Dass Mareks Wahl auf Bennett fiel, wunderte Jem nicht. Schon bei ihrer ersten Erkundung des Flughafengebäudes war deutlich geworden, dass Marek, der sich sonst von niemandem etwas sagen ließ, in dem Kapitän eine höhere Distanz zu sehen schien.
Jem selbst hatte Connie ausgewählt sowie zwei ältere Herren, mit denen er sich gestern über die solarbetriebenen Autos unterhalten hatte.
Der Nachmittag war bereits fortgeschritten, als Jem Bennett und die anderen kommen sah. Er war gespannt, was sie zu der Idee sagen würden und ob sie sich ihnen vielleicht anschließen wollten. Platz gab es im Bus ja immerhin genug.
Schnell beendete er die Überprüfung der Radmuttern, stand auf und wischte sich die öligen Finger an einem Lappen ab.
In diesem Moment kam Lucie von der anderen Seite des Busses. Sie warf Jem ein aufmunterndes Lächeln zu. »Der Plan ist genial«, sagte sie leise. »Die werden bestimmt gleich Augen machen.«
Arthur, Olivia, Paul, Marek, Katta und Zoe bauten sich ebenfalls neben dem Bus auf.
»Jetzt bin ich aber gespannt«, sagte der Kapitän, als er bei ihnen eintraf. »Was wollt ihr uns denn zeigen?«
Jem räusperte sich. »Wie dachten uns, dass es vielleicht sinnvoll wäre, unseren Aktionsradius etwas zu erweitern. Deswegen haben wir ein Fahrzeug organisiert. Hier ist es.« Er deutete auf den Bus.
Bennett riss die Augen auf. »Wo habt ihr den denn her?«
»Fährt der noch?«, wollte Connie wissen.
»Der stand doch in der Parkgarage, oder?«, fragte der Mann, der am ersten Tag mit Lucie das Untergeschoss erkundet hatte.
»Ja, der Bus stand in der Garage«, antwortete Jem. »Wir haben ihn wieder flottgemacht.«
Die beiden älteren Herren nickten anerkennend. »Dass noch kein anderer auf die Idee gekommen ist! Respekt, Junge!«
Jem spürte, dass er ein kleines bisschen rot wurde. »Na ja, zu Fuß kommen wir hier ja leider nicht weit«, fuhr er fort. »Da wir keinen Funkkontakt haben und bislang von niemandem etwas gehört haben, müssen wir uns die Informationen wohl selbst besorgen.«
»Wir haben vor, damit nach Denver zu fahren«, platzte Marek heraus und blickte schon fast ehrfurchtsvoll zum Kapitän.
»Wir?«, fragte Bennett überrascht.
Jem nickte und deutete auf die anderen. »Wir alle hier. Und der M.A.R.S. natürlich. Wir werden ihn brauchen, um Kontakt zu einem funktionierenden Computersystem herzustellen.«
»Ihr wollt in die Stadt? Mit M.A.R.S.?«, fragte Connie, als hätte sie sich verhört.
»Jawohl«, antwortete Jem.
»In einem Schulbus?«
»So ist es. Wer will, kann gerne mal einsteigen. Das Fahrzeug ist voll funktionsfähig.«
Jem musste zugeben, dass er ganz schön stolz auf sich war. Dass er den Bus tatsächlich zum Laufen gebracht hatte, war wirklich ziemlich genial. Wer hätte gedacht, dass sich die Akkus durch die Sonne tatsächlich sofort wieder aufladen würden?
Der Kapitän umrundete schweigend den Bus, dann erschien ein Lächeln auf seinem Gesicht. »Ich denke, wir nehmen deine Einladung an. Oder, Leute? Eine kleine Abwechslung würde uns allen mal guttun.«
Jem öffnete die Türen. »Nehmen Sie irgendwo Platz, dann kann es losgehen.«
Ein kurzes Zögern der Zuschauer, dann folgten sie der Aufforderung. Bennett und Jem waren die Letzten, die einstiegen.
»Wo sind die Schlüssel, junger Mann?« Jem hatte sich schon gedacht, dass der Kapitän sich ans Steuer setzen wollen würde.
»Brauchen wir nicht«, sagte er. »Ich erkläre Ihnen, wie es funktioniert.«
Er wartete, bis Bennett Platz genommen hatte, und zeigte ihm dann die Armaturen. Der Kapitän legte beide Hände aufs Lenkrad und startete den Motor. Mit einem satten Summen erwachte das Fahrzeug zum Leben.
»Das ist ja großartig!«, rief Connie. »Applaus für unsere Tüftler, würde ich sagen.«
Jem schloss die Türen und die Leute fingen tatsächlich an zu klatschen.
Inzwischen hatte sich der Himmel zugezogen. Ein fernes Grollen ertönte und Blitze zuckten auf. »Ist schon ein verdammt merkwürdiges Wetter hier«, sagte Bennett. »Fast wie in den Tropen. Da fängt es auch im Laufe des Nachmittags immer an zu regnen. Nur dass Denver nicht in den Tropen liegt. Als hätten wir es mit einem massiven Klimawandel zu tun.«
Nachdem sie ein paar Hundert Meter gefahren waren, tauchte plötzlich die Skyline von Denver am Horizont auf.
»Seht mal, dahinten!«, rief Lucie. »Da ist Denver! Sieht doch gar nicht so weit weg aus!« Ihre Stimme überschlug sich fast vor Aufregung und auch Jem musste zweimal hinschauen, bis er es wirklich glaubte. Nach allem, was ihnen in den letzten Tagen widerfahren war, hätte es ihn nicht gewundert, wenn es Denver gar nicht gegeben hätte.
Erste Tropfen fielen vom Himmel. Bennett betätigte die Scheibenwischer und schaltete auch gleich das Abblendlicht ein. Zwei Lichtkegel bohrten sich durch das Unwetter. Der Regen wurde immer heftiger und trommelte auf das Blech.
»Das mit dem Bus habt ihr gut hinbekommen«, rief er über den Lärm hinweg. »Wie soll es jetzt weitergehen?«
Jem tippte auf die Ladeanzeige. »Morgen um diese Zeit dürften die Akkus vollgeladen sein. Dann wären wir startbereit.«
»Einverstanden.« Bennett blickte nach oben. Der Sturm schien jetzt direkt über ihnen zu sein.
»Besser wir ziehen uns wieder ins Flughafengebäude zurück und sprechen dort über die Einzelheiten«, rief er. »Vor allem müssen wir uns um die Verpflegung kümmern.«
»Wir?« Jem sah ihn verwundert an.
»Aber natürlich. Denkst du etwa, wir würden euch alleine auf eine solche Tour lassen? Es wird tatsächlich langsam Zeit, dass wir den Dingen auf den Grund gehen. Allerdings ist keiner von euch qualifiziert, einen solchen Bus zu fahren. Abgesehen davon wäre da ja noch die Sache mit den Waffen …«
»Waffen?«
Bennetts Ausdruck wurde ernst. »Es wäre viel zu leichtsinnig, ohne entsprechende Verteidigungsmöglichkeiten auf eine solche Tour zu gehen. Wir wissen schließlich nicht, was uns erwartet. Aber ich habe da schon eine Idee.«
Er drehte noch ein paar Schleifen über das Rollfeld, dann wendete er und steuerte auf das Flughafengebäude zu. Inzwischen kübelte es wie aus Eimern. Die pechschwarzen Wolken öffneten ihre Schleusen und ließen eine wahre Sintflut über ihren Köpfen niedergehen. Der Regen prasselte gegen die Scheiben und klatschte auf den Runway, bald stand das gesamte Vorfeld unter Wasser. Blitze zuckten auf und Donner rollten über den Himmel. Es war eine Szene wie bei einem Weltuntergang.
Es war mitten in der Nacht, als Lucie aufwachte. Etwas hatte sie in ihrem Schlaf heimgesucht. Ein Geräusch, ein Blick, ein böser Gedanke … Mit pochendem Herzen sah sie sich um.
Sie saß auf ihrer Schlafmatte, die braune Wolldecke bis zu den Schultern hochgezogen. Ein Traum! Es war nur ein Traum gewesen. Aber was für einer.
Irgendetwas war hinter ihr her gewesen. Etwas mit scharfen Klauen und noch schärferen Zähnen. In seinen Augen hatte ein böses Funkeln gelegen. Lucie hatte versucht zu entfliehen, aber sie war einfach nicht vom Fleck gekommen. Als wäre sie über weichen Sand gelaufen und permanent eingesunken. Ekelhaft!
Und das Ding war nicht alleine gewesen. Sie erinnerte sich an mindestens vier oder fünf dieser bedrohlichen Wesen, die sie unbarmherzig eingekreist und ihr den Fluchtweg abgeschnitten hatten. Gerade in dem Moment, als die Angreifer nahe genug herangekommen waren, um sie zu erkennen, war sie erwacht. Langsam beruhigte sie sich wieder,