Uschi quartierte uns alle ein und ich trank abends mit Uschi und Attila noch ein Gläschen Wein, kotzte mich aus. Attila sah ich während dieser zwei Tage selten, bekam von Uschi in abfälligem Tonfall als Begründung zu hören, der arbeite sowieso nur, und das Tag und Nacht. Ich besichtigte seinen Arbeitsplatz unter dem Dach auch einmal und hörte dabei Uschis Klagen, dass er zwischen sechs Computern hin und herarbeite, dann auch noch auf dem Fußboden darunter schlafe. Wahrscheinlich nehme er Drogen, ernähre sich fast ausschließlich von Kaffee. Und sie sitze alleine auf der Couch, müsse ohne ihn fernsehen.
Ich bewunderte Attila insgeheim für sein Engagement, hatte er sich doch selbst den Beruf eines Programmierers beigebracht und versuchte nun, sich einen Kundenkreis aufzubauen. Nebenbei hatte ich noch gesehen, dass er sich nicht scheute, beispielsweise unter dem Vogelkäfig zu kehren, wenn dort Berge von Federn und Streu lagen. Uschi interessierte es herzlich wenig, wie die Wohnung aussah. Sie konnte mühelos Staub und Krümel herumliegen sehen, saß während seiner Bemühungen desinteressiert auf der Couch.
Nach zwei Tagen Aufenthalt in Pleinfeld wurde mir klar, dass diese Flucht zwar notwendig, aber nicht die Lösung war. Ich musste zurück nach Hause, mit Theo reden. Der war erst einmal handzahm und nahm den Warnschuss durchaus als das, was er war. Aber schnell kamen dieselben Probleme wieder auf und mir blieb nichts anderes übrig, als mich mit der Tatsache der Notwendigkeit einer zweiten Scheidung abzufinden. Nebenbei zog ich mein Psychotherapie-Studium durch. Ich traf mich auch mehrfach mit Günther, vollkommen platonisch natürlich, aber trotzdem heimlich. Die Umwelt dachte schließlich nur allzu gerne schlecht über einen und würde keine Schwierigkeiten haben, Geschichtchen zu erfinden. Günther tat mir einfach gut, und umgekehrt schien dies auch der Fall zu sein.
Günther war mittlerweile nach Pleinfeld gezogen, in die hübsche Einliegerwohnung bei Attila und Uschi. Von ihr hörte ich bei nahezu jedem Telefonat, dem Günther gehe es total gut, er schleppe ständig irgendwelche Weiber an, mit denen er jedes Mal an den See gehe. Das klang etwas abfällig, oder sogar auffällig eifersüchtig. Wie konnte man freiwillig an einen See gehen? Uschi tat so etwas niemals. Die konnte jahrelang direkt am Ufer wohnen und würde den See trotzdem nicht behelligen. Ich wurde hellhörig, weil sie auch erwähnte, dass sie selber des Öfteren mit Weinflasche und Kerze bewaffnet zu guten Gesprächen zu Günther in den Keller hinuntergehe, das sei ja so ein netter Kerl, ein Traummann eben. Schon immer gewesen. Nun ja, dieser Meinung war ich auch. Günther hatte einfach immer ein offenes Ohr, wenn jemand Probleme hatte.
Da reifte in mir der Entschluss, mir diesen netten Kerl zu sichern, bevor die anderen, laut Uschi zahlreichen Interessentinnen oder Uschi selbst es täten. Dass Günther eigentlich schon immer mit mir zusammen sein wollte und stinksauer und neidisch auf Theo und dessen Handlungsweisen war, wusste ich schon sehr lange. Genauso war mir klar, dass die Ehe zwischen Uschi und ihrem Mann schon lange herben Krisen ausgesetzt war.
Tatsächlich hatte Günther zu diesem Zeitpunkt gerade eine relativ doofe Tussi in Arbeit, die Bille genannt wurde. Ein unbeholfenes, genau wie Günther ständig kränkelndes Wesen. Aus heutiger Sicht hätte die auch bestens zu ihm gepasst, oder womöglich auch Uschi. Sei es drum. Und was tat ich wohl? Genau. Schon tauchte ich an Günthers Seite freudestrahlend bei Uschi auf, verschwand anschließend mit ihm in seiner Kellerwohnung. Weder Uschi noch Attila wollten sich so richtig mit mir freuen, wenn ich auch heute erst die jeweiligen Gründe dafür kenne.
Theo, den ich sofort über die neue Situation informierte, kapierte natürlich überhaupt nicht, warum ich ihn verlassen hatte. Erst stundenlange Jammergespräche bei gemeinsamen Freunden, Kollegen und seiner Mutter konnten ihm einigermaßen ein Bewusstsein dafür vermitteln, dass er das Dilemma selber herbeigeführt hatte. Er tröstete sich dann mit einer »Neuen«, die er über ein Partnervermittlungsinstitut kennengelernt hatte.
Die Anfangszeit mit Günther war klasse. Wir unternahmen viel, wir redeten viel, wir schmiedeten Zukunftspläne. Alles sollte besser werden, für jeden von uns. Sofort suchten wir uns eine große Altbauwohnung und waren der Ansicht, dass diesmal doch alles gut werden müsse. Zwar hatte ich, wie auch schon bei Klaus-Werner und Theo, so einen Ansatz von ungutem Gefühl in mir, dass die Übereinstimmung doch nicht hundertprozentig sei. Aber natürlich fand ich wieder Gründe, um mich zu beruhigen. Günther sei halt noch keine Familie gewohnt gewesen, sondern war bisher immer allein. Der müsse sich erst an Axel gewöhnen und wohl auch an die Tatsache, dass er nicht mehr alleine in der Wohnung war.
Seine Pechvogelhaltung, die er bei jeder Gelegenheit zelebrierte, sah ich als Spleen und auch zum Teil als gerechtfertigt an, weil er tatsächlich dauernd Pech hatte. Er ließ kein Fettnäpfchen, keine Krankheit und keine Katastrophe aus. Hinzu trat sein Stress auf der Arbeit, auf den er ständig hinwies. Da er immerzu hektisch herumrannte, nahm ich ihm den Dauerstress auch ab und hinterfragte dies nicht. Ansonsten war er lieb zu mir, wie ein großer Bub. Wir wussten wegen meines Alters beide, dass es jetzt höchste Zeit war, wenn wir noch ein gemeinsames Kind haben wollen. Günther wollte ja schon immer Kinder. So wurde dieser Wunsch unverzüglich in die Tat umgesetzt.
Dann erlebte ich ein sehr positives Erlebnis. An einem Besuchswochenende, als ich Ann bei mir hatte, besuchten wir ein Mittelalterfest. Ann wirkte bedrückt und schweigsam. Nach längerem Reden rückte sie schließlich damit heraus, sie wolle nicht mehr zurück zum Vater. Dort sei alles gar nicht mehr schön, die Hanne quäle sie nur noch, lasse sie sogar die Toilette putzen und der Papa halte dann nicht zu ihr, sondern gebe immer der Hanne Recht. Die möge aber nur ihre eigenen Söhne, würde sie offen bevorzugen.
Ich rief Klaus-Werner an, informierte ihn von den Schwierigkeiten unserer Tochter mit seiner neuen Lebensgefährtin und erklärte ihm, ich würde Ann gegen ihren Willen nicht zurückbringen, sondern vielmehr einen Termin mit der Kinderpsychologin vereinbaren, um die neue Situation zu besprechen. Ich wertete das dortige Gespräch als späte Gerechtigkeit, denn es verlief genau entgegengesetzt zu dem vorherigen, das mir einen solchen Schock verpasst hatte. Ann wurde abermals gefragt, wo sie leben wolle. Ja, ich will zur Mama zurück.
Klaus-Werner zeigte sich im Gegensatz zu mir damals aber nicht verzweifelt, sondern total erbost. In bitterbösem, hartem Ton ging er seine Tochter und alle Beteiligten an, merkte auch an, dass er das Geld aber zur Haushaltsführung dringend brauchte, das ihm Ann eingebracht hatte. Spätestens an dieser Stelle merkte auch die Psychologin, dass sie Klaus-Werner falsch eingeschätzt hatte und entschuldigte sich bei mir kleinlaut für die vorherige Fehlentscheidung. Klaus-Werner setzte noch einen weiteren negativen Eindruck obendrauf, als er in arrogantem Ton bemerkte, er wolle Ann nicht wiedersehen, sie komme ihm nicht mehr ins Haus. Sie besitze keinen Charakter, unter anderem, weil sie ihr Zimmer nicht aufräume. Ich versuchte draußen auf der Straße noch, mit ihm zu reden. Auf diese Weise konnte er doch nun Ann nicht dafür bestrafen, dass sie zu mir zurückziehen wollte! Doch Klaus-Werner war eiskalt, revidierte seine Entscheidung nicht. Nur zur Oma in die andere Haushälfte durfte sie fortan noch zu Besuch kommen.
Ann war wieder da, und ich rechnete diesen Erfolg zum Teil auch Günther an. Schließlich wäre sie nicht wiedergekommen, wenn sie nicht Günther besser akzeptiert hätte als seinen Vorgänger Theo. Günther bemühte sich dann auch rührend um sie, bis … ja, schon wieder spielte sich vor meinen entsetzten Augen genau dasselbe Szenario ab, das ich leider schon kannte. Es gab jetzt ein eigenes Söhnchen namens Fredrik.
Natürlich ist es verständlich, wenn sich ein Vater zum eigenen Fleisch und Blut mehr hingezogen fühlt, als zur mitgebrachten Kinderschar. Aber muss man dies so auffällig unterscheiden, dass die Kinder es deutlich merken? Es fing schon an, als Fredi noch ein Baby war. Andauernd kam die nervige, hypochondrische Mutter von Günther und erklärte in den höchsten Tönen, wie toll Fredi doch sei. Die anderen beiden wurden entweder kritisiert, oder links liegen gelassen. Auch bei Geschenken. Nur ganz selten befasste