Der Sommer mit Josie. Sandy Lee. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Sandy Lee
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Короткие любовные романы
Год издания: 0
isbn: 9783969405147
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      Er warf ein: »Und das wäre?«

      »Ich habe mich hingesetzt und zugehört. Hendrik, ein Kind von fünfzehn Jahren weiß auch nicht sofort, wie es mit der Tatsache umgehen soll, nicht wie andere Jungen zu sein. Er wusste immer nur, dass er es war.«

      »Dann soll er rausgehen und es von den anderen lernen«, reagierte ihr Mann harsch.

      Barbara warf ihm einen ernsten Blick zu.

      »Jetzt wirst du unsachlich – und das weißt du. Ich habe das ganze Wochenende versucht, in seine Seele reinzukommen und die Ursachen zu erforschen. Wenn du ihn gesehen hättest, würdest du nicht so reden.«

      »Sondern?«, reagierte er patzig.

      »Hendrik, er sitzt zu Hause und geht nicht mehr raus. Er versucht, seine Gefühle zu ordnen, und er ist zu einer Entscheidung gekommen.«

      »Und die lautet wie?«, knurrte Hendrik kurz angebunden.

      »Er möchte als Mädchen leben – für immer. Mehr noch, er möchte ein Mädchen sein, wie die anderen. Ich habe es von ihm gehört. Du wirst dich dran gewöhnen müssen.«

      Hendrik verteidigte seine Position.

      »Und wenn ich das nicht will?«

      »Dann hast du ein Problem, denn das spielt nun keine Rolle mehr.«

      »Wie meinst du das?«

      Barbara wusste, dass nun der schwierigere Teil kommen würde. Hendrik die unangenehme Nachricht zu bringen, war das Eine. Jetzt musste sie ihm zur Kooperation bewegen, denn seine Person war bei künftigen Entscheidungen auch gefragt.

      »Hendrik. Du kannst an der Tatsache nichts mehr ändern. Hilf ihm jetzt, diesen Weg zu gehen. Wir brauchen dich dazu. Wenn du das nicht für ihn tust, wird er dich für immer hassen.«

      Er fühlte, dass seine Position unhaltbar war. Seine ›Angriffsstrategie‹ ging nicht auf. Er musste von seinem Feldherrenhügel heruntersteigen. Denn die Liebe seines Kindes verlieren, das brachte er nicht fertig.

      »Gut. Wenn es darum geht, dann werde ich das Notwendige tun. Aber unter schweren Bedenken …« Hendrik schluckte. »Unter sehr schweren Bedenken.«

      Barbara wollte ihren Mann für diese Zustimmung etwas Gutes tun.

      »Weißt du, wie dein Kind heißen möchte?«

      Hendrik gab sich uninteressiert, obwohl das ganz und gar nicht so war.

      »Du hast jetzt eine Tochter namens Josie.«

      Er zuckte zusammen.

      »Josie? – Du meinst, wie die … Josie?«

      Plötzlich wich die Härte aus Hendriks Gesicht.

      »Ja. Er hat mir das Lied vorgespielt, und mich an einen der schönsten Augenblicke meines Lebens erinnert. Hendrik, er hat es auch für uns getan. Ist dir das deine Liebe zu ihm – zu ihr nicht wert? Sollte dieser schöne Augenblick nicht in unserer Erinnerung dazukommen?«

      Barbara brauchte ein Taschentuch. Auch Hendriks Augen – die eines gestandenen Mannes – waren glasig geworden. Vor allem, weil er sich mit aller Schmerzhaftigkeit daran erinnerte, wie unnötig die Trennung letztes Jahr eigentlich war. Wäre er etwas mehr für seine Frau dagewesen, hätte ihre durchaus berechtigten Argumente ernster genommen, wie schön könnte ihr Leben weitergegangen sein. Er hatte – wie heute – seine Position behauptet und war gescheitert. Und fast wäre ihm das gerade wieder passiert.

      »Barbara … Liebling … Mir ist klargeworden, dass ich ein großer Dummkopf gewesen bin. Nicht nur heute, sondern auch die letzten Jahre. Du hast recht. Wenn wir Daniel …« Seine Frau blickte ihn leicht tadelnd an. »Wenn wir … Josie helfen wollen, müssen wir zusammenhalten. Ich muss erst mit der neuen Situation fertigwerden. Du siehst, ich bin vollkommen geplättet. Aber, bitte, überleg dir das mit unserem ›Ehe-Urlaub‹. Ich habe eben gefühlt, wieviel ich verpasse, wenn ich nicht bei euch bin. Schöne und … aufregende Momente mit dir und mit den Kindern. Wir lieben uns doch noch. Ich hab's kapiert, ich war ein selbstsüchtiger Trottel und habe die Welt um mich herum nur so gesehen, wie sie in mein Schema passte. Aber Barbara – um unserer aller Liebe willen – ich werf dieses Schema über Bord. Ihr fehlt mir so. Du fehlst mir so.«

      Es war fast ein zweiter Heiratsantrag, den Hendrik Barbara machte. Und Barbara hatte ihm eigentlich schon vor diesem Tag verziehen – wenn er sich ändern würde. Das Paradoxe an der Sache war nun ausgerechnet Josie. Ihr Auftauchen in der Familie hatte beiden unabhängig voneinander die Augen geöffnet. Aber gleichzeitig mussten sie feststellen, dass ihre Einstellung der neuen Situation gegenüber noch weit voneinander abwich. Hendrik hatte heute gezeigt, dass er die Sache nicht richtig ernst nahm und demzufolge zu Hause viel kaputtmachen konnte. Das konnte Barbara jedoch nicht zulassen. Für sie verschmolzen Daniel und Josie zu einer Person – zu ihrem Kind. Sie sah nicht die Äußerlichkeiten, sie sah nur das Wohl ihres Kindes. Und das musste ihr Mann anscheinend noch lernen.

      »Hendrik, ich kann das verstehen. Aber hast du gerade nicht vielleicht mehr mich als Josie im Sinn? Wenn du zurückkehren möchtest, dann kehrst du zu uns allen zurück: zu mir, zu Ilsa und … zu Josie. Begreife das, zu Josie. Wenn du unsere Wohnung betrittst, wird es dort keinen Daniel mehr geben. Du musst loslassen! Wenn du soweit bist, dann bekommst du deine Chance.«

      Hendrik seufzte. Es war eine Art Ultimatum, ein Erbe mit Klausel. Für Daniel würde sie ihm die Tür nicht öffnen. Die Spielregeln hatten sich geändert.

      Ein mühevoller Tag ging zu Ende. Als Barbara nach Hause kam, war Ilsa von der Geburtstagsparty zurück.

      »Mama, du siehst müde aus.«

      »Ja. Ich habe mit Papa über Josie geredet, und es war sehr anstrengend.«

      Ilsa runzelte die Stirn.

      »Ist er nicht damit einverstanden?«

      Barbara legte ihren Arm um Ilsa Schulter.

      »Einverstanden … Darum geht es hier nicht, mein Schatz. Wir können uns die Welt, in der wir leben, nicht aussuchen. Es gibt einige unumstößliche Tatsachen. Josie gehört jetzt dazu. Aber Papa kann das noch nicht akzeptieren. Er hängt an Daniel. Und dass Daniel nicht mehr da ist, das tut ihm irgendwie weh.«

      Ilsa warf ein: »Aber Daniel ist doch da! Nur, dass er jetzt eben Josie ist. Josie ist doch der gleiche Mensch, nur dass sie etwas anders aussieht als früher.«

      Barbara zog Ilsa an sich. Was ihre Tochter da gesagt hatte, klang sehr erwachsen. In dieser Beziehung war sie viel weiter als Hendrik.

      »Das hast du gut beobachtet. Ob Josie oder Daniel, ihr werdet euch genauso lieb haben. Aber für Papa ist das ein Unterschied. Er hat sich so an seinen Sohn gewöhnt. Und plötzlich, als Josie, ist ihm sein Kind fremd geworden. Dass Papa nicht hier ist, macht die Sache auch nicht einfacher, denn dann könnte er Josie näher kennenlernen. Sieh mal, wie wir uns schon an unsere Große gewöhnt haben. Wir sehen sie jeden Tag. Daniel hat sich so verändert, wie sich ein Junge in einen Mann, ein Mädchen in eine Frau verändert. Alles auf der Welt verändert sich. Das übersehen wir oft. Nur, wenn es von der allgemeinen Regel abweicht bemerken wir es. Und für Papa scheint das besonders hart zu sein.«

      Ilsa legte ihre Hand auf die ihrer Mutter, die immer noch auf der Schulter ruhte.

      »Kommt Papa wieder zu uns?«, fragte sie, etwas traurig.

      »Ich denke, schon. Doch vorher muss er mit Josie ins Reine kommen. Ich möchte keinen Streit im Haus. Ich habe ihm gesagt, dass er hier gebraucht wird. Aber dazu muss er seine Einstellung ändern. Ich hoffe, er tut es bald.«

      »Ja. Ich vermisse ihn sehr.«

      Barbara pflichtete ihr bei.

      »Glaub mir, ich auch.«

      Trotz ihrer Müdigkeit hatte sich Barbara noch einmal Josies Einkaufszettel vorgenommen. Wenn sie die Artikel wegrechnete, die sie wahrscheinlich im Second-Hand-Shop kaufen konnte, fiel der Rest der notwendigen Kleidungsstücke ganz erschwinglich