Zukunftsträume. Corinna Lindenmayr. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Corinna Lindenmayr
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Контркультура
Год издания: 0
isbn: 9783967526547
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Hannah die Straße zu ihrem Haus einbog wusste sie nicht was sie erwarten würde. Sie hatte lange überlegt, ob sie überhaupt nach Hause gehen sollte. Aber was wäre die Alternative gewesen? Ihr Bruder lag im Krankenhaus und brauchte sie. Was auch immer sie in Erwägung zog, sie durfte nicht vergessen, dass Max niemand anderen auf der mehr Welt hatte als sie. Auf gar keinen Fall würde sie sich ohne Max irgendwo anders hinbringen lassen! Sie brauchte Zeit. Zeit, um sich irgendetwas einfallen zu lassen, wie sie sich aus dieser mehr als vertrackten Situation herausmanövrieren konnte. Nur leider hatte sie mal wieder keine.

      Völlig in Gedanken lief Hannah den schmalen Weg zu ihrem Haus entlang.

      Im gleichen Moment als sie die Hand ausstreckte um die Haustür zu öffnen hörte sie ein Rascheln. Erschrocken hielt sie inne und lauschte den Geräuschen, die aus dem Esszimmer zu kommen schienen. Doch jetzt wirkte alles wieder ruhig.

      Sie zwang sich ruhig zu bleiben. Herr Wiesner hatte gesagt, dass ein Polizist bei ihr zu Hause warten würde. Also atmete sie einmal tief durch, schloss sie die Tür und lief durch den engen Flur entlang um dann vorsichtig die kleine Stufe ins Esszimmer hinunter zu steigen.

      Auf dem Stuhl saß ein Mann mit dem Rücken zu ihr, den Kopf auf seinen Händen abgestützt. Der Mann trug keine Uniform, aber an seinem Hosenbund bemerkte sie eine Waffe.

      Sie schluckte, dann räusperte sie sich.

      Der Kopf des Mannes bewegte sich zuerst nach oben eher er sich zu ihr umdrehte. Die Hand nun an seiner Waffe gelegen starrte er sie an. Hannah merkte, dass ihr leicht schwindling wurde. Was aber auch daran liegen konnte, dass ihr Gegenüber sich als ein sehr attraktiver, noch ziemlich junger Polizist entpuppte, der sie nun mit seinen dunkelblauen Augen musterte.

      Dieser ganze Augenblick wirkte so unreal, dass sie beinahe laut losgelacht hätte, wäre es nicht so verdammt ernst gewesen. Aber genau das war es. Wie schon alle unzählige Male zuvor. Sie kannte dieses Spiel mit jeder einzelnen seiner Spielregeln. Nur dieses Mal lag es an ihr diese zu verändern.

      Sie zwang sich noch einen Schritt auf den ihr unbekannten Mann zuzugehen und ihm die Hand entgegenzustrecken:« Hallo. Ich bin Hannah. Aber das wusstest du vermutlich schon.« Sie musste den Kopf in den Nacken legen, als der Mann aufstand und ihre Hand ergriff. »Tom.« Seine Lippen verzogen sich zu einem schmalen Lächeln. »Und ja, ich weiß wer du bist.« Als sich ihre Hände berührten spürte sie ein verräterisches Ziehen in der Brustgegend und zog so schnell wie möglich ihre Hand zurück. Dieser Mann bedeutete Ärger und den konnte sie nun weiß Gott nicht gebrauchen.

      »Ich würde ja jetzt sagen, nett dich kennenzulernen, aber das wäre wohl gelogen.« plapperte Hannah daher schnell drauf los. Als sie sah wie Tom kaum merklich eine Augenbraue noch oben zog, drehte sie sich um. »Das ist jetzt nicht persönlich gemeint.« fuhr sie fort. »Aber du bist hier um mich fortzubringen.« Was keine Frage, sondern eine Feststellung war.

      »Ja.«

      »Siehst du. Und genau das ist das Problem. Ich werde nicht mitgehen.« Hannah wagte es nicht, ihn anzusehen während sie das sagte. Daher tat sie so, als würde sie irgendetwas in einem der vielen Küchenschränke suchen.

      Als jedoch keine Antwort kam, warf sie, nun doch neugierig geworden, einen kurzen Blick über die Schulter.

      Tom stand da, die Hände vor der Brust verschränkt und taxierte sie mit diesen herrlich blauen Augen. Aber immer noch sagte er nichts. Starrte sie nur an.

      Mit einem Seufzer drehte Hannah sich dann doch vollständig um. »Hör zu,« fing sie an, stoppte jedoch abrupt, als sie merkte, dass Tom nun auf sie zu kam. Kurz bevor er sie berühren konnte blieb er stehen und seine Mundwinkel verzogen sich leicht nach oben. »Das klingt fast so als hättest du eine Wahl.«

      Verwirrt sah Hannah ihn an. »Ich verstehe nicht.«

      Tom zuckte mit den Schultern. »Du sagst du gehst nicht mit. Was machst du dann?«

      Das wusste Hannah selbst nicht so genau. Was Teil des Problems war. Sie hatte nicht den blassesten Schimmer was sie tun sollte.

      »Ich werde nicht von hier fort gehen.« erwiderte sie und versuchte ihn so entschlossen wie möglich anzusehen.

      »Das beantwortet nicht meine Frage.« Klugscheißer.

      »Was spielt das denn für eine Rolle? Ich werde nicht mitkommen. Ich verzichte auf einen Aufpasser.« Noch bevor sie die Worte fertig gesprochen hatte, wusste sie, dass es vermutlich nicht so einfach sein würde. Aber man durfte ja wohl noch hoffen.

      Toms Miene blieb unergründlich. »Du denkst also, dass es so einfach ist, ja?« Dieser Kerl machte sie wahnsinnig. Was spielte es für eine Rolle was sie dachte? »Hör zu. Ich weiß, dass es dein Job ist, aber ich lasse mich nicht von hier fortbringen. Schon gar nicht, während mein Bruder im Koma liegt.« Hannah lief an Tom vorbei, versuchte so gut wie möglich seinen maskulinen Duft zu ignorieren und setzte sich resigniert auf einen der freien Stühle. »Das meine ich ernst.«

      Sie sah zu wie Tom sich den anderen Stuhl schnappte, diesen umdrehte, so dass das Rückenteil zwischen seinen Schenkeln war und gegenüber von ihr Platz nahm. Seine Arme legte er ebenso lässig, wie er sich eben auf den Stuhl gesetzt hatte, übereinandergeschlagen auf die Lehne. Noch immer sah er sie so eindringlich an, dass Hannah plötzlich weiche Knie bekam.

      »Hannah«, begann er dann und seine Stimme klang nicht weniger entschlossen als ihre. »Ich werde mich nicht auf eine Diskussion darüber einlassen, ob du mit kommst oder nicht. Diese Wahl hast du nicht.«

      Er merkte, wie sich ihre vorhin noch so leuchtenden Augen zu zwei kleinen Schlitzen verengten, die ihn jetzt wütend anstarrten. »Das hier,« sie machte mit ihrem Zeigefinger eine kreisförmige Bewegung, »ist mein Leben. Meines. Ich glaube nicht, dass hier irgendjemand das Recht dazu hat, mir vorzuschreiben was ich tun muss.« zischte sie. »Wenn ihr mich von hier fortschleppen wollt, müsst ihr das schon mit Gewalt tun.«

      Toms Lippen verzogen sich zu einem Grinsen. »Das könnte durchaus interessant werden.«

      Was ihm einen erneuten totbringenden Blick Hannahs einfuhr. »Das war keine Aufforderung.«

      »Hörte sich aber so an.«

      »Ich bin eine erwachsene Person. Ich habe Rechte. Glaubt bloß nicht, dass ich das nicht weiß.« fuhr sie ihn erbost an. »Niemand wird mich gegen meinen Willen irgendwo hinbringen. Auch nicht die Polizei.«

      »Das kann nicht dein Ernst sein.«

      »Doch. Ich habe hier ein Leben. Mein Bruder hat hier ein Leben.« Sie schluckte. Zumindest hatte er es gehabt. Aber daran würde sie jetzt nicht denken. Max konnte jeden Augenblick wieder aufwachen. Daran musste sie festhalten. »Warum wollt ihr das wieder zerstören?« Sie klang resigniert.

      »Weil du in Gefahr bist.« erwiderte Tom lapidar. Was Hannah offenbar komplett ignorierte. Oder nicht verstand. Wobei er persönlich eher auf ersteres tippte.

      »Ich bin siebenundzwanzig Jahre alt. Wir sind durchschnittlich drei mal in einem Jahr umgezogen. Manchmal sogar noch öfter. Die Gefahr war immer da. Und sie wird immer da sein. Egal wo ich bin.« Hannah nahm ihr Handy aus ihrer Handtasche und legte es auf die Küchenablage. Drei Anrufe in Abwesenheit. Alle von Julia. Sie ignorierte sie. Sie wollte jetzt nicht mit irgendjemand reden. Auch nicht mit ihrer besten Freundin. »Warum also, kann ich dann nicht genauso gut hier bleiben?«

      Tom antwortete nicht. Was hätte er auch sagen sollen? Er würde sie von hier wegbringen, ob mit oder ohne ihrer Zustimmung. Eigentlich musste er ihren Standpunkt sogar bewundern. Auch wenn er letztendlich nichts änderte. Nun, dass würde sie schon noch früh genug merken.

      Statt ihr also weiterhin einen Vortrag darüber zu halten, in welcher Gefahr sie schwebte, stand er wieder auf. Der geplante Aufbruch würde erst morgen Vormittag stattfinden, bis dahin würde er sie schon zur Vernunft bringen. Es wäre vermutlich klüger, sie vorerst in Sicherheit zu wiegen. »In Ordnung.« erwiderte er daher und stand auf.

      »Wie in Ordnung?«

      »Na in Ordnung eben.« Tom ging Richtung Tür.