Ostfriesische Verhältnisse. Peter Gerdes. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Peter Gerdes
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Триллеры
Год издания: 0
isbn: 9783839264645
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verdreckten Kleidung herum, was sich als ebenso zwecklos erwies wie vermutet, und machte sich auf den Weg zurück zum Parkplatz. Domian hatte sich offenbar ausgetobt und folgte ihr willig. Wenigstens etwas, dachte Antje Baumann. Hoffentlich hatte Edwin genügend Verstand, um mit dem alten Kombi zu kommen, den sie immer zum Einkaufen benutzten. Da lagen alte Decken drin, dann musste sie anschließend wenigstens nicht noch ein ganzes Auto putzen.

      Der Knall ließ sie erstarren. Ein Schuss, das war ihr erster Gedanke, ein Schuss, und ziemlich nah noch dazu. Verdammt, wer jagte denn hier, direkt am Rand der Siedlung? Dann erst erwog sie die anderen Möglichkeiten. Eine Fehlzündung, ein geplatzter Reifen, ein Feuerwerkskörper? Nein, nichts davon. Sie hatte ihre Herrschaften schon zu Jagdgesellschaften begleitet, um nach verblasener Strecke einen Imbiss zu reichen. Sie wusste, wie Schüsse klangen, und dies hier war einer gewesen.

      Na Gott sei Dank, wenigstens war sie nicht getroffen worden. Vorsichtig ging sie weiter.

      Domians Leine straffte sich, und als Antje Baumann sich umdrehte, sah sie, dass der Hund zu Boden gesunken war. Sein dreckverkrustetes Fell nahe der Hinterhand glänzte von frischer Nässe. Mit großen, unendlich traurigen Augen starrte der Golden Retriever sie an. Dann erst begann er leise zu fiepen.

      »Domian?« Antje Baumann bückte sich, fasste nach der feuchten Stelle. Unter ihren Fingern pulste es warm, und obwohl es schon fast dunkel war, konnte sie den roten Schimmer deutlich erkennen. Nun jaulte der Hund, leise und schicksalsergeben. Es war herzzerreißend.

      Jemand hatte auf Domian geschossen! Auf ihren Hund, vielmehr auf den Hund, für den sie die Verantwortung trug, die so klebrig war wie das Blut an ihrer Hand. Wer tat denn sowas? Wer schoss denn auf einen unschuldigen Hund?

      Motorengeräusch drang zu ihr herüber. War das Edwin mit dem Kombi? Aber so klang es nicht, es klang anders. So, wie es früher geklungen hatte, wenn Olivers merkwürdige Freunde zu Besuch gewesen waren und wieder wegfuhren. Auf ihren Motorrädern! Richtig, das Geräusch kam von einem Motorrad. Und es entfernte sich. Jetzt kam noch ein Quietschen dazu, der Motor brüllte in der Ferne noch einmal auf, dann war es wieder still. Bis auf das Jaulen des Hundes.

      »Domian, mein armer Domian. Stirb mir bloß nicht.« Sie riss ein Päckchen Taschentücher heraus, presste es auf die Wunde, um die Blutung zu verlangsamen, und versuchte es mit ihrem Halstuch zu fixieren. Schade drum, das war ihr gutes Halstuch. Aber darauf kam es auch nicht mehr an.

      Als Edwin einige Minuten später den Spazierweg mit seiner starken Taschenlampe ableuchtete, fand er Antje Baumann zusammengekauert und schluchzend vor, die Arme um Domian geschlungen. Der Hund lag ganz still, nur seine Rute zuckte leicht zur Begrüßung.

      7.

      »Hören Sie mal, Herr Christiansen, jetzt müssen Sie aber mal was unternehmen. So geht es wirklich nicht weiter!«

      Gerd Christiansen seufzte leise, ließ sein Fahrrad ausrollen und schwang sich aus dem Sattel. Eine Bewegung, die er seit seiner frühen Kindheit praktizierte und die ihm daher auch immer noch halbwegs elegant gelang, trotz seiner Körperfülle. In der Leeraner Altstadt fuhr er grundsätzlich mit dem Rad; Parkplätze waren hier Glückssache. Deshalb war er nach seiner Rückkehr aus Aurich auch zunächst nach Hause gefahren, obwohl es schon fast sieben Uhr war und er sich beeilen musste, um seine Buchhändlerin noch anzutreffen.

      Das konnte er nun vergessen. Sein Nachbar hatte ihm aufgelauert, und Christiansen ahnte auch schon den Anlass. Kein erfreulicher, so viel war klar.

      Unnötig umständlich schob er sein Rad in die schmale Lohne zwischen seinem Geschäftshaus und dem benachbarten Gebäude, lehnte es gegen die Wand und ließ das Ringschloss einrasten. Danach war die Konfrontation nicht länger hinauszuzögern.

      »Dann waren die jungen Leute wohl wieder mal zu laut, Herr Terveer?« Christiansen legte den Kopf in den Nacken und schaute die efeubewachsene, cremeweiß verputzte Mauer seines Geschäfts- und Mietshauses hoch; die beiden großen Sprossenfenster im ersten Stock gehörten zur Küche der großen Wohnung, die er nach langem Zögern an diese WG vermietet hatte. Eine Entscheidung, die er längst bereute.

      »Laut ist überhaupt kein Ausdruck.« Der kleine, rotgesichtige Mann bebte vor unterdrücktem Ärger. »Das war ein Radau letzte Nacht, schlimmer als bei den Hottentotten! Erst diese Musik, Sie wissen schon, die so klingt, wie wenn dicke Bleche ausgestanzt werden. Dann kam noch dieses Gebrüll und Gekreische dazu. Und alles lange nach Mitternacht! Irgendwann wurde es mir zu bunt, ich hab mir den Bademantel übergezogen, bin raus und hab bei denen geklingelt, zweimal. Danach war es dann ruhig, aber aufgemacht hat keiner.« Er schnaufte vor Wut. »Es reicht. Es reicht mir wirklich! Greifen Sie endlich durch!«

      Christiansen nickte verständnisvoll. Die Beschreibung seines Nachbarn stand wohl für Techno und Hip-Hop, in dieser Reihenfolge. Auch er fand beide Musikrichtungen überwiegend grauenhaft, da brauchte er nicht zu heucheln. Nur zu südafrikanischen Völkern hatte er eine andere Einstellung, aber die hier und jetzt zu thematisieren, schien ihm nicht angeraten. »Ich verstehe das wirklich nicht, Herr Terveer«, beteuerte er. »Letztes Mal habe ich den jungen Leuten doch ganz klar gesagt, was hier in der Altstadt geht und was nicht! Gelbe Karte, habe ich gesagt, ach was, dunkelgelb! Benehmt euch, hab ich gesagt. Noch so ein Ding, und ihr könnt euch eine andere Bleibe suchen!«

      »Das war wohl, als deren Besuch nachts übers Dach geklettert und über den Balkon eingebrochen ist, weil er den Hausschlüssel vergessen hatte, was?« Terveers Gesicht lief noch dunkler an. »Meine Frau hätte seinerzeit fast einen Herzinfarkt bekommen, als sie wach geworden ist und das gesehen hat! Bloß gut, dass sie letzte Nacht gar nicht hier war, sondern bei ihrer pflegebedürftigen Mutter übernachtet hat. Also, das sage ich Ihnen, ich hätte diesen WG-Typen damals gleich den Stuhl vor die Tür gestellt.«

      Christiansen biss sich auf die Lippe. Jetzt hatte er sich selbst in die Ecke geschwatzt. Mit einer weiteren letzten Verwarnung konnte er nicht mehr kommen; diese Karte hatte er bereits ausgespielt. Und sie hatte ganz offenkundig nicht gestochen.

      Er musterte sein Haus, die Hände in die Seiten gestemmt, und seufzte erneut. Er liebte dieses Gebäude, hatte es schon früher geliebt, als es noch nicht seins gewesen war. Dann hatte es leer gestanden und wäre vielleicht ganz verfallen, wenn seine Frau und er es nicht gekauft und gerettet hätten. Tja, schön und gut. Um aber solch ein Haus dauerhaft zu erhalten, mussten sämtliche Räume genutzt werden, nicht nur Buchladen und Restaurant, sondern auch die beiden Wohnungen im ersten Stock. Christiansen musste also Vermieter werden. Damit hatte der ganze Ärger angefangen.

      Und jetzt war es Zeit für den Befreiungsschlag. Da hatte der Nachbar wohl recht.

      Christiansen gab sich einen Ruck, stieg die beiden Stufen zum Seiteneingang hoch und betätigte die Klingel. Von oben war schwach der Gong zu hören. Big-Ben-Sound, das hatte er passend gefunden für ein Haus, das ganz auf Krimi abgestellt war. Krimi, das war immer noch irgendwie englisch, Dartmoor, Themse-Nebel und so. Eigentlich hätte er ja auch selbst in die Wohnung einziehen können; dann wäre ihm dieser Ärger erspart geblieben.

      Er klingelte noch einmal. Nichts rührte sich. Waren die Bewohner etwa schon ausgeflogen? Oder lagen sie nach dieser durchzechten und durchtobten Nacht immer noch im Säuferkoma? Abends um nach sieben? Nicht wirklich wahrscheinlich, aber auch nicht ausgeschlossen.

      Christiansen war sich gar nicht sicher, wie viele Mieter eigentlich tatsächlich hier wohnten. Vier waren es ursprünglich gewesen, die den Vertrag unterzeichnet hatten, nicht zu viele für diese ungewöhnlich große, verwinkelte Wohnung mit dem riesigen Wohnzimmer. Aber schon sehr bald hatte reges Kommen und Gehen eingesetzt, immer wieder waren neue Gesichter aufgetaucht, andere dafür nicht mehr. Frederik Jaschinsky, der Hauptmieter, hatte auf Nachfragen stets ausweichend geantwortet. Der Vermieter hatte sich damit zufriedengegeben. Die Miete war ja auch immer pünktlich überwiesen worden.

      Er drehte sich zu Terveer um und zuckte die Achseln. »Es öffnet keiner«, stellte er überflüssigerweise fest. Problem vertagt, jetzt konnte er sich doch noch dem Tagesabschluss seiner Buchhandlung widmen. Christiansen fühlte sich erleichtert.

      Der Nachbar aber machte nicht den Eindruck, als gäbe er sich damit zufrieden. Sein Kinn