Konrad, der am Montag seine Arbeit aufgenommen hatte, durfte schon drei Tage danach Herrn Rademann zur Jagd begleiten und konnte auch dort sein Können unter Beweis stellen.
Ein Jahr war nach der gelungenen Flucht der beiden Freunde nach Magdeburg vergangen. Der Frühling 1778 schickte seine ersten wärmenden Sonnenstrahlen über die Lande. Ein aufgeregtes Treiben erfasste die Familie Vogelsang. Eine Einladung von Otto von Lüdeburg lag seit einem Tag auf dem Sekretär im Lesezimmer. Otto von Lüdeburg lud zur Feier seines 43. Geburtstages über das Wochenende ein. Der Geburtstag war nicht der einzige Grund. Sein Sohn, Philipp von Lüdeburg, war zum Leutnant der preußischen Husaren befördert worden. Das Militärische stand bei den von Lüdeburgs schon immer an erster Stelle. Otto von Lüdeburg war in den vergangen Jahren Offizier bei der Artillerie der preußischen Armee gewesen. Er kämpfte in so manchen harten Gefechten und brachte es durch seinen Kampfesmut und seine Standhaftigkeit zu Anerkennung und Ehren. Eine besondere kameradschaftliche Verbindung hatte er zu Max Vogelsang. Sie waren gleichaltrig und kämpften fast immer in den gleichen Kriegen, die die preußische Armee führte. Es gab nur einen Unterschied. Otto war bei den Kanonieren und Max bei der preußischen Reiterei. Otto von Lüdeburg wurde von Max Vogelsang in einem der letzten Gefechte vor dem sicheren Tod bewahrt.
Die österreichischen Linien hatten die Anhöhe, auf der die Kanonen der preußischen Batterien standen, in einem verlustreichen Angriff erobert. Otto von Lüdeburg, der mit seinem Säbel einen der anrennenden österreichischen Soldaten zu Boden gestreckt hatte, wurde nun ebenfalls von zwei österreichischen Soldaten niedergeworfen. Bevor die beiden Soldaten Otto von Lüdeburg den Todesstoß versetzen konnten, preschte ein preußischer Reiterhusar heran. Der Reiterhusar ritt im vollen Galopp zwischen den beiden Österreichern hindurch und säbelte auf sie ein. Dann sprang der Husar vom Pferd, hob den bewusstlosen Offizier der Batterie auf und legte ihn auf sein Pferd. Danach sprang er auf und ritt im schnellen Galopp in einem Bogen hinter die preußischen Linien zurück.
Nach der Schlacht, die keine Seite gewonnen hatte, musste Max seine Blessuren, die er sich im weiteren Kampf zugezogen hatte, im Lazarettzelt behandeln lassen. Neben dem Lazarettzelt lagen die Schwerverwundeten auf Tragen, um abtransportiert zu werden. Als die Behandlungen von Max abgeschlossen waren, verließ er das Lazarettzelt. Sein Blick fiel auf die Verwundeten. Er erkannte einen von ihnen. Er beugte sich zu ihm nieder und drückte ihm fest die Hand. „Sie werden es schaffen“, sprach Max dem preußischen Artillerieoffizier Mut zu. Der Verwundete blickte seinem Retter dankend in die Augen. „Ich bin Otto von Lüdeburg.“
„Max Vogelsang aus Magdeburg“, stellte sich Max ebenfalls vor. Etwas zurückhaltend, da er einen Adligen gerettet hatte.
„Aus Magdeburg, da sind wir ja fast Nachbarn“, antwortete Otto mit schmerzverzerrtem Gesicht. „Sie müssen mich nach meiner Genesung und dem Ende des Krieges unbedingt auf Gut Schönwiesen besuchen kommen.“
„Ja, das werde ich tun“, versprach Max. „Werden sie schnell wieder gesund, bis dahin“, verabschiedete sich Max.
Nach einem Jahr besuchte Max Otto von Lüdeburg auf Gut Schönwiesen. Die beiden verstanden sich sofort wie Brüder und ihre Freundschaft war aufrichtig und fest.
Zeitig am Morgen stiegen Max, seine Frau Hedwig, Anton, Felix und Konrad in die vorgefahrene Kutsche. Nur Jutta fuhr nicht mit, sie hatte eine Feier mit ihrem Verlobten Adelbert Hasselbart, im engsten Familienkreis. Endlich ging es nach Gut Schönwiesen zur Geburtstagfeier von Otto von Lüdeburg. Hedwig hatte ihre festliche Sonntagsgarderobe angelegt. Felix und Konrad mussten sich erst etwas Passendes aus Antons Kleiderschrank heraussuchen. Bei Konrad saßen die Sachen von Anton wie angegossen, nur bei Felix musste Hedwig ihre Schneiderkunst zeigen.
Nun saß sie Geschminkt und nach Parfüm duftend neben Felix. Gut gelaunt und frohen Mutes trafen die Vogelsangs am Gutshof von Schönwiesen ein. Die Bediensteten liefen ihnen entgegen und baten sie, in das Gutshaus einzutreten. Das Gepäck trugen sie in das Gästehaus mit seinen vielen Zimmern. Dort waren die meisten Gäste der Gesellschaft über Nacht untergebracht. Schon im Empfangsraum des Gutshauses wurde die Familie Vogelsang von Otto von Lüdeburg, seiner Frau Helene, sowie von Tochter Leonore herzlichst begrüßt.
Als Felix die Hand von Leonore zur Begrüßung sanft mit seiner Hand drückte, schaute er ihr in die Augen. Er hatte in diesen Moment ein unbeschreibliches Gefühl das bis zu sein Herz drang und ihn berührend überfiel. Er brachte für einen Augenblick kein einziges Wort heraus. Als ob ihm ein Kloß im Halse steckengeblieben wäre. Eleonore bemerkte die Unsicherheit ihres jungen Gastes und errötete leicht vor Verlegenheit.
Konrad war als nächster mit der Begrüßung von Eleonore an der Reihe und wollte seinem schüchternen Freund helfen. Er platzte einfach dazwischen. „Ich bin Konrad, der beste Freund von Felix.“ Schnell hatte er die Hand von Leonore in seine geschlossen und schüttelte diese leicht zur Begrüßung.
Max stellte seinem Freund Otto seine beiden Begleiter Felix und Konrad vor. Daraufhin meinte Otto zu Max, sein Sohn Philipp müsse auch jeden Augenblick eintreffen. Der große Saal im Rittergut füllte sich mit vielen vornehmen, umherlaufenden Gästen. Jeder, der es mochte, hatte ein Glas Wein in den Händen. Es wurde erzählt, geschaut und an den Gläsern genippt.
Auf einmal ging ein Raunen durch den Saal. Die anwesenden Familien schauten zum Eingang des Saales. Philipp, der Sohn Otto von Lüdeburgs, betrat den festlich geschmückten Raum. Ein stattlicher Mann in der Uniform eines Husarenoffiziers kam in den Saal und steuerte auf seinen Vater Otto von Lüdeburg zu. Er gratulierte ihm zum Geburtstag und überreichte ihm ein wertvolles Geschenk für seine militärische Sammlung. Nach der Begrüßung seiner Familie lief er in perfekter militärischer Haltung auf die in ihren Gesprächen innehaltenden Gäste zu. Er begrüßte schneidig einige der wichtigsten Familien.
Den Familienvätern drückte er in strammer Haltung die Hand, die Frauen und Mädchen begrüßte er höflich mit einem Handkuss. Eine Ehefrau oder Verlobte hatte Philipp nicht, aber dafür einige Liebschaften mit Damen des preußischen Adels in Potsdam und Berlin. Er war begehrt bei den weiblichen Schönheiten der höheren Gesellschaft. Philipp war ein Draufgänger nicht nur bei Kämpfen in den Schlachten, er war es auch bei den reichen, verwöhnten Damen in der besseren Gesellschaft.
Eine Gräfin in Potsdam hatte es ihm besonders angetan. Sie war nicht nur schön, sondern auch sehr reich. Philipp war aber nicht nur Herzensbrecher, sondern auch Spieler mit Leib und Seele. So manche Spielschulden wurden von den reichen Frauen beglichen. Besonders viele Spielschulden wurden von der Gräfin bezahlt. Philipp pokerte besonders riskant, bevor er wieder in den Krieg ziehen musste. Er hatte aber nicht nur Pech beim Pokern. Wenn er hohe Summen gewann, machte er auch teure Geschenke an die Damenwelt. Man könnte sagen, bei Philipp hielten sich Reichtum und Schulden immer die Waage.
Auf dem Ball zu Ehren des Geburtstages Otto von Lüdeburgs waren auch Familien zugegen, die ihre Töchter gern bei solchen Anlässen unter die Haube bringen wollten. Es gab immer viel zu tuscheln. Die neuesten Gerüchte und Skandale wurden, ob wahr oder nicht, weiter erzählt. Eine solche skandalöse Familie war die Familie von Lichtenfeld. Freiherr Oskar von Lichtenfeld war mit Frau Helmine und den beiden Söhnen Armin und Reinhard angereist.
Der Freiherr von Lichtenfeld wurde auch mit Herr Baron angesprochen. Die Anrede Baron bekamen manche Freiherren, wenn sie sehr begütert waren oder ein hohes Amt als Staatsbediensteter am Königlichen Hof inne hatten. Oskar von Lichtenfeld sowie seine Frau Helmine traten sehr vornehm, aber auch ziemlich arrogant auf. Ihre Söhne Armin und Reinhard von Lichtenfeld hatten viel von ihren Eltern vererbt bekommen. Das arrogante Benehmen anderen gegenüber hatten sie ebenfalls in ihrem Blut.
Schon in ihrer Jugend waren sie Raufbolde und empfanden keinerlei Respekt vor irgendjemandem. Wenn ihnen einer in die Quere kam, den sie nicht leiden konnten, wurde dieser so lange gedemütigt, bis er klein beigab, oder später, auf mysteriöse Weise ums Leben kam. Reinhard, der jüngere der beiden Söhne, war hinterlistig und schadenfroh. Er ließ jeden spüren, dass er das Sagen hatte. Armin, der etwas Klügere, hatte noch ein wenig Anstand. Aber