Der lange Weg in die Freiheit! Deckname "Walpurgis". Dr. Helmut Bode. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Dr. Helmut Bode
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия:
Жанр произведения: Биографии и Мемуары
Год издания: 0
isbn: 9783347032132
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auch für die Kinder! Alles aufgeben, nur wegen einer alten Tante die Existenz aufgeben?“

      Worauf Rosemarie erwiderte: „Ich habe auch einen Bruder in der Bundesrepublik!“ „Davon ist uns nichts bekannt!“ war die Reaktion der Genossin Kader.

      Die Genossin Stellvertreter ergriff wieder das Wort: „Die Verantwortung für Ihre Kinder! Haben Sie sich das überlegt?“

      „Ich hatte die Verantwortung schon einmal“, war Rosemaries Antwort, „und zwar in Afrika, da sind wir in Krieg und Hunger geschickt worden. Es war zwar unsere freie Entscheidung, aber man hatte uns doch nicht alles gesagt. Wir haben versucht, dort unsere Pflicht zu tun, d.h. zu helfen. Diesmal will ich ja nicht nach Afrika! Ich hoffe, dass ich drüben auch wieder Fuß fasse. Die Tante ist nicht unbemittelt.“

      Nun musste sich doch noch einmal die Genossin Kader einschalten: „Ob ihre Tochter mit den Problemen drüben fertig werden wird?“ „Ja“, meinte Rosemarie, „für unsere Tochter wird es schwierig, da wir wissen, wie es mit den Lehrstellen ist, aber hier ist es auch schwierig! Unser Sohn ist besser dran. Wir haben das erwogen!“

      Nach ca. 30 Minuten hatte Rosemarie ihr erstes „Gespräch“ in dieser Angelegenheit überstanden.

      Einen Tag später trat ich mit gemischten Gefühlen meine lange geplante Dienstreise nach Eisleben zu einer Tagung an. Womit sich die Tagung beschäftigte, weiß ich heute nicht mehr, nur, dass eine junge, schwangere Ingenieurin daran teilnahm und ich mir so dachte: »Der Staat, in dem sie ihr Kind zur Welt bringt, wird es als sein Eigentum ansehen und am liebsten, wie Rosemarie zu sagen pflegte: „Mit einem Stempel, Eigentum der Deutschen Demokratischen Republik, versehen.“«

      Aber, diesem Schicksal entging das Kind, denn, als es in die Schule kam, gab es diesen Staat nicht mehr, den hatten die Staatsbürgerinnen und Staatsbürger der Deutschen Demokratischen Republik mit ihrem Ruf: „Wir sind das Volk!“ hinwegdemonstriert! Im Demonstrieren hatten sie ja genügend Erfahrung und Routine, aber diese Art zu demonstrieren war von einer neuen, nicht ungefährlichen Qualität für die herrschende SED-Clique.

      Es war übrigens meine letzte Dienstreise als wissenschaftlicher Oberassistent.

      Ende Juni war die Information über unseren Ausreiseantrag auch in meiner Arbeitsstelle, der Technischen Hochschule „Otto von Guericke“, eingetroffen, denn ich wurde am Montag, dem 25. Juni, in einem kurzen Gespräch von dem Leiter meines Wissenschaftsbereiches und dem Vertrauensmann der Gewerkschaftsgruppe befragt: „Stimmt es, dass Sie einen Ausreiseantrag für sich und Ihre Familie gestellt haben?“ Worauf ich nur kurz mit „Ja“ antwortete! Ich wurde darüber informiert, dass ich am nächsten Tag im Direktorat für Kader der TH zu erscheinen hätte.

      Ich sah mich, bei dieser sogenannten Aussprache, einer Gruppe von fünf Personen gegenüber. Es handelte sich um die Genossin Sekretär, in ihrer Funktion als Vertreterin des Kaderdirektors, den Genossen Direktor der Sektion Technische Kybernetik und Elektrotechnik (TK/ET), den Genossen Leiter des Wissenschaftsbereichs (WB 3) dem ich angehörte, den Genossen Vertreter des Vorsitzenden der Sektionsgewerkschaftsleitung sowie um eine weitere Person, deren Name und Funktion ich in meinen Aufzeichnungen nicht vermerkt habe!

      Von Beginn an trat besonders aggressiv die Genossin Sekretär mit solchen Aussagen wie: „Sie verraten mit diesem Schritt, den Sie sich wohl nicht richtig überlegt haben, unser sozialistisches Vaterland!“ auf. Aus ihrer Haltung und Gestik war Empörung und Unverständnis, vielleicht auch Wut, zu erkennen, dass es Menschen gibt, die ihre schöne DDR verlassen wollen.

      „Sie liefern dem menschenverachtenden und kriegslüsternden kapitalistischen System in der BRD Ihre Kinder aus!“ setzte sie ihre Ausführungen fort.

      Da musste ich wohl doch erst einmal etwas richtigstellen, denn ich erwiderte: „Sie hatten aber keine Skrupel, mich 1979 mit meiner Familie nach Moçambique zu schicken, wo Krieg, Hunger, Not sowie Mord und Terror herrschten!“ Was die Genossin noch mehr erregte, sodass sie nichts dazu erwiderte, sondern mir wütend entgegnete: „Sie haben überhaupt kein Recht, ein derartiges Gesuch zu stellen!“

      Die Genossin Sekretär führte nun ihr stärkstes Argument auf, wie sie wohl glaubte, denn sie ließ verlauten: „Für den Fall, dass Sie nicht sofort dieses ungesetzliche Gesuch zurücknehmen, werden wir Ihnen zum 31. August 1985 kündigen!1

      Da war es, dass „kein Recht haben“, was wir in Zukunft immer wieder hören mussten und uns bestärkte, nicht nachzugeben. Wir waren also rechtlose Bürger dieses Arbeiter- und Bauern-Staates Deutsche Demokratische Republik mit dem Genossen Honecker und seinem Politbüro an der Spitze!

      „Dieser Entscheid wird in der sich anschließenden Versammlung der Gewerkschaftsgruppe, der Sie ja noch angehören, verkündet werden!“ waren ihre abschließenden Worte. Was dann auch geschah.

      In der sich anschließenden Gewerkschaftsversammlung wurde ich vom Direktor der Sektion TK/ET, sowie von meinem unmittelbaren Vorgesetzten, in zutiefst demütigender Weise diffamiert! Es wurde der Versuch unternommen, mich zu einem schädlichen Subjekt abzustempeln, z.B. durch folgende Äußerungen: „Er hat in seiner bisherigen Tätigkeit das Kollektiv und die Sektionsleitung bewusst getäuscht!“ bzw. „Er hat das Vertrauen der Sektionsleitung und des Kollektivs missbraucht!“

      Neben dem Genossen Sektionsdirektor und den drei Hochschullehrern des Wissenschaftsbereiches fühlten sich vier Kollegen, wohlgemerkt Kollegen und nicht Genossen, veranlasst, ihre besondere Treue zur Partei- und Staatsführung dadurch zum Ausdruck zu bringen, in dem sie sich, ohne dass sie aufgefordert waren, über mich und mein Vorhaben ausließen, als hätte ich sie persönlich beleidigt und angegriffen.

      „Auf so einen Gedanken, würde ich nie kommen!“ ließen sie sich in der einen oder anderen Form vernehmen. Hieran werden sich diese Herren, falls sie noch dazu in der Lage sind, ganz sicher nicht mehr erinnern! Ihre Namen hat der gewissenhafte Genosse Sektionsdirektor in einer Aktennotiz, siehe Kapitel 3, festgehalten. Diese Aktennotiz ist dann, wie könnte es anders sein, bei der Stasi, Hauptabteilung XX2, gelandet und somit heute ein historisches Dokument.

      Die Äußerungen dieser Herren, müssen für einen Teil der restlichen Mitglieder der Gewerkschaftsgruppe so schlimm gewesen sein, dass sich anschließend eine Kollegin aus dem Zeichenbüro mit den Worten entschuldigte: „Ich habe mich zutiefst geschämt und gewünscht, dass Sie nicht dabei gewesen wären!“

      Mir wurde ab sofort, d.h. ab dem 26. Juni, jegliche Tätigkeit in der Lehre und Forschung sowie der Kontakt mit Studenten untersagt, was auch für die Betreuung der von mir geleiteten drei Diplomverfahren galt. Ich durfte also die Diplomarbeiten, die am 30. Juni abzugeben waren, nicht mehr beurteilen, für die Diplomanden sehr problematisch.

      Von diesen letzten Diplomanden setzte einer sein Studium bis zur Promotion fort! Er lud mich dann im September 1988 zum Abschluss seines Promotionsverfahrens, mit der Begründung ein, dass ich derjenige war, der bei ihm die Grundlagen dafür gelegt hätte. So sagte er es auch in seiner Dankesrede im Anschluss der Verteidigung. Mich hat das sehr beeindruckt!

      Zwei Tage später wurde ich zum Sektionsdirektor vorgeladen. Er teilte mir die neuen Arbeitsaufgaben wie folgt mit: von 7 bis 12 Uhr Unterstützung der Werkstatt der Sektion bei der Durchführung der Grundmittelinventur, nachmittags Übernahme der Hausmeisterfunktionen im Gebäude „E“. In diesem Gebäude war der Wissenschaftsbereich „Regelungstechnik und Prozesssteuerungen“, dem ich ja offiziell noch angehörte, untergebracht. Ursprünglich war in diesem Gebäude seit etwa 1905 die erste private höhere Mädchenschule von Magdeburg, das Elisabeth-Rosenthal-Lyzeum, untergebracht.

      In der nächsten Zeit hatte ich das Gefühl, als hätten sich die Genossen abgesprochen, mich täglich mit ihren Aussprachen zu konfrontieren. Als erstes wurde ich telefonische aufgefordert beim Vorsitzenden der HGL3 zu erscheinen. In dem sich daraus ergebenden Gespräch äußerte er u.a.: „Entweder du ziehst den Antrag zurück oder deine Tochter darf in den Ferien nicht mit in die Sowjetunion fahren!“

      Es handelt sich um eine Ferienreise ausgesuchter Kinder der Technischen Hochschule in die Sowjetunion. Unserer Tochter war diese Reise fest zugesagt worden. Die Antwort auf diese