»Und wozu sollte das gut sein?«
Marek zuckte mit den Schultern. »Vermeidung von Staus und Verkehrsunfällen, intelligentes Verkehrsleitsystem und so weiter.« Er fuhr mit dem Finger über die Oberfläche eines Wagens, der offensichtlich mal Silber gewesen war. Jetzt wurde er von einer dicken Staubschicht bedeckt. »Meine Eltern haben ein Autohaus, deswegen kenne ich mich ein bisschen mit dem Thema aus. Und eines kann ich euch sagen: So weit wie hier sind wir in Deutschland noch lange nicht. Mit solchen Autos ist frühestens in den nächsten fünf bis zehn Jahren zu rechnen.«
»Denver scheint da schon weiter zu sein«, überlegte Lucie. »Oder das hier ist eine Art Testgelände.«
»Aber es ist alt«, entgegnete Marek und wischte sich die staubigen Finger an seiner Jeans ab. »Alles hier ist alt.«
Womit er natürlich recht hatte. Lucie vergaß immer wieder, dass dieser Ort ja verlassen war. Seit mindestens zehn Jahren. Je öfter sie darüber nachdachte, desto verwirrter war sie.
Ihr Blick streifte den Umschlag ihrer Zeitschrift. Einer Eingebung folgend, warf sie einen Blick auf das Datum. Die Zahlen waren wie eine Melodie. Eine höchst fremdartige und bedrohlich wirkende Melodie. Sie erstarrte.
»Das gibt’s doch nicht«, flüsterte sie.
Jem kniff die Augen zusammen. Das Wesen mochte etwa ein Meter fünfzig groß sein und sah aus wie eine Zapfsäule, der man einen Staubsauger auf den Rücken geschnallt hatte. In seinem mürrisch dreinblickenden Gesicht prangte ein einziges gelbes Auge, das nervös hin und her zuckte. Seine kräftigen Arme reichten bis zum Boden, während die stummelartigen Beine recht kurz waren und in eckigen Plattfüßen endeten. Die Grundfarbe der Kreatur mochte einmal Violett gewesen sein, doch inzwischen war sie überall abgeblättert und der Rost kam zum Vorschein. Irgendjemand hatte mit gelber Farbe eine sich rekelnde, halb nackte Frau sowie ein paar Buchstaben auf den Torso des Roboters gemalt. (MOD)Erator. Was immer das bedeuten mochte.
»Ein Roboter«, stieß Jem aus. Er ließ seinen Stock sinken und wich zurück. Gegen so eine Eisenkreatur würde er sowieso nichts nutzen.
Dieses Ding war ihm nicht geheuer.
Arthur hingegen schien völlig fasziniert zu sein. »Wie heißt du, mein Freund? Wie ist dein Name?«
»Name?«, ertönte die nasale Kinderstimme.
»Deine Bezeichnung. Wie wirst du angeredet?«
»Servicedrohne M.A.R.S.-327 zu Ihren Diensten.«
»Servicedrohne? Was bedeutet das?«, fragte Arthur.
Das Ding glotzte ihn ausdruckslos an.
Arthur präzisierte. »Was sind deine Aufgaben?«
»Meine Parameter umfassen die Pflege und Erhaltung des Betriebsgeländes, einschließlich der angrenzenden Waschräume.«
Olivia schüttelte den Kopf. »Das ist ein wandelnder Staubsauger. Eine gottverdammte eiserne Klofrau.«
»Sag doch so was nicht.« Arthur grinste. »Du könntest seine Gefühle verletzen.« Er ging auf die Maschine zu und strich mit den Fingern über die rostige Außenhaut. »Künstliche Intelligenz ist mein Spezialgebiet«, sagte er. »Ich verfolge die Forschung daran seit Jahren. Es gibt erste Versuche mit menschenähnlichen Robotern, aber sie sind bei Weitem nicht so fortgeschritten wie der hier. Allein schon, wie er geht! Wie er steht, uns beobachtet und beim Reden gestikuliert! Dass irgendein Flughafen so einen hoch entwickelten Roboter als einfache Servicekraft einstellt, hätte ich bestimmt mitgekriegt.«
»Und wenn du es einfach überlesen hast?«, fragte Olivia.
Arthur schüttelte energisch den Kopf. »Ausgeschlossen. Ich habe sämtliche Fachzeitschriften zu dem Thema abonniert. Abgesehen davon: Seht ihn euch doch an. Den Rost, die verharzte Ölschmiere in seinen Gelenken. Dieser Roboter ist alt. Uralt. Der wurde seit Jahrzehnten nicht mehr gewartet. Wie erklärt ihr euch das?«
»Können wir nicht«, sagte Jem. »Die Liste mit Rätseln und Ungereimtheiten wird nur noch ein Stück länger.« Er wandte sich der mechanischen Kreatur zu. »Du brauchst einen Namen. Wie wäre es, wenn wir dich einfach M.A.R.S. nennen? Klingt doch ganz nett.«
»M.A.R.S.? Gute Idee.« Arthur sah den Roboter an. »Bist du damit einverstanden?«
Das gelbe Auge zuckte von links nach rechts. »Positiv.«
Jem musste sich ein Lächeln verkneifen. Wie Arthur und der Roboter sich so gegenüberstanden, waren sie beinahe gleich groß.
»Sehr schön«, fuhr Arthur fort. »Dann können wir ja endlich ein paar Fragen klären. Wo sind wir hier? Wie heißt die nächstgelegene Stadt?«
»Denver.«
»Aha.« Arthur kratzte sich am Kopf. »Und ist das hier wirklich ein Flughafen?«
M.A.R.S. rollte das Auge einmal im Kreis. »Dies ist der Denver International Airport.«
»Und wie heißt dein Eigentümer?«
»Die Stadt und das County von Denver. Unterbereich Luftfahrtministerium.«
Jem und die anderen sahen einander an. Dann prasselten die Fragen wie Hagelkörner auf den Roboter ein.
»Welches Jahr haben wir?«
»Wann wurde dieser Flughafenbereich stillgelegt?«
»Wieso sind hier nirgendwo Menschen?«
»Wieso können wir mit niemandem Kontakt aufnehmen?«
»Gibt es hier irgendwo funktionierende Telefone?«
Der Blechmann glotzte sie stumpfsinnig an. Ein Geräusch drang aus seinem Mundschlitz. Es klang wie das Rauschen eines schlecht eingestellten Radiosenders.
Olivia runzelte die Stirn. »Vielleicht waren das zu viele Fragen auf einmal. Besser, es redet nur einer mit ihm.« Sie sah den Serviceroboter streng an. »Welches Datum haben wir?«
»Information nicht abrufbar.«
Ihre Brauen wanderten in die Höhe. »Nicht abrufbar? Aber wie kann das sein? Gibt es denn hier keinen Kalender oder so? Wem gehörst du? Wo sind all die anderen Menschen geblieben?«
»Bzzz …«
Arthur strich über sein Kinn. »Das war jetzt aber auch nicht viel besser.«
Olivia warf ihm durch ihre dicke Brille einen giftigen Blick zu.
»Ich glaube, dass er mit unseren Fragen hoffnungslos überfordert ist. Als einfache Drohne ist er vermutlich auf ein höhergestelltes System angewiesen, einen Zentralcomputer oder so. Wenn der seinen Dienst eingestellt hat, ist er völlig auf sich gestellt. Wo soll er denn Informationen herbekommen?«
Jem nickte. »Bei dem Zustand, in dem das Gebäude ist, würde mich das nicht wundern. Aber eine Frage kannst du uns vielleicht doch beantworten, M.A.R.S. Warum war gestern Nacht alles dunkel? Und wieso brennen jetzt die Lichter? Hast du den Strom wieder eingeschaltet?«
»Energiezufuhr nur temporär verfügbar. Betrieb nur bei Tageslicht möglich.«
»Bei Tageslicht«, murmelte Arthur. »Aber natürlich: die Sonne. Das hätte ich mir auch gleich denken können. Die Solarzellen sind draußen am Gebäude befestigt. Sie versorgen den Komplex mit Elektrizität. Keine Sonne, kein Strom.« Er wandte sich dem Roboter zu. »Gibt es denn einen Speicher hier unten? Batterien, Akkus, irgendetwas?«
M.A.R.S.