Der Regisseur. Mein Buch, dein Tod.. Sarah Markowski. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Sarah Markowski
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия: Nils Johansen und Arne Lassen
Жанр произведения: Триллеры
Год издания: 0
isbn: 9783347028630
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von unten Mamas gedämpfte Stimme heraufdringen. Den genauen Wortlaut verstehe ich zwar nicht, aber es gibt eindeutig eine kleine Standpauke für die beiden, wo sie ihnen doch extra gestern Abend noch einmal eingetrichtert hat, mich und meine Freundinnen heute Morgen etwas netter zu wecken.

      „Süß, die beiden.“

      „Also, wenn du das süß findest, solltest du dringend mal deine Ohren säubern. Hast du das Indianergeschrei nicht gehört?“

      Ich liebe meine Geschwister wirklich über alles, keine Frage, aber manchmal könnte ich sie einfach auf den Mond schießen; und zwar auf den Mond und nicht mehr zurück. Zumindest bis ich sie eine halbe Stunde später wieder unfassbar vermisse und am liebsten dauerknuddeln würde.

      „Glaub mir, das geht noch schlimmer“, erwähnt Larissa nachdrücklich.

      „Ach wirklich? Ich bin gespannt.“

      „Leni singt morgens im Bad, dass sich die Balken biegen. Und zwar nicht irgendein Lied, sondern Schneeflöckchen Weißröckchen. Seit sie das mit drei Jahren im Kindergarten gelernt hat. Mittlerweile ist sie sechs und kommt nach den Ferien in die Schule. Mir tun die Mitschüler jetzt schon leid, die auf der ersten Klassenfahrt mit ihr im Zimmer sind… bei der zweiten wird sie wohl ein Einzelzimmer haben.“

      Ich kann mein Lachen nicht zurückhalten. Leni ist ein kleines schüchternes Mädchen, das erst auftaut, wenn man es schon lange kennt. Früher hätte ich das Larissa nicht abgekauft, aber heute kenne ich ihre kleine Schwester besser und kann mir niemand anders vorstellen, der Schneeflöckchen Weißröckchen so leidenschaftlich singt wie Leni.

      „Jeden Tag?“

      „Jeden Tag.“

      Um die Untragbarkeit der Situation deutlich zu machen, betont Larissa jede Silbe einzeln und nickt theatralisch mit dem Kopf. „Was ein Glück bin ich heute hier und werde ein Mal in meinem Leben von dem Konzert verschont.“

      „Ach, wenn du möchtest… Emmi und Malte haben den Songtext sicher auch drauf. Und wenn nicht, ist er ja schnell gelernt“, biete ich ihr zwinkernd an.

      „Bloß nicht!“, fällt sie mir voll entschlossen ins Wort. „Ich komme ja morgen früh wieder in den Genuss.“

      „Mara, Leonie, Larissa?“

      Es ist meine Mama, die unten an der Treppe steht und uns freundlicherweise daran erinnert, dass wir in einer Stunde bereits am Treffpunkt sein müssen. Die Freizeit findet auf dem Gelände zwischen „altem Deich“ und „am Fahrwasser“ statt. Dort gibt es eine riesige Grünfläche, einen großen Schattenplatz, der von Bäumen umgeben ist, und eine Hütte des lokalen Turnvereins mit Toiletten, einer kleinen Einbauküche und einem Raum, der zwar nicht allzu groß ist, aber planmäßig auch nur bei schlechtem Wetter genutzt werden muss. Außerdem gibt es einen direkten Zugang zum Wasser, da das Gelände an den Greetsieler Hafen angeschlossen ist.

      „Wir kommen!“, rufe ich laut zurück, während ich meine Jeans von gestern vom Stuhl ziehe, ein neues T-Shirt und frische Unterwäsche aus dem Schrank hole und ins Bad sprinte. In Windeseile wasche ich mein Gesicht und entwirre meine Haare. Die habe ich von meinem Vater geerbt, nur dass er sie kürzer trägt als ich und seine deshalb nicht in alle Himmelsrichtungen vom Kopf abstehen. Ich werde oft um meine Lockenpracht beneidet, dabei hätte ich viel lieber die Haare meines Bruders oder meiner Mutter. Generell hat Hannes viel von Mama: den etwas dunkleren Hautton, der auch im Winter schöne Bräune verleiht, die großen Augen, die dunkelbraunen, glatten Haare… Ich hingegen bin das weibliche Ebenbild meines Vaters: bernsteinfarbene Locken, Sommersprossen, fast weiße – oder wie Oma so schön sagt: porzellanfarbene – Haut, und eine Stupsnase. Sogar mein Charakter trägt viele ychromosomale DNA-Züge in sich. Ich bin eine Tagträumerin, manchmal etwas vergesslich oder schludrig, wie meine Mutter findet. Ich nenne das allerdings kreativ, denn das bin ich wirklich. Auch mein handwerkliches Talent habe ich von Papa geerbt und bastle gerne mal mit ihm in seiner Schreinerei an neuen oder alten Möbelstücken herum. Rein optisch gesehen tanzen Emmi und Malte mit ihren strohblonden Locken völlig aus der Reihe, obwohl Oma früher anscheinend auch eine Blondine war – allerdings gefärbt, wie sich später herausstellte. Lediglich die grünen Augen, die in der Sonne funkeln wie kleine Smaragde, haben wir alle vier gemeinsam, und ebenfalls den väterlichen DNA-Spuren in uns zu verdanken. Ich zupfe mein T-Shirt zurecht, stecke es in die Hose, ziehe es wieder heraus und stecke es letztendlich doch wieder hinein. Im Rausgehen fahre ich mir schnell durch die Haare und überlege, ob ein Zopf heute praktischer wäre. Ohne lange abzuwägen, schnappe ich mir einen Haargummi aus der Schublade im Badezimmerschrank. Damit bin ich auf der sicheren Seite und für alles gewappnet, finde ich und lege ihn mir um den Arm.

      „Bad ist frei!“, rufe ich ins verlassene Zimmer hinein und nehme aufgrund dessen an, dass Leonie und Larissa das Badezimmer im Erdgeschoss benutzen. Eilig renne ich die alte Holztreppe hinunter, nehme immer zwei Stufen auf einmal und weiß schon bevor es geschieht, dass ich in drei Schritten die knarzende Stufe erwischen werde.

      Knarz, das Geräusch wird mit den Jahren auch immer lauter. Ich stoße die Tür zur Küche auf und vernehme den Duft von frisch gebackenem Brot. Bevor ich mich jedoch mit einem Blick in den Backofen von der Verlässlichkeit meiner Geruchsnerven überzeugen kann, muss ich über die beiden Hunde hinweg steigen, die voller Hoffnung auf ein paar Krümel wie zwei Teppiche auf dem Küchenfußboden liegen.

      „Guten Morgen, ihr zwei.“

      Ich kraule Fee und Anton hinter den Ohren, die sich jeweils mit einem nassen Küsschen dafür revanchieren. „Immer auf der Jagd, was?“

      Ich tätschle ihnen noch einmal den Bauch und gehe dann weiter ins Wohn- und Esszimmer, das für einen Ferienmorgen schon gut besucht ist. Papa sitzt auf seinem Chefstuhl an der Stirnseite und blättert gedankenverloren durch die Tageszeitung. Mama wischt gerade eine Orangensaftpfütze vom Tisch und Findus, unser dicker Feinschmecker-Kater leckt den dazugehörigen Becher aus, der vorher vermutlich noch nicht auf dem Boden lag.

      „Lasst mich raten, wer hierfür die Verantwortlichen sind“, sage ich und setze meinen Sherlock-Blick auf. „Du und du!“

      Ich kitzle erst Malte und dann Emilia, bis sich die beiden vor Lachen kringeln und kaum mehr einkriegen.

      „Malte“, ermahnt meine Mama kopfschüttelnd und drückt ihm den nassen Waschlappen in die Hand. „Wolltest du nicht sauber machen?“

      Er schüttelt den Kopf, gehorcht aber brav.

      „Du könntest auch einfach die Katze auf den Tisch setzen, das wäre viel nachhaltiger“, murmelt Papa hinter seiner Zeitung hervor.

      „Au ja!“, schreien die Zwillinge im Chor.

      „Jürgen!“, ruft meine Mama gleichzeitig.

      Ich setze mich auf meinen Platz und kann mir trotz Anstrengung ein amüsiertes Grinsen nicht verkneifen.

      Zum Glück waren Leonie und Larissa noch nicht da, denke ich und klaue in einem unbeobachteten Moment einen Löffel Nutella aus dem Glas. Obwohl es mich wundern würde, würde es ab jetzt gesitteter weitergehen.

      „Chaosfamilie“, kommt es aus der Küche, gefolgt von einem entnervten Seufzen und einem empörten: „Anton, runter von der Eckbank!“

      Zur gleichen Zeit

      - Helena -

      Helena schwimmt auf dem offenen Meer, rundherum nichts außer minimalem Wellengang, hin und wieder eine einsam vor sich hin dümpelnde Schiffsboje, und die unendliche Weite des Himmels. Sie schwimmt immer weiter hinaus, hat längst die Orientierung verloren. Sie sucht nicht nach einer Insel, nicht nach einem Boot, nicht nach einem rettenden Stück Treibholz, an das sie sich klammern könnte. Helena schwimmt einfach weiter, immer weiter, schon seit Stunden, und spürt noch immer keine Erschöpfung. Plötzlich werden die Wellen stärker, sie schwappen ihr entgegen. Helena verschluckt eine große Menge Meerwasser und muss husten. In weiter Ferne sieht sie etwas auf sich zu schwimmen; erst kleiner, dann immer größer. Als es nicht mehr weit von ihr entfernt ist, kann sie es ganz deutlich erkennen.

      Ein