Wie kommt es zu dieser Verteilung?
Veränderungen beim Netzwerk-Design können die Ergebnisverteilung beeinflussen
Ich werde weiter unten einen vorläufigen Vorschlag präsentieren, wie man Netzwerke so organisiert, dass sie organisch zu einer Einkommensverteilung führen, die mehr einer Glockenkurve als der »Starsystem«-Verteilung ähnelt. Noch durchschauen wir nicht alle Auswirkungen bestimmter Netzwerk-Designs, aber wir wissen doch bereits genug, um den Status quo verbessern zu können.
»Starsystem«-Verteilungen entstehen, wenn man Menschen nach Spezialgebieten sortiert. Auch eine Normalverteilung bei einer Eigenschaft wie der Intelligenz führt zu einer »The winner takes it all«-Situation, wenn »Intelligenz« – wie auch immer sie einem einzelnen Test zufolge aussehen mag – das einzige Erfolgskriterium bei einem Wettbewerb ist.
Ist denn gegen die Verteilung nach dem Starsystem überhaupt etwas einzuwenden? Fördert sie nicht einfach die Besten, zum Wohle aller? Tatsächlich gibt es viele Beispiele, bei denen in gewisser Weise alle von dieser Verteilung profitieren. Für die Wissenschaft ist es natürlich förderlich, wenn es besondere Auszeichnungen wie den Nobelpreis gibt. Eine deutlich größere Wirkung haben aber breiter angelegte Formen der Förderung wie akademische Festanstellungen und Forschungsstipendien.
Leider tritt das Muster der Starsystem-Verteilung auch in anderen Bereichen unserer Gesellschaft immer häufiger auf. In den USA hat im Zeitalter der Netzwerke bekanntermaßen eine Schwächung der Mittelschicht stattgefunden, begleitet von einer massiven Ungleichverteilung beim Einkommen. Das muss nicht so sein. Wettbewerbe, bei denen es um alles oder nichts geht, sollten als besondere Auszeichnung gelten, als Tüpfelchen auf dem i. Sich ausschließlich auf sie zu stützen ist ein Fehler – nicht nur ein pragmatischer oder ethischer Fehler, sondern auch ein mathematischer.
Das Starsystem ist nur eine andere Verpackung für eine Glockenkurve. Es präsentiert dieselben Informationen, verwendet aber ein anderes Design-Prinzip. Wenn es falsch oder zu häufig verwendet wird, verstärkt das Starsystem Fehler, wodurch das vermeintlich ermittelte Ergebnis an Bedeutung verliert.
Verteilungen basieren auf Messungen, doch wie die Messung von »Intelligenz« gezeigt hat, ist die Art der Messung oft kompliziert und nicht frei von Willkürlichkeiten. Betrachten wir einmal den Aspekt des »Glücks«. Mit dem Aufkommen der neuen digitalen Wirtschaft um die Jahrtausendwende wuchs auch die Begeisterung für Casting-Shows und ähnliche Fernsehsendungen, bei denen ein Auserwählter plötzlich reich und berühmt wird. Bei diesen »The winner takes it all«-Wettbewerben sind die Zuschauer fasziniert von der Rolle, die das Glück spielt. Sicher, der Sieger oder die Siegerin in einem Gesangswettbewerb ist gut – in aller Regel so gut, dass er oder sie den Sieg verdient, doch schon eine kleine schicksalhafte Wendung kann alles so verändern, dass ein anderer Teilnehmer gewinnt. Eine andere Tönung beim Make-up kann da schon über Sieg und Niederlage entscheiden.
Und doch besteht am Ende ein enormer Unterschied zwischen Sieger und Verlierern. Manche Kritiker haben vielleicht ästhetische oder ethische Bedenken gegenüber dem Starsystem, doch es gibt auch ein mathematisches Problem, weil unerwünschte Nebeneffekte verstärkt werden. Wenn sich also eine Gesellschaft zu sehr auf das Starsystem stützt, leidet unsere Wahrnehmung. Wir verlieren die Realität aus den Augen.
Wenn eine Normalverteilung als Normalverteilung und nicht als Starsystem-Verteilung geschätzt wird, dann werden Faktoren wie Zufall, Glück und konzeptionelle Willkür nicht verstärkt. In der Statistik ist es sinnvoll, von durchschnittlicher oder überdurchschnittlicher Intelligenz zu sprechen, es ist jedoch nicht sinnvoll, den intelligentesten Menschen zu suchen.
Glockenkurven hin oder her
Starsysteme entstehen in einer Gesellschaft dann, wenn es an wirksamen Sortierprozessen mangelt. Wenn es fünf Wettbewerbe für Stars gibt, die jeweils nur Platz für fünf Stars bieten, dann kann es insgesamt nur fünfundzwanzig Stars geben.
In einem Starsystem werden die Besten extrem belohnt, während fast alle anderen – und das ist in unserer Zeit eine stets wachsende Anzahl von Konkurrenten aus allen Teilen der Welt – in die Armut gedrängt werden (aufgrund des Wettbewerbs oder auch aufgrund der Automatisierung).
Für die Entstehung einer Glockenkurve muss es eine unendliche Vielfalt von Pfaden oder Sortiervorgängen geben, die zum Erfolg führen. Das heißt, dass es viele Wege geben muss, um ein Star zu werden.
Folgt man wirtschaftswissenschaftlichen Lehrbüchern, kann eine bestimmte Person einen wirtschaftlichen Vorteil haben, weil sie sich an einem bestimmten Ort befindet oder Zugang zu einer wertvollen Information hat. Im Zeitalter vor der Cloud konnte ein Bäcker vor Ort frischeres Brot liefern und war gegenüber einer entfernten Brotfabrik im Vorteil, auch wenn deren Brot billiger war, und ein Angestellter der örtlichen Bankfiliale konnte besser als ein Analyst in der Ferne erkennen, wer seinen Kredit zurückzahlen würde und wer nicht. Jede Person, die in einer Marktwirtschaft Erfolg hatte, war ein lokaler Star.
Digitale Netzwerke wurden bislang vor allem dafür eingesetzt, diese lokalen Vorteile zu reduzieren, doch dieser Trend wird zu einer Implosion der Wirtschaft führen, wenn wir nichts daran ändern. Auf die Gründe gehe ich später noch ein, einstweilen möchte ich ein Szenario betrachten, das noch in diesem Jahrhundert gut möglich wäre: Wenn ein Roboter eines Tages einen anderen Roboter zu sehr niedrigen Kosten bauen oder an einem 3D-Drucker ausdrucken kann und dieser Roboter frisches Brot direkt in Ihrer Küche oder am Strand backen kann, dann müssen sowohl die Brotfabrik als auch der lokale Bäcker erleben, wie sich die Wege zum Erfolg drastisch reduzieren – eine Entwicklung, die in der Musikindustrie bereits stattgefunden hat. Brotrezepte für den Roboter würden im Netz wie heute Musikdateien getauscht. Den wirtschaftlichen Vorteil hätte ein ferner, riesiger Computer, der alle ausspionieren würde, die Brot essen, um sie mit Werbung zu bombardieren oder ihnen Kredite anzubieten. Brotesser könnten richtig viel Geld sparen, das stimmt, aber dieser finanzielle Vorteil wäre durch die beschränkten Aussichten mehr als gemindert.
Starsysteme hungern sich aus – Glockenkurven erneuern sich selbst
Ein hypereffizienter Markt, der optimiert wurde, um Starsysteme hervorzubringen, hat ein fatales Problem, denn bei diesem Markt wird es keine ausreichende Mittelschicht geben, die eine echte Marktdynamik unterstützt. Eine Marktwirtschaft kann nicht gedeihen, wenn es den normalen Menschen nicht gutgeht. Wir brauchen gewiss kein neues »Gilded Age«, kein »vergoldetes Zeitalter«, wie Mark Twain es spöttisch nannte. Gold schwimmt nicht. Es braucht eine Unterlage. Fabriken benötigen eine Vielzahl von Kunden. Banken sind auf zahlreiche vertrauenswürdige Kreditnehmer angewiesen.
Selbst wenn Fabriken und Banken eines Tages überflüssig werden sollten – wozu es wahrscheinlich noch in diesem Jahrhundert kommen wird –, gilt immer noch das ursprüngliche Prinzip. Das ist eine ewige Wahrheit, kein Artefakt des digitalen Zeitalters.
Auch die Reichen profitierten im vergangenen Jahrhundert davon, dass es eine funktionierende Mittelschicht gab. So konnten sie mehr Vermögen anhäufen, als es bei einer absoluten Konzentration des Reichtums möglich gewesen wäre. Eine breite wirtschaftliche Expansion ist immer lukrativer als das »The winner takes it all«-Prinzip. Manche Ultra-Reiche äußern gelegentlich Zweifel, aber selbst aus der elitärsten Perspektive gilt der Grundsatz, besser einen breiten Wohlstand zu fördern, anstatt ihn aufzuzehren, bis nichts mehr übrig bleibt. Henry Ford beispielsweise achtete darauf, dass seine ersten massengefertigten Autos so günstig waren, dass auch seine Fabrikarbeiter sie sich leisten konnten. Dieses Gleichgewicht schafft wirtschaftliches Wachstum und damit die Möglichkeit für weiteren Reichtum.
Eine künstliche Glockenkurve, die aus Deichen besteht
Vor dem Aufkommen digitaler Netzwerke wurden in Zeiten technischer Neuerungen oft Starsysteme begünstigt. Beim Bau