... denn alles ist Vorherbestimmt. Elisabeth Schmitz. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Elisabeth Schmitz
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Контркультура
Год издания: 0
isbn: 9783967526776
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Er konnte einfach nicht den Schlüssel drehen. Hatte er doch zu viel Alkohol gehabt? Nein, das konnte es nicht sein.

      Er ging wieder ins Haus, ohne den Schlüssel abzuziehen. Wie in Trance betrat er Marthas Ankleideraum und nahm einen dunkelgrünen Jogginganzug vom Bügel. Warum er es tat, wusste er nun selber nicht, aber vielleicht hatte er ja wirklich was gutzumachen. Also denn. Er konnte das Kleidungsstück ja im Wagen liegen lassen, wenn er es sich auf der Fahrt anders entscheiden würde, überlegte er.

      Peter fuhr los und fühlte sich irgendwie gut. Was er ja nicht wissen konnte war, dass Martha und Marie auf dem Rücksitz lachten und jubilierten und dem Inneren des Wagens eine fröhliche Atmosphäre gab. Peter pfiff ein Lied und die beiden Lichtwesen pfiffen fröhlich mit.

      »Danke, liebe Holle«, rief Marie.

       9.

      

      

      

      

      Peter stellte seinen Wagen etwas abseits ab, damit man in der Klinik nicht sah, dass er dort war. Irgendein Notfall war immer da, und dann würde er wieder vor Mitternacht nicht zu Hause sein. Er nahm, ohne nachzudenken, den Jogginganzug und lief die Treppen hinauf. Etwas Bewegung tat ihm gut und im Fahrstuhl würden unangenehme Fragen gestellt werden, weshalb er denn um diese Zeit hier sei.

      Als er vor der Nummer acht auf der Privaten stand, da zögerte er. Ob es richtig wäre, dies zu tun? Peter fühlte sich, als ob er einen Schubs in den Rücken bekam und polterte gegen die Tür. Drinnen vernahm er ein »Ja?«.

      Nun blieb ihm nichts anderes übrig als hineinzugehen. Er öffnete die Tür und blieb etwas ratlos stehen. Weshalb war er gestolpert? Marie und Martha lachten laut und stießen ihn, so gut sie es konnten, weiter. Gemeinsam klappte das nun. Nicht immer, aber immer öfter!

      Als Tina den Verursacher ihres Übels sah, schoss ihr das Blut in den Kopf. Wie konnte er es wagen, hier hereinzustolpern? Das Gefühl, das Peter überkam war etwas, das er eigentlich aus seinem Leben verdrängen wollte. Er war verlegen.

      Er, der Chefarzt der Neurologie, Kapazität auf seinem Gebiet und immer Herr seiner Sinne, stammelte ein »Guten Abend, Frau Braune«, und er hielt ihr den Jogginganzug hin.

      »Dr. Bergheim sagte, dass ich Ihnen dieses bringen solle. Ich hatte sowieso hier zu tun und dachte mir, dass ich ihn noch eben vorbeibringe.«

      Tina sagte nichts und starrte diesen abscheulichen Menschen an. Peter legte den Anzug an das Fußende ihres Bettes und fragte, was sie denn da malen würde.

      Tina erwiderte knapp, dass sie nicht malen, sondern zeichnen würde. Es seien Zeichnungen von Wildpflanzen. Sie habe sich die Bilder von den Heilkräutern aus dem Internet gezogen auf ihrem Handy, und nun würde sie sie nachzeichnen.

      Er nahm ein Blatt, musterte die Bilder von Löwenzahn, Giersch und Brennnesseln und nickte anerkennend.

      »Das ist wirklich gut. Sie zeichnen hervorragend. Anscheinend kennen Sie sich mit diesen Pflanzen aus. Wissen Sie auch die Heilwirkung dieser Gewächse? Ich habe schon viel darüber gehört und gelesen, aber ich weiß dennoch nichts darüber. Ich arbeite nach der herkömmlichen Schulmedizin. Ich weiß, dass man Brennnesseltee trinken kann, aber wofür dieser gut ist, weiß ich nicht.« Er sagte dieses, weil er einfach irgendetwas sagen musste.

      Tina nahm ihm das Blatt aus der Hand. Eigentlich wollte sie sich mit dem Kerl nicht mehr unterhalten, aber bei diesem Thema konnte sie den Mund einfach nicht halten.

      »Schauen Sie mal.« Sie deutete mit dem Bleistift auf die Brennnessel.

      »Das ist eine sehr wertvolle Pflanze. Nehmen Sie sich doch einen Stuhl, dann erzähle ich Ihnen etwas darüber.«

      Peter nahm sich einen Sessel und setzte sich neben das Bett, sodass er die Zeichnung betrachten konnte. Tina fuhr das Kopfteil ihres Bettes hoch und fing zu erzählen an.

      Ganz sacht bewegte sich der Vorhang vor dem Fenster. So, als ob ein Windhauch durch das Zimmer huschte. Zwei Lichtwesen verließen fröhlich das Klinikum. Hier sei deren Anwesenheit nicht mehr erforderlich, meinte Marie. Tina wäre nun in ihrem Element, das wisse sie genau. Die beiden Leuchtwesen begaben sich zu ihrem Lieblingsplatz auf dem Felsvorsprung, wo sie einen Blick in einen herrlichen Wald hatten.

      »Die Brennnessel hat eine große Heilwirkung«, sagte Tina.

      »Sie wird auch Donnernessel oder Hanfnessel genannt. Denn einerseits waren die Menschen früher in dem Glauben, die Brennnessel schütze gegen Gewitter und anderseits wurde sie für die Herstellung von Hanfseilen oder auch Nesselstoffen verwendet. Die Blätter, die Samen und die Wurzeln sind reich an Kieselsäure, Magnesium, Eisen, Vitaminen und vielem anderen.

      Sie ist blutbildend, stoffwechselanregend, blutdrucksenkend und stärkend. Aber es gibt noch viele weitere Eigenschaften dieser interessanten Pflanze. Früher hängte man Brennnesselbüschel an die Türen des Stalls, um das Vieh zu schützen. Ein Gemüse aus Brennnesseln wurde damals am Gründonnerstag gegessen. Es sollte vor Geldmangel schützen, aber sie wurden das ganze Jahr gegessen, um Krankheiten fern zu halten.

      Sie wachsen gerne in der Nähe der Menschen. Sicherlich weiß die Brennnessel, dass sie für uns so wertvoll ist, aber leider nimmt die Menschheit diese wertvolle Pflanze gar nicht mehr in Anspruch. Wenn unsere Erdenbürger sich doch nur ein wenig damit befassen würden, dann wüssten sie, dass die Brennnessel sich mit den Giften im Körper anlegt, die sich in den Blutbahnen befinden. Ob als Tee oder Badezusatz, die Nessel spült alles Schlechte aus dem Körper. Und wissen Sie was?« Tina lehnte sich weit zu ihm rüber.

      »Man kann mit der Brennnessel sogar Stoff färben.«

      »Nein«, meinte Peter, den ihr Enthusiasmus erheiterte.

      »Doch! Ja, ich weiß, es ist kaum zu glauben. Ich habe das allerdings noch nicht gemacht, aber wohl schon mit Holunder. Und nun sag ich Ihnen noch was! Der Holunder ist auch sehr interessant. Ich kann Ihnen stundenlang etwas über diese wichtige Pflanze erzählen. Soll ich?«

      Peter schaute auf die Uhr. So lange war er schon hier? Die Zeit war ihm nur so davongerannt. Nun wurde es höchste Zeit, dass er sich verabschieden würde.

      »Es interessiert mich wirklich sehr. Sie können diese Wildpflanzen dem Menschen nahe bringen.

      Ich habe das alles nicht gewusst, aber ich muss schon bald wieder aufstehen, und morgen ist ein harter Tag. Zunächst Patientenvisite und dann Sprechstunde, dann der Papierkram und so weiter.

      Aber ich würde gerne morgen Abend wiederkommen. Sie haben dann ja Ihre Operation hinter sich, und die Heilung kann beginnen. Ich werde mich sofort nach Ihrer OP nach Ihnen erkundigen, ob alles gutgegangen ist, und morgen Abend nach Feierabend schau ich wieder rein. Zunächst wünsche ich Ihnen alles Gute für den morgigen Tag.« Sie lächelte.

      »Ja, danke schön. Mal sehen, wie es mir dann geht. Vielleicht kann ich unsere Heilkräuterstudien ja fortsetzen.«

      Peter ging zur Tür, und Tina winkte ihm lächelnd hinterher.

      »Bis morgen.«

      Der kann ja sogar freundlich sein, dachte Tina und nahm den Jogginganzug in die Hand. Wie weich der war! Sofort fiel ihr Dr. Bergheim ein. Wie nett von ihm, dass er an mich gedacht hatte. Morgen sehe ich ihn schon wieder. Dieser Gedanke vertrieb ihr ein wenig die Angst vor dem kommenden Tag. Warum musste alles so kommen?

      Sie knipste das Licht aus und dachte daran, dass sie, wenn sie wieder fit wäre, Holunderblüten und -beeren zeichnen würde. Und die würde sie dann diesem Arzt erklären. Sie hatte den Namen vergessen, aber der war ja auch nicht wichtig.

      Als Peter nach Hause kam, stand noch ein fast volles Glas Rotwein auf dem Tisch. Er nahm es und schüttete es weg. Zufrieden ging er unter die Dusche und dann ins Bett. Zum ersten Mal seit Marthas Tod tat es nicht mehr so weh, ohne sie zu sein. Vielleicht heilt ja die Zeit wirklich alle Wunden.

      Es


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