Der Limofreak räuspert sich übertrieben laut. »Wir sind hier, um Ihnen eine neue Art des Marketings …«
»Ein Gleichnis, Mann«, rufe ich mit einem Hauch religiöser Ekstase. »Ein Gleichnis, verdammt! Paulus behauptet, alle, die in der Katze einen Fußball sähen, verfolgten heimtückische Pläne oder plapperten die Mehrheitsmeinung nach, um nicht negativ aufzufallen. Nur er kenne die Wahrheit, die eine einzige Wahrheit!«
»Sie sind ja tatsächlich verrückt«, stellt Brauseonkel besorgt fest.
Ich winke ab und fahre fort. »Jetzt kommt die Pointe, die wir natürlich bereits kennen. Egal, was alle sagen, singen, tanzen und zelebrieren, die Katze ist keine Katze, sondern ein ordinärer Fußball. Das wird spätestens dann offensichtlich, wenn jemand versucht, davorzutreten. Deshalb muss das verboten werden. Ein göttliches Gebot! Tritt nicht vor die Katze, sonst rollt sie ins Tor. Der Ball der Verdammnis oder so ähnlich. Das ist brillant.«
»Noch einmal, wir sind nicht von einer religiösen Sekte«, ruft Limofreak genervt. »Wir sind ein Movement, das eine neue Idee, einen new way of Persönlichkeitsentwicklung …«
»Eine Katze. Eine fette Katze mit Adidasaufdruck!«, unterbreche ich ihn hysterisch kichernd. »Never kick the cat.«
Brauseonkel tippt sich mit dem Finger gegen die Schläfe. »Der ist total plemplem.«
Sein Kumpel packt die Limodose zurück in seinen Rucksack, auf dem ebenfalls der Fantasiename des Getränks prangt.
»Was müsste ich in so eine Dose investieren?«, rufe ich den beiden nach, als sie die Treppe nach unten rennen. »Katzensaft. Katzensaft. Das gibt jeder Katze Kraft«, singe ich mit einer Melodie von Helge Schneider.
Wieder in der Küche fühle ich mich schlecht. Andere Leute runterzumachen verschafft mir keine Befriedigung. Die Typen von eben tun mir leid. Das sind haltlose Menschen – ein bisschen so wie ich. Nur lassen sie sich blenden und treten einer Limosekte bei. Ich bleibe lieber allein und leide still vor mich hin. Aber selbst Revoluzzer und Träger des Weltschmerzes müssen frühstücken. Deshalb quäle ich mich die Treppe hinunter auf die Straße. Mein kleines Zwischenhoch ist verpufft. Missmutig nehme ich das Auto, statt zur Bäckerei zu laufen. Das Radio dudelt einen Song von einer Boygroup, wahrscheinlich Backstreet Boys, mehr Bands aus diesem Genre weigere ich mich zu kennen. Ich wähle den CD-Kanal. Eine Frau mit faszinierend transparenter Stimme singt auf Englisch etwas über Satelliten. Schon wieder. Die Teile verfolgen mich. Allerdings scheint die Sängerin im Vergleich zu dem Typen von dieser Sonnenkommandoband ein apodiktisch reines Wesen zu sein. Noch bevor der Song zu Ende ist, erreiche ich mein Ziel. Für diese kurze Strecke das Auto zu bewegen, ist schändlich, aber es nieselt und mein Leidensdruck ist so immens, dass mir mein ökologischer Fußabdruck – grob gesagt – am Arsch vorbeigeht. In der Parklücke neben mir steht eines dieser gigantischen Buschfahrzeuge, die zwar komplett an der Verkehrsrealität deutscher Innenstädte vorbei konzipiert worden, in den letzten Jahren dennoch schwer in Mode gekommen sind. Aber gut, einige Menschen trauen sich ohne Allrad, zweihundert Pferdestärken und panzerähnlicher Karosserie nicht vor die Tür. Das Leben ist feindlich, da muss man sich und sein Ego schützen. Diese Leute scheren sich einen Dreck um den Dreck, den sie fabrizieren, sind Rebellen der Straße, weil sie Parklücken besetzen, die für herkömmliche Autos und nicht für breite Geländehaubitzen erfunden worden sind. Regeln gelten für solche Automobilisten nicht, Konventionen sind da, um auf dem inneren Altar des Aufbegehrens geopfert zu werden. Diese Typen und ich, wir sind von einem Schlag, beide aus Holz geschnitzt, ich Ahorn, die importierter Regenwald.
Ich quetsche mich mühsam aus dem Auto. Die Tür kann ich nur einige Zentimeter öffnen, bevor sie gegen das Nachbarfahrzeug stößt. Zum Glück bin ich trotz meines Alters von Mitte dreißig immer noch nicht fett geworden. In der Bäckerei muss ich warten. Vor mir steht ein Mann in einem grellgelben Poloshirt und einer dieser künstlich blau wirkenden Jeans und unterhält sich seelenruhig mit der Verkäuferin.
»Nee, ich bin nicht mehr in dem alten Fitnessstudio«, erklärt ihm die Frau hinter der Theke. »Ich gehe jetzt zu dem in dem Gewerbegebiet in der Nähe des Stadions.«
Der Mann beugt sich vor. »Das darf man ja nicht laut sagen, aber sind da nicht nur Schwatte? Da habe ich ja keine Lust drauf, da bleibe ich lieber unter meinesgleichen.«
Unter Arschlöchern, denke ich, schweige aber. Wahrscheinlich hatte der Typ eine schwere Kindheit oder er hat zu wenig Fantasie, um auf die Idee zu kommen, dass er selbst für sein jämmerliches Leben verantwortlich ist und keine Politiker, keine Ausländer oder Leute, die anders aussehen als er. Ich sollte ihn als Rassisten beschimpfen, aber ich warte einfach, bis er weg ist, und bestelle zwei Körnerbrötchen. Die Frau kassiert ab. Die beiden Brötchen kosten beinahe zwei Euro. Ich schleppe mich zurück zum Auto. Mühsam laviere ich den Wagen aus der engen Parklücke. Plötzlich springt ein Mann zur Seite und weicht so meiner hinteren Stoßstange aus. Ich hätte ihn um ein Haar überfahren. Ich hebe entschuldigend die Hand, während ich an ihm vorbeirolle, und rufe Verzeihung durch die Scheibe. Er antwortet mir mit einer obszönen Geste und schlägt wütend aufs Autodach. Was ist bloß mit den Leuten? Ich habe einen Fehler gemacht, aber mehr als mich zu entschuldigen und meine Unachtsamkeit aufrichtig zu bereuen, kann ich nicht. Ich gebe Gas und lasse den nach wie vor wild gestikulierenden Mann hinter mir. Wahrscheinlich hat er auch eine schlechte Zeit. Er steckt in der Krise, deshalb reagiert er so unverhältnismäßig. Oder er ist sauer, weil ich im letzten Moment ausgewichen bin. Vielleicht wollte er, dass ich ihn überfahre, weil er die Nase von dem ganzen Mist hier voll hat, weil er eingesehen hat, dass die Sex Pistols recht hatten, und es keine Zukunft gibt. Deshalb ist er mir vors Auto gelaufen und was tue ich? Bremse und verschone ihn. Da kann man durchaus die Contenance verlieren. Der Mann tut mir leid.
Kurz vor meiner Wohnungstür treffe ich auf dem Flur meine Nachbarin Frau Weber. Seit ich die Musik laut auf Dauerschleife habe laufen lassen, hasst sie mich noch mehr als zuvor. Ich rechne mit dem Schlimmsten, aber sie grüßt mich freundlich und geht weiter. Das macht sie aus Boshaftigkeit, sie versucht mich so zu provozieren, die alte Schlange.
»Halt die Fresse!«, raune ich ihr zu.
»Aber Herr Deutsch«, ruft Frau Weber entsetzt.
Ich ignoriere ihr Gezeter und verschwinde in meiner Wohnung. Ich bin es leid, Verständnis aufzubringen. Das alte Muster, gnädig mit meinen Mitmenschen zu sein, muss ich abschütteln. Diese Attitüde führt nach meinen jüngsten Erfahrungen in die Katastrophe.
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