Der Regisseur. Mein Buch, dein Tod.. Sarah Markowski. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Sarah Markowski
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия: Nils Johansen und Arne Lassen
Жанр произведения: Триллеры
Год издания: 0
isbn: 9783347028630
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wieder rücklings auf die nasse Erde und wischt sich die Tränen mit dem dreckigen Ärmel aus dem Gesicht. „Was sollte das?“

      „Was sollte was?“

      „Mein Bein, der Sprung, das alles hier!“

      Der Unbekannte hebt die Schultern und zieht eine desinteressierte Grimasse.

      „Hätte es wenigstens funktioniert.“

      „Was? Was verdammt nochmal hätte funktionieren sollen? Ich habe alles so gemacht wie es im Skript stand! Lassen Sie mich gefälligst gehen!“

      „Mit dem Bein?“

      „Welch ein Humor.“

      Helena spuckt die Worte aus, als seien sie Gift. „Dann rufen Sie einen Krankenwagen, aber fassen Sie mich verdammt nochmal nicht an.“

      „Mia, Mia“, er schüttelt den Kopf, als wolle er ihre vulgäre Ausdrucksweise tadeln. „Du bist noch lange nicht fertig.“

      Sie schaut ihn fragend an.

      „Hast du das Skript nicht gelesen?“

      „Doch.“

      Tränen rollen ihre Wangen hinunter. Sie schluchzt. In diesem Moment hätte sie am liebsten ihre Eltern bei sich gehabt. Ihre Mama, die sie tröstet und beruhigt, und ihren Papa, der diesem Psychopathen eine reinhaut – wohin ist ihr egal, Hauptsache es tut richtig weh.

      „Kapitel sieben, Seite drei.“

      „Die Seiten angeben kann ich nicht, nur den Text.“

      Sie schnieft.

      „Ich zitiere: Mia verliert den Halt, rutscht ab und stürzt in die Tiefe. Setze fort.“

      „Sie ist auf der Stelle tot“, flüstert Helena kaum hörbar.

      „Applaus.“

      Er nickt zufrieden. „Jetzt ist es an der Zeit für dich, die Regieanweisung umzusetzen, aber dieses Mal richtig. Du bist geeignet, Mia, am besten dafür geeignet.“

       Woher will er das wissen?

      „Es ist eine Überprüfung. Das Skript muss stimmen. Andere sind unbrauchbar, aber du bist geeignet Mia, du bist geeignet!“

      Unbrauchbar, in diesem Moment fällt es ihr wie Schuppen von den Augen.

      „Manni“, flüstert sie vorsichtig, mit einem Blick auf den leblosen Körper, der dort halb im Dreck, halb im Gebüsch liegt.

      „Manni hat es versucht, nur war er leider unbrauchbar, Mia.“

      „Heißt das…“

      „Wärst du gleich beim ersten Mal für deine Rolle eingestanden, hätte Manni nicht umsonst sterben müssen.“

      Diese Worte treffen Helena wie ein Schlag ins Gesicht. Ein Wunder, dass sie nicht zurückfedert und mit dem Kopf gegen die kaputte Hauswand kracht. Bum.

      „Ich…“

      „Du hättest es verhindern können.“

      Helenas Gedanken fahren Karussell. Am liebsten wäre sie aufgesprungen und weggerannt; egal wohin, einfach weg.

      „Ich bin für seinen Tod verantwortlich.“

      Mörderin. Das Wort tanzt in roten Buchstaben vor ihrem inneren Auge hin und her. Ich habe ihn umgebracht.

      „Nein, habe ich nicht!“

      Die Tränen sind mittlerweile zu Sturzbächen geworden. Helena rappelt sich auf und beißt die Zähne zusammen. Das Bein tut höllisch weh, doch die psychischen Schmerzen stellen es in den Hintergrund.

      „Bringen wir es hinter uns.“

      Ein zufriedenes Grunzen seinerseits – Helena ist sich sicher, dass er vor lauter Triumph und Überlegenheit selig lächelt – Resignation ihrerseits. Das Sprichwort „schlimmer geht immer“ kommt hier an seine Grenze. Helena hat aufgegeben.

       Das ist das Ende, aber ich habe es verdient. Ein Tag früher und Manni wäre wenigstens noch am Leben.

      Seufzend, weinend und vor Schmerz wimmernd schleppt sie sich noch einmal die Treppenstufen hinauf. Der Weg kommt ihr endlos vor, die Abstände zwischen den Stufen viel breiter und höher als vorhin. Oben angekommen atmet sie noch einmal tief durch. Ihr Bein pocht, ihre Lungen schmerzen. Wie lange hat sie schon nichts mehr getrunken? Helena schleppt sich die letzten Meter bis zur Kante. Was passiert wohl, wenn sie auch diesen Versuch überlebt? Darüber wird sie sich Gedanken machen, wenn es soweit ist. Sie setzt sich selbst ein Ziel: Dieses Mal soll es schnell gehen. Je länger sie zögert, desto schlimmer wird es. Helena denkt über die Worte des Unbekannten nach.

       Geeignet.

      Sie tritt nach vorne, sieht den Abgrund. Es ist viel höher.

       Überprüfung.

      Sie schließt die Augen und springt.

       Fehlgeschlagen.

      Der Aufprall. Gebrochene Knochen, Kribbeln.

       Unbrauchbar.

      Ein nicht aufhörendes Echo in ihrem Kopf.

      Helena schaut an sich hinunter, tippt auf ihre Beine, spürt nichts. Taub, aber immerhin sind die Schmerzen weg.

      Montag, 01.07.2019, 07: 01 Uhr

      - Mara -

      „Mara!“

      Als ich die Augen öffne, liegt Leonie bäuchlings auf der Matratze auf dem Boden, das Kissen fest auf die Ohren gedrückt. „Mach‘ doch bitte mal das Teufelsding aus!“

      Larissa steht neben meinem Bett und hantiert am laut schrillenden Wecker herum.

      „Machst du den nie aus?“

      „Meistens überhöre ich ihn“, gebe ich wahrheitsgemäß zu.

      „Das haben wir auch gerade gemerkt.“

      Leonie befreit sich von dem improvisierten Lärmschutz aus Kissen und Bettdecke.

      „Und wie schaffst du es dann, trotzdem jeden Morgen pünktlich in die Schule zu kommen?“

      „Das wüsstest du wohl gerne“, gebe ich grinsend zurück. Die Frage musste von Larissa kommen, zu deren Stärken Pünktlichkeit nicht gerade zählt. „Aber überzeug dich selbst.“

      Die Frage, die ihr Blick daraufhin ausdrückt, beantwortet sich nur zwei Sekunden später von selbst. Getrampel auf der Treppe, Poltern auf dem Flur, zwei zu laut flüsternde Stimmen, als dass man sie nicht verstehen könnte:

      „Ich bin dran.“

      „Nein, du durftest gestern schon!“

      „Stimmt doch gar nicht!“

      „Stimmt wohl!“

      Anscheinend konnte sich Emilia gegenüber ihrem Zwillingsbruder Malte durchsetzen, denn als die Tür mit einem Ruck auffliegt, ist sie die erste, deren Indianergeschrei abrupt verstummt und die völlig überrascht im Türrahmen stehen bleibt.

      „Attacke!“, schreit Malte als vollem Halse. „Auf sie mit Gebrüll!“, doch auch er hält mitten in der Bewegung inne, als er die beiden Gesichter erblickt, die nicht in dieses Zimmer gehören.

      „Guten Morgen“, flöte ich übertrieben freundlich und freue mich insgeheim, dass ich heute diejenige mit der Überraschung bin. Normalerweise sind es die Zwillinge, die mich, seit sie die Treppen erklimmen können und groß genug sind, um die Türklinke zu erreichen, morgens unsanft aus dem Bett schmeißen. „Lasst mich raten, ihr habt vergessen, dass ich Besuch habe?“

      „Nein.“

      Emmi schüttelt energisch den Kopf, bringt ein zerknirschtes Grinsen zustande und rennt dann schnell ihrem Bruder