Ostfriesische Verhältnisse. Peter Gerdes. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Peter Gerdes
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Триллеры
Год издания: 0
isbn: 9783839264645
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dem Kopfkissen waren halb erstickte Laute zu hören. Dann stemmte sich der junge Mann auf die Ellbogen hoch. »Es war alles ganz normal, eigentlich«, begann er, jetzt ohne Allüren. »Ich hatte noch spät gearbeitet, meinem Vater geholfen, wegen des Mitternachts-Shoppings. Dann musste er noch zu einer Sitzung, zu der ich nicht geladen war. Es hat geregnet, und ich war zu Fuß unterwegs, also habe ich mich ziemlich beeilt. Das Motorrad konnte ich kommen hören, habe mir aber nichts dabei gedacht. Das heißt, doch – ich dachte noch, der soll bloß aufpassen, bei Nässe kann das Pflaster in der Brunnenstraße ganz schön rutschig sein.« Er ließ den Kopf wieder sinken.

      »Und dann?«

      »Dann.« Schweres Atmen, durch das Kissen gedämpft. »Es war wie ein Schlag. Oder ein Tritt in den … Plötzlich lag ich am Boden, hatte keine Gewalt mehr über meine Beine. Nach und nach kam der Schmerz.« Er drehte sein Gesicht wieder seinen Besuchern zu; die blasse Haut war rot gefleckt. »Ich habe nach hinten gefasst, und meine Hand war voller Blut. Da hab ich dann wohl geschrien.«

      »Konnten Sie das Motorrad erkennen? Irgendein Detail vielleicht?«

      Oliver Eickhoff schüttelte den Kopf. »Hab’s nur gehört. Vorher. Danach – plötzlich war es weg, keine Ahnung, wie und wohin. Nur an den Sound kann ich mich erinnern.«

      »Kennen Sie sich aus mit Motorrädern?«, fragte Stahnke verwundert. Diesem kleinen Stenz hatte er höchstens einen Roller zugetraut.

      »Ein bisschen«, sagte Eickhoff junior. »Nicht, dass ich Ihnen jetzt den Typ sagen könnte oder so. Es war aber irgendein Eintopf. Wenn Sie verstehen, was ich meine.«

      Der Hauptkommissar nickte. »Ein großvolumiger Einzylinder-Motor also. Sind Sie sich da sicher? Irrtum ausgeschlossen?«

      »Logo«, schnauzte der junge Mann zurück. »Was denken Sie denn? Eine Harley war es jedenfalls nicht, auch keine BMW, überhaupt kein moderner Mehrzylinder und schon gar kein Zweitakter. Nee, das war ein Eintopf, vermutlich irgend so eine Enduro.«

      Immerhin etwas, dachte der Hauptkommissar. Auch wenn das für eine Fahndung natürlich nicht reichen würde, dafür gab es von diesem hochbeinigen Fahrzeugtyp denn doch zu viele.

      Plötzlich lachte Oliver Eickhoff auf. »Als dann plötzlich Asterix und Obelix angerannt kamen, dachte ich zuerst, die seien es gewesen«, sagte er.

      Stahnke runzelte die Stirn. Hatte es den Knaben doch schlimmer erwischt als gedacht? Verfolgt von zwei Comicfiguren, so etwas hatte er auch noch nicht gehört. Aber wieso hatte der Bursche etwas am Kopf, wo ihn die Kugel doch am Hintern getroffen hatte? Litt er unter einer posttraumatischen Verwirrung?

      Oliver Eickhoff feixte, als er Stahnkes ratlose Miene bemerkte. »Sie kennen die beiden wohl nicht? Ich dachte, die seien stadtbekannt. Laufen überall rum und meckern, wie die beiden alten Knacker aus der Muppetshow.«

      »Möglicherweise bekommen Sie da etwas durcheinander.« Der Hauptkommissar versuchte sich so schonend wie möglich auszudrücken. »Asterix und Obelix kenne ich, und die beiden sind nicht nur stadtbekannt, sondern weltberühmt. Aber Figuren aus der Muppetshow sind sie nicht. Das eine ist eine amerikanische Produktion, während die zwei Gallier …«

      »Wollen Sie mich verarschen?«, brüllte der junge Kaufmann unvermittelt los. Im nächsten Moment verzog er schmerzerfüllt sein gerötetes Gesicht. Seinen linken Arm hielt er angewinkelt an den Brustkorb gepresst. »Asterix und Obelix, so nennen wir die beiden doch bloß. Weil, der eine ist ziemlich klein und rothaarig, der andere groß und dick und trägt einen Pferdeschwanz. Treten immer gemeinsam auf, und der Große dackelt hinter dem Kleinen her. Zwei Kaufleute aus der Altstadt, echte Museumsstücke. Geschäftsgebaren wie vor Kaisers Zeiten, sagt mein Vater immer. Aber wenn etwas verändert oder erneuert werden soll, stehen die beiden da und motzen rum. Echt lästig.«

      Endlich klickte es in Stahnkes immer noch leicht weindementem Oberstübchen. »Die beiden haben Sie also dort gefunden, schwer verletzt, wie Sie waren. Haben Polizei und Rettungswagen gerufen. Und Sie haben geglaubt, einer der beiden hätte auf Sie geschossen? Wieso denn das?«

      »Na ja.« Oliver Eickhoff hob die Schultern, was ihm anscheinend Schmerzen bereitete. »Wie die da so angerannt kamen … Wir verstehen uns eben nicht so gut, die und wir. Da ist schon manches böse Wort gefallen.«

      »Wie böse? Ich meine, gab es Drohungen?«

      »Na sicher! Sogar öffentlich.« Der Verletzte versuchte sich mehr auf die rechte Körperseite zu betten. »Stand doch im Frühjahr in der Zeitung. Nachdem mein Vater unsere Mitternachts-Shoppings als ›für den Umsatz so sicher wie ein Elfmeter‹ bezeichnet hatte und dann zum ersten Mal eine dieser Aktionen nicht wirklich erfolgreich war, hat der Asterix doch gehöhnt, Eickhoff sei der Einzige, der per Elfmeter ein Eigentor fabrizieren könne. Da war mein Vater natürlich mächtig sauer und hat ihn einen ›ewig Gestrigen‹ genannt. Darauf hat dieser rothaarig Gnom doch gedroht, er werde ihm schon das Maul stopfen. So war das! Haben Sie das nicht mitgekriegt? Das war doch mehr als deutlich.«

      Doch, Stahnke hatte das sehr wohl mitbekommen seinerzeit, und er wusste noch gut, was ihm dabei deutlich geworden war – nämlich, dass es dem Leeraner Einzelhandel schlechter gehen musste, als seine Wortführer zuzugeben bereit waren. Mehr als ein wechselseitiges Gepöbel von Konkurrenten mit mangelhafter Kinderstube hatte er darin ansonsten nicht gesehen. Eine Bewertung, die er vielleicht revidieren würde, wenn Karl-Friedrich Eickhoff angeschossen und bäuchlings vor ihm im Krankenhausbett läge und nicht sein Sohn Oliver. So aber …

      Die Zimmertür platzte so abrupt auf, dass Stahnke die verdrängte Luft kühl auf seiner Wange spürte. Der hochgewachsene Mann, der in den Raum stürmte, trug einen grauen, teuer aussehenden Anzug unter einem auswehenden, ebenso kostspieligen Mantel. Der Hals dieses Mannes war ungewöhnlich lang, das Kinn klein, aber vorstehend und in zwei Halbkugeln gespalten, die Lippen wirkten ständig gespitzt. Ein langer Nasenrücken führte hinauf zu einer hohen, in Falten gelegten Stirn. Ein honorig wirkender Mann, das musste Stahnke sich eingestehen. Und doch – sah er nicht aus wie ein Gockel?

      »Wer sind Sie denn?«, schnauzte der Mann. »Etwa der Bodyguard? Dann sollten Sie wohl draußen auf dem Flur stehen. Mensch, hier kann ja jeder reinspazieren, wie er gerade möchte! Sie haben ja wohl gar keine Ahnung.«

      Wenn der Hauptkommissar noch Zweifel gehegt hätte, dass es sich hier um den prominenten Vater des Verwundeten handelte, dann wären die nunmehr ausgeräumt gewesen. Lag diese Art zu schnauzen eigentlich in den Genen, oder bekam jede neue Eickhoff-Generation die in die Wiege gelegt, quasi als Ausweis der Zugehörigkeit zu einer privilegierten Kaste?

      Stahnke tat, was er selten tun musste: Er zückte seinen Dienstausweis und hielt ihn dem großen Gockel unter die Nase. »Kriminalpolizei«, fügte er erläuternd hinzu. »Wir untersuchen den Anschlag auf Ihren Sohn. Womit hatten Sie denn gerechnet?«

      »Mit Personenschutz selbstverständlich«, erwiderte Eickhoff, jetzt in normalem Ton, aber ohne eine Spur von Verlegenheit. »Offensichtlich hat ein Mordanschlag stattgefunden, und sowie der Täter feststellt, dass er nicht erfolgreich war, wird er doch wohl den nächsten Versuch starten. Sehen Sie das etwa nicht so?«

      »Wir stehen ganz am Anfang unserer Ermittlungen und sind noch dabei, uns ein Bild zu machen.« Die Forderung nach Personenschutz entbehrte natürlich nicht der Logik. Wieso hatte Kramer das denn noch nicht geregelt? Aber darüber würde er sich ganz bestimmt nicht mit diesem Power-Papa hier streiten. »Haben Sie denn eine Vermutung, wer hinter dieser Tat stecken könnte?«, fragte er stattdessen. »Gab es vielleicht Drohungen oder haben Sie andere Beobachtungen in dieser Richtung gemacht?«

      Karl-Friedrich Eickhoff blickte zu seinem Sohn hinüber, zum ersten Mal, seit er das Krankenzimmer betreten hatte. »Natürlich wurden und werden wir bedroht«, konstatierte der Senior. »Seit dem Streit um das große Center in der oberen Mühlenstraße hat das nicht wieder aufgehört. Das richtet sich gegen mich, das richtet sich natürlich auch gegen Oliver. Gegen unsere ganze Familie und alles, was wir uns aufgebaut haben! Man hat uns gesagt, das wäre alles nur Getöse, so sei das nun einmal in der Politik, und Bebauungspläne sind nun eben ein Politikum. Alles nur Gebell, da würde schon nicht gebissen. Aber jetzt