Der Hase - Ein Fabelroman. Lorenzo Emanuele Tomasello. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Lorenzo Emanuele Tomasello
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия:
Жанр произведения: Контркультура
Год издания: 0
isbn: 9783347136380
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an der Baustelle ankamen, war das Gebäude schon fast vollständig niedergebrannt.

      Die Hasenwesen waren stolz auf ihre Hasenfamilie, der es gelungen war, was andere Widerstandskämpfer bisher nicht geschafft hatten: Sie hatten die geplante Bildungseinrichtung zerstört. Dafür wurden sie nun im Wald in aller Öffentlichkeit geehrt. Besonders stolz waren die Eltern auf ihr Jungtier, das alles angezündet und sich in seinem Handeln als sehr reif und selbstbestimmt gezeigt hatte. So erkannte man ihn jetzt als Erwachsenen an, in deren Kreis er durch ein hasentraditionelles Ritual aufgenommen wurde: Vor allen Hasenwesen durfte er ein Feuer anzünden, was als symbolischer Akt des Beschützens galt. Als dies geschehen war, sah der junge Hase einen älteren auf sich zukommen. Sein langer weißer Bart war ein Beweis für all die Jahrzehnte, die er seinem Volk treu gedient hatte. Sie fielen einander in die Arme. Dabei applaudierte das Volk euphorisch. Eine feierliche Stimmung herrschte unter den Hasenwesen, alle tanzten miteinander und freuten sich. Aber es blieb eine Traurigkeit in ihnen, weil Alfred nicht dabei sein konnte. Sie hielten ihn für tot, denn seit Tagen hatte ihn niemand mehr gesehen. Er habe sich zum Wohle des Waldes geopfert, hieß es, und aus Dankbarkeit für seine Taten widmeten sie ihm einen Moment der Stille. Alle Hasenwesen schwiegen gemeinsam.

      *

      Erst einen Tag nach dem Brand erfuhr Arnold von dem angerichteten Schaden. Diese Hasen gingen ihm langsam auf die Nerven. Der Wald war groß genug für alle, warum zogen sie sich nicht einfach tiefer in den Wald zurück und lebten dort naturverbunden, anstatt ihm das Leben zur Hölle zu machen? Sie waren gewaltbereiter, als man ihnen zugetraut hatte.

      Die durch den Brand verursachten Schäden gingen in die Millionen, dennoch durfte die Regierung der Stadt Silva von den Hasenwesen nichts erfahren, da sie andernfalls das Waldgebiet zum Naturreservat erklären und die Hasenwesen in die Liste der geschützten Arten aufgenommen hätten. Dann würde der Bau der Privatschule komplett unmöglich werden, und die Jugend könnte nicht mehr zurück zur Natur finden, glaubte Arnold. Für eine Weile saß er schweigend in seinem Büro, dann kam ihm eine Idee.

      Arnold beauftragte professionelle Jäger, um alle Hasenwesen zu töten. Schon seit Jahren waren die Jäger im Geschäft und jagten auf Wunsch jedes Tier in der Wildnis. Ihre Berufsphilosophie war es, den Menschen gesundes Fleisch zu bringen, weil Wildtiere sich nur von dem ernähren konnten, was für ihren Organismus geeignet war. Hinzu kam auch noch ihre große Bewegungsfreiheit, was die Qualität des Fleisches wesentlich verbesserte und zu riesigen Ersparnissen an Zuchtplätzen führte. Anfangs lehnten die Jäger den Auftrag von Arnold ab, weil es nicht ihrem Ideal entsprach, eine bestimmte Tierart auszurotten; ihr Anliegen war vielmehr eine gewisse Nachhaltigkeit. Dennoch mussten sie den Auftrag letztlich annehmen, weil die Menschen sich lieber billiges und ungesundes Fleisch kauften und sie nicht genug Aufträge bekamen. Es ging nicht nur den Jägern durch das Billigfleisch schlecht, die Menschen wurden davon krank und schadeten auch ehrlichen und nachhaltigen Händlern. Das war für alle von diesem Umstand Beteiligten eine vertrackte Situation, in der Arnold den Jägern eine hohe Summe bot. Durch dieses Geld erhofften sie sich einen Neustart, damit sie mit Wildfleisch wieder werben konnten und so ihrer ursprünglichen Philosophie nachgehen durften, damit die Welt ein besser Ort werden konnte. Damit sie mit gutem Gewissen diesem unmoralischen Auftrag nachgehen konnten, überredeten sich die Jäger gegenseitig, dass sie die Hasenwesen ausrotten mussten, damit die private Naturschule erbaut werden konnte und die junge Generation sich wieder mit der Natur verband. Auf diese Weise könnten sie dann wieder ihr Wildfleisch verkaufen, und am Ende würde alles gut werden.

      Allen Jägern gemeinsam war ihre sportliche schwarze Uniform und als Ausrüstung ein gewöhnliches Jagdgewehr. Mehr war auch nicht nötig, um die in steinzeitlichen Verhältnissen lebenden Hasenwesen auszurotten. Arnold wollte seine Privatschule so schnell wie möglich fertig bekommen und endlich das erste Geld verdienen, insofern war ihm jedes Mittel recht. Er interessierte sich für Wohlstand nur insofern, als dass der ihm ermöglichte, seinen Umweltschutz aktiv zu betreiben und Einfluss auf andere potenzielle Sponsoren zu nehmen.

      Die Jäger trafen sich zum vereinbarten Zeitpunkt vor dem Eingang der niedergebrannten Schule. Alle waren in ihren schwarzen Uniformen gekommen, nur Malus nicht. Stattdessen erschien er im orangefarbenen Pullover mit schwarzer Jogginghose und dunklen Sportschuhen beim Treffpunkt. Er hatte einen runden Kopf, der auf einem stämmigen Hals saß, und ungekämmte Haare.

      Es war nicht das erste Mal, dass Malus ohne seine Uniform zu den Aufträgen erschien. Hin und wieder zog er seine Uniform als eine Art Protest nicht an. Er verstand kaum, warum alle Jäger so besessen davon waren, die gleiche Uniform anzuziehen. Aus seinen vielen Beobachtungen hatte er gelernt, dass die Natur ausnahmslos auf Einzigartigkeit setzte. Dies war ihm aufgefallen, als er erlegte Hirsche betrachtete. Auf den ersten Blick sahen sie alle gleich aus, doch wenn man genauer hinschaute, sah man kleine Unterschiede in der Gestalt. Seine Jägerkollegen warfen ihm verächtliche Blicke zu und verspotteten ihn: »Der Bauer ist gekommen.« Sie hielten seinen Auftritt für eine Unverschämtheit. Wie konnte man ohne Uniform zu einem solchen Auftrag auftauchen? Dennoch durfte Malus mit auf die Jagd, weil die Jäger wirklich jeden der Angestellten gebrauchen konnten, um die vielen Hasenwesen zu töten.

      *

      Am Ende erschossen alle zusammen eine Unzahl von Hasen. Malus hatte sich besonders hervorgetan und im Vergleich zu seinen Jägerkollegen die meisten getötet. Er war ein erfahrener Jäger. Nur einige wenige Hasen fanden Zuflucht in einer abgelegenen Waldregion, wo sie sich versteckt hielten. Die Jäger hatten zwar den ganzen Wald durchkämmt, aber keine weiteren Hasenwesen mehr gesehen.

      Die Hasenfamilie jedoch wurde schließlich noch aufgespürt und zu einem Abgrund gehetzt. Aus Verzweiflung schubsten die Eltern ihr Jungtier in den Fluss. Es geriet in Panik, denn noch nie war es aus so größer Höhe ins Wasser gefallen. Sie selbst waren den Jägern schutzlos ausgeliefert, als die ihre Schusswaffen weglegten und die Messer zogen, aber sie wollten ihre Haut teuer verkaufen. Die Jäger waren jedoch in der Überzahl und trieben die Eltern so dicht an den Abgrund, dass diese schließlich in die Tiefe stürzten. Sie fielen in den Fluss, und die Strömung zog sie zum Wasserfall.

      Das Jungtier hatte nach seinem Sturz noch rechtzeitig den ins Wasser hängenden Ast eines Baumes greifen können und hielt sich daran fest, während seine Eltern von der Strömung mitgerissen wurden. Die Jäger dachten, auch das Jungtier wäre weggetrieben worden, und kehrten dem Abgrund den Rücken. Der kleine Hase kletterte am Wasserbaumstamm entlang zum Ufer und rettete sich tief in den Wald.

      Seitdem hatte der Hase seine Eltern nicht mehr gesehen. Anfangs glaubte er noch, sie könnten wie durch ein Wunder den Sturz in die Tiefe überlebt haben, und hielt überall Ausschau nach ihnen. Doch er fand sie nicht und verlor schließlich die Hoffnung. Sie waren immer für ihn da gewesen, und jetzt war er plötzlich allein. Der Hase fühlte sich einsam und verlassen. In den ersten Tagen nach dem Tod seiner Eltern hatte er sogar an Selbstmord gedacht, aber etwas hielt ihn davon ab, denn die Elterntiere hatten ihr Leben für ihn geopfert und würden niemals wollen, dass er auch starb. Wenn er sich das Leben nähme, wäre ihr Tod umsonst gewesen. Dann hätten sie auch alle zusammen sterben können. Es begann Hass in ihm zu wachsen, der ihn bald ganz erfüllte. Ich räche den Tod meiner Eltern, nahm er sich vor.

      *

      Die Schule war inzwischen fertig erbaut. Man hatte die Brandschäden beseitigt, und jetzt strahlte ein modernes helles Gebäude durch den Wald, das zu errichten kein Widerstand mehr verhindert hatte. Als er die Schule sah, schwor sich der junge Hase: Ich werde nicht eher ruhen, bis sie wieder in Trümmern liegt.

      Da schickte sich gerade eine Jägertruppe an, den Wald zu verlassen, und freute sich lautstark über ihren Erfolg: »Ja, wir haben es geschafft und unseren Auftrag erfüllt!« Sie waren überzeugt, alle Hasenwesen getötet zu haben, und nun wartete ein schönes Sümmchen auf sie. Die Jäger konnten ihre Belohnung kaum abwarten, als sie plötzlich von Weitem den jungen Hasen entdeckten. Es überraschte sie sehr, hatten sie doch den ganzen Wald durchforstet und kein einziges dieser Wesen mehr entdecken können: »Wie kann es sein?« Der Hase nutzte das Überraschungsmoment und entfernte sich blitzschnell. Zwar versuchten die Jäger, ihn zu verfolgen, und schossen auf ihn, trafen aber nicht, weil er sich schon zu weit entfernt hatte. Das musste nun der einzige Überlebende der Hasenrasse sein, davon waren die