Der Sommer mit Josie. Sandy Lee. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Sandy Lee
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Короткие любовные романы
Год издания: 0
isbn: 9783969405147
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Karton noch ein Stück unter die Schräge. Hier lag auch eine alte Decke. Sie nahm das zusammengelegte Teil, faltete sie zweimal auseinander und schüttelte sie kurz aus.

      Puh, wie das staubte. Die Decke wurde auf dem Karton ausgebreitet, als Extra-Schutz vor ebendiesem Staub.

      Da fiel ihr Blick auf einen anderen, kleinen Karton. Sie ahnte, was sich in ihm befand. Sacht setzte Barbara die Schachtel auf die Decke, öffnete das Klebeband. Das ging ganz leicht. In dem Karton befanden sich einige von Barbaras schönsten Erinnerungen. Liebesbriefe von Hendrik, von einer Schleife zusammengehalten, und da …

      Sie hielt ein abgenutztes Buch in rotem Kunstledereinband in der Hand. Das war ihr Tagebuch! Ihre zu Papier gebrachte Teenagerzeit! Sanft strich Barbara über die alten Seiten, als sie es durchblätterte. Es gab einige, auf denen die Schrift verwischt war. – Tränen. Das wusste sie. Ein paar zeugten von glücklichen Momenten, andere von schmerzhaften.

      Plötzlich überkam Barbara eine Idee. Sie verschloss den Karton wieder, nahm das Buch und ging nach unten.

      »Josie, ich brauche einen PC!«

      Das Mädchen schaute verwundert aus seinem Zimmer.

      »Dann geh an meinen. Du weißt doch, dass ich kein Problem damit hab.«

      Barbara korrigierte sich.

      »Nein, ich meine, einen eigenen. Ein Notebook. Irgend was Mobiles.«

      Josie bekam große Augen.

      »Was hast du vor?«

      »Ich schreibe ein Buch!«

      Der Satz stand sekundenlang in der Luft.

      Ungläubig fragte Josie nach: »Ein … Buch?«

      Ihre Mutter starrte sie an.

      »Ja! Buch! Viereckig, Papier mit Buchstaben drauf – du erinnerst dich?«

      Der Unglaube verwandelte sich in maßloses Erstaunen.

      »Wie das jetzt?«

      Barbara schaltete einen Gang zurück.

      »Ich will meine Erinnerungen aufschreiben. Was du hier siehst, mein Mädchen, ist mein Leben in den Neunzigern. Das was mich berührte, als ich so alt war wie du heute.«

      »Und daraus möchtest du ein Buch machen?«

      »Genau! Und weißt du, wer mich auf die Idee gebracht hat?«

      Josie wusste es nicht, hatte aber eine ziemlich konkrete Vorstellung von der Antwort.

      »Du, meine Große. Du hast mir vor Augen geführt, wie aufregend diese Zeit doch sein kann. Ich hatte manches schon vergessen – verdrängt von anderen Ereignissen. Aber dann fiel mir ein, dass ich das nicht darf. Später einmal will ich dieses Buch zur Hand nehmen und sagen: ›Wie schön war das damals.‹ Als du mir sagtest, du willst so eine Art ›Tagebuch‹ führen, da dachte ich bei mir: ›Es ist gut, dass meine Tochter diese große Zeit festhalten will.‹ Denn diese Erlebnisse werden dich prägen, für dein ganzes Leben. Und was heute schwer sein wird, liest sich später leicht. Verstehst du das?«

      Josie hatte wirklich aufmerksam zugehört.

      »Ja – ich glaube, ich kann's verstehen. Mama, darf ich's auch mal lesen?«

      »Du bist so was von neugierig – wie deine Schwester. Okay, du darfst lesen, was ich auf dem Computer schreibe. Ich muss erst mal schauen, ob ich das«, sie zeigte das rote Büchlein, »auch alles verwenden kann.«

      »Dann schreib's so, dass du es verwenden kannst! Du hast gerade so schön von den Erinnerungen gesprochen. Da kannst du doch keine Lücken drin lassen.«

      Barbara gab sich geschlagen.

      »Du hast ja recht, du … Neunmalkluge!«

      Es war zwei Uhr. Barbaras Zug würde in zwei Stunden fahren. Sie jedoch dachte im Augenblick an etwas anderes. Sie war plötzlich so voll Elan, voll Energie, dass die Mühsal der letzten Tage wie ein dunkler Trauermantel von ihr abfiel. Nicht, dass sie Josie die Schuld daran gab. Aber es war so furchtbar anstrengend. Und diese Idee mit dem Schreiben hatte etwas Erfrischendes. Spannend würde es sein, aus den alten Aufzeichnungen eine Geschichte zu weben. Wenn die Erinnerungen erst einmal wieder flossen, dann sollten ihr schon die passenden Worte einfallen. Es war eine Aufgabe, jedoch auf einem ganz anderen Niveau als die Unterstützung für ihre Tochter. Hier tat sie etwas für sich, ganz allein für sich. Und – warum nicht – vielleicht trat sie mit Josie in einen Schreibwettstreit.

      Nein, sie war so voll Freude auf das Kommende, dass sie ihre Freundin Veronika anrufen musste. Sie griff zu ihrem Mobiltelefon und suchte Veronikas abgespeicherte Nummer.

      »Babs, schön dass du anrufst«, tönte es aus dem Lautsprecher.

      »Vroni, hast du ein paar Minuten Zeit?«

      »Ja. Bei uns ist gerade nicht viel los. Was gibt es?«

      Barbara platzte bald vor Aufregung.

      »Du, ich habe eine großartige Idee. Ich werde beginnen zu schreiben. Was … nein, nicht so. Ein richtiges Buch möchte ich schreiben.«

      Sie hörte ihre Freundin am Telefon schnaufen.

      »Babs, hast du getrunken?«

      Die Frage war mit Absicht gestellt. Barbara hörte sich wirklich wie in einem Rausch an.

      »Keinen Schluck, ich schwör's dir! Aber mir ist gerade mein altes Tagebuch in die Hände gefallen. Und auf einmal kamen so viele Erinnerungen hoch. Die möchte ich jetzt aufarbeiten und niederschreiben. Für mich – für später.«

      Veronikas Lachen klang herzlich.

      »Oh, wenn man dich hört, könnte man glauben, du erlebst diese Zeit gerade jetzt. Nein, das ist wirklich gut. Und es wird dir gut tun, als Ausgleich zu deinen anderen Aufgaben.«

      »Vroni, sag mal: So ein Notebook ist doch sicher ziemlich teuer?«

      »Na ja, wenn du's neu kaufst, schon. Entweder, du versuchst, ein Auslaufmodell zu bekommen – die sind oft günstig – oder …«

      Es war eine Zeitlang still im Lautsprecher.

      »Vroni?«

      »Ja, ich bin noch dran. Mir ist nur gerade auch etwas eingefallen.«

      Jetzt war Barbara die Neugierige.

      »Und was?«

      »Weißt du, ich habe schon eine Weile mit dem Gedanken gespielt, mir ein neues Notebook zu kaufen. Ich streame ja häufig Filme im Internet, und da wird meines langsam etwas lahm. Also – wenn du kein Super-Gerät brauchst, dann kannst du meines bekommen. Da hätte ich gleich einen triftigen Grund für den Neuerwerb.«

      »Ach wo. Ich brauch's wohl nur zum Schreiben, vielleicht noch für ein paar Bilder. Josie hat doch einen guten Rechner. Okay, wenn du das Notebook wirklich nicht mehr brauchst – was willst du dafür haben?«

      Veronikas Stimme wurde streng.

      »He Babs, willst du mich beleidigen? Nimm das Teil und werde glücklich! Sagen wir, morgen Nachmittag?«

      »Eher gegen Abend. Vorher muss ich noch mal weg.«

      »Na dann: Bis morgen.«

      Barbara hätte die Welt umarmen können, so froh war sie.

      9

      Barbara hatte die Bahn genommen und stand nun vor dem Haus, in dem sich Hendriks Wohnung befand. Sein Wagen parkte am Straßenrand, eine schon in die Jahre gekommene weiße Limousine mit Rallyestreifen an den Seiten. ›Hendriks Hobby‹, dachte sie, ›ein verhinderter Westentaschen-Schumacher.‹ Sie tadelte ihn nicht dafür, dazu war sie viel zu tolerant. Nur hatte sie immer häufiger mit Wehmut festgestellt, dass seine Prioritäten sich zu Ungunsten der Familie veränderten.

      Sie