mittlerweile ist es schon Donnerstag geworden. Es ist drückend heiß und laut in dem immer noch vollen Schuppen.
»Ich glaub’, ich geh’ mal 'n bisschen an die frische Luft, eh!«, versucht Blondie den Höllenlärm zu übertönen. Die beiden Freunde werfen sich einen kurzen Blick zu.
»Klar! Is’ ja auch heiß hier. Aber gehst besser nicht alleine um diese Zeit!«
»Sonst passiert dir noch was an der frischen Luft!«
Die Stimme des anderen jungen Mannes hat einen raspelnd rauen Klang. Aber das merkt bei dieser Musik niemand. Und außerdem kennt man sich doch. Sieht sich ja fast jede Woche hier oder da. Was soll da schon sein!
Draußen ist es erfrischend kühl. Das Wetteramt Essen meldet für die Nacht von Mittwoch auf Donnerstag 7 bis 10 Grad Celsius.
Aber nicht kühl genug, um die hitzigen Gedanken der beiden jungen Männer wieder auf Normalpegel zu bringen. Sie nehmen ihre bunte Tänzerin in die Mitte. »So kann dir überhaupt nichts passieren!«
Das Mädchen ist von der plötzlichen Enge nun doch irritiert - schließlich ist man ja nicht mehr auf der Tanzfläche versucht einen befreienden Scherz: »Ja, klar. Zwei Schmalspur-Tarzans aus Wersten. Auch ’n Schutz!«
Als die beiden Nachtbegleiter sich mit ihr zielsicher nach links wenden wollen, bleibt sie abrupt stehen und sagt fest: »Nein, da will ich nicht lang! Das ist mir ... zu dunkel!«
Dort, hinter der Autobahnbrücke, liegt der Stadtwald. Und ein kleiner Parkplatz, der gerne von Pärchen in ihren Autos benutzt wird. Wenn es dunkel ist.
Wieder dieser Blick zwischen den jungen Männern. Hier, direkt vor der Tür des Yuppi Du, wollen sie nichts riskieren. Ein eingespieltes Team mit vielen Erfahrungen. »Logisch! Nehmen wir doch die andere Richtung!« Erleichtert akzeptiert sie den neuen Weg. Wenn auch die beiden erhitzten Männerkörper sich fester und fester an das Mädchen zu drängen versuchen.
Gegenüber, in der dunklen Einfahrt zum Werksgelände von Krupp wird ein Motor angelassen.
Die zwei Disco-Jungen fangen an, einen gerade gängigen Hit zu singen. Das Ablenkungsspiel beginnt. Das Mädchen singt mit. Im Takt marschieren drei ausgelassene, junge Menschen die nachtdunkle Straße hinauf, lachend und singend, Blödsinn machend. Ein Spiel. Das blonde Mädchen verliert seinen lila Lackschuh bei den immer schneller werdenden Taktschritten auf dem holprigen Fußgängerweg. Bevor es sich danach bücken kann, hat einer der Begleiter sich den Schuh geschnappt. Ein Pfand. Der zweite Teil des Spieles.
Aus der Krupp-Einfahrt biegt ein VW-Bus in gemächlicher Fahrt auf die Hildener Straße Richtung Benrath ein. Der Fahrer hat vergessen, die Scheinwerfer einzuschalten. Sicher ein übermüdeter Spätschichtler auf der Heimfahrt.
Das Spiel wird hitziger. Die beiden Männer spielen >Bäumchen Wechsel dich< mit Mädchen und Schuh. Ohne es aus der engen Umklammerung zu lassen, stecken sie sich gegenseitig das Beutestück zu. »Und was bekomme ich, wenn ich ihn dir wiedergebe? Einen Kuss, ja?«
Die junge Frau ist des Spielens schon mehr als überdrüssig, willigt aber doch ein. Es muss endlich Schluss sein! Kaum dass sie sich gegen die schnelle, klebrige Zunge in ihrem geöffneten Mund wehren kann.
»Und jetzt den Schuh!«
Aber mit empörter Stimme kommt die raue Antwort: »Jetzt hat mir doch dieser verfluchte Hund dabei deinen Schuh geklaut! Gemein!«
»Her mit dem Schuh, du Mistkerl!«, versucht sich das Mädchen auf den anderen zu stürzen, aber während dessen Freund ihren Körper fest umschlossen hält, fühlt sie schon seine heißen Lippen auf ihrem Gesicht. Jetzt, als das Spiel vor der letzten Phase steht, versucht sie mit Weinen die Situation zu ihren Gunsten zu wenden. Zu spät. Das hitzige Geplänkel hat sie in die stockdunkle Sackgasse an der Telleringstraße verschlagen.
Auch der VW-Bus, immer noch ohne Scheinwerferlicht, hat hinter den dreien langsam die Hauptstraße verlassen und hält neben dem Gebäude der Firma Robot. Niemand steigt aus. Dünne Auspuffwolken zeigen Leerlauf an.
Nein. Das ist kein Spiel mehr. Hier geht es nicht mehr weiter. Vorne nur noch die Begrenzungsmauer der Bahngleise und rechts die finsteren Lagerschuppen des DB-Frachtgeländes.
Kein Hilfe versprechendes Licht aus dem lange geschlossenen Lignano. Das Mädchen fühlt sich urplötzlich von starken Männerkörpern an die Betonwand gepresst, harte Hände zwischen ihren Schenkeln, andere Hände an den schweißnassen Brüsten.
Sie öffnet den Mund zu einem aussichtslosen Schrei, ein Stofffetzen wird zwischen ihre Lippen geschoben und bringt sie zum Würgen. Tränen verschmieren die kunstvoll aufgelegten Farben.
»Jetzt!«, sagt ruhig die Frauenstimme auf dem Beifahrersitz des VW-Busses. Der Motor des Wagens kreischt übertourig auf. Räder drehen durch. Zentimeter vor der Mauer kommt das Fahrzeug hart zum Stehen. Fünf, sechs, sieben, acht Vermummte springen aus den aufgerissenen Wagentüren.
»Was ...?«
Der erschrockene Aufschrei wird durch einen gezielten Handkantenschlag erstickt. Dann stürzen sich sieben Gestalten lautlos auf die beiden Männer, die nach unzähligen Hieben und Fußtritten schmerzvoll stöhnend am Boden liegen.
Währenddessen führt die achte Vermummte das unter Schock stehende Mädchen in das Innere des Wagens.
Die zwei Männer am kalten Boden können nun auch nicht mehr stöhnen. Sie haben Pflaster über den blutverschmierten Mündern. Ihre Arme sind hart auf den Rücken gefesselt worden.
Die Frau, die das Mädchen zum Bus brachte, kommt jetzt mit zwei Eimern und großen Tapezierpinseln zurück.
Nach fünf Minuten ist die nächtliche Arbeit vollendet. Nun werden auch die Beine der beiden gefesselt. Zweimal flackert der blaue Schein eines Blitzlichtes auf. Dann verlässt der Bus das dunkle Ende der Straße und biegt mit jetzt eingeschalteten Scheinwerfern in die Hildener Straße ein. Mit vorschriftsmäßigen 50 km/h und unter sorgfältiger Beachtung der Verkehrsregeln entfernt sich das Fahrzeug mit den gardinenverschlossenen Seitenfenstern vom Ort des Geschehens.
Dort breitet sich langsam eine Wolke scharfen Geruchs aus. Eine üble Mischung aus ätzenden Lackfarbendünsten und übelkeiterregenden Gülleschwaden.
Donnerstagnacht, 1 Uhr 6, nimmt die Kriminalwache des Präsidiums den Telefonanruf einer Unbekannten entgegen: »In der Telleringstraße am Bundesbahngelände hat eine Massenschlägerei stattgefunden. Da liegen zwei, die sehen aus wie tot! Ende!«