Moses wird wohl beim Anblick des Heiligen Landes ähnliche Freudenrufe von sich gegeben haben, wie wir beim Anblick einer gammeligen Citroën-Werkstatt, die zum Glück gerade öffnete, als wir völlig erledigt und blau gefroren dort ankommen. Wir sehen wohl so übernächtigt und heruntergekommen aus, dass wir auch einen Stein würden erweichen können. Das Personal jedenfalls hat Riesenmitleid, kredenzt kostenlosen Kaffee und lotst uns in den gut geheizten Verkaufsraum, damit wir auf die Diagnose des Kfz-Meisters warten können. Dieser macht sich sofort an die Fehlersuche.
Nach Stunden taucht er auf, und wir sind beunruhigt, weil er mit einem breiten Grinsen den Verkaufsraum betritt. Muss die Mühle verschrottet werden, wird es ein Vermögen kosten, oder was? Nichts von alledem. Meister Fischer muss mühsam einen Lachanfall unterdrücken, als er uns die Ursache für das Streiken des Fahrzeuges erklärt. Und selbst wir können es nicht fassen und lachen uns halb tot, teils aus Verzweiflung, teils aus Erleichterung. Nein, kosten wird das Ganze uns gar nichts. Stephan hat wohl gestern Abend beim Einparken mit dem Auspuffrohr in einen Schneehaufen gestochert. Der Schnee sei in diesem geschmolzen, weil der Auspuff noch warm war. Wegen der extremen Minustemperaturen sei er anschließend aber sofort zu einem harten Eis-Pfropfen gefroren – und schon konnte das Auto nicht mehr anspringen. Er lacht immer noch, als er mit seinem Feuerzeug demonstriert, wie er das Problem sodann gelöst hatte. Und wie wir es selber binnen Sekunden hätten lösen können, falls wir auf diese Ursache gekommen wären.
Wir fahren im stark beheizten Fahrzeug auf dem kürzesten Wege nach Hause. Alle anderen werden nun zu Hause in ihr Bett gehen und versuchen, die Nacht einfach aus ihrem Gedächtnis zu streichen. Doch mir steht noch die unheimliche Begegnung der dritten Art mit meiner Mutter bevor ... diese ist erwartungsgemäß nicht sehr erbaut, packt mich an den langen Haaren und schleudert mich erst einmal gegen den Türstock, bevor sie ihren Redeschwall loswird. Keine Ahnung, über welches Thema, denn ich bin mit dem Hirn schon bei der Führerscheinprüfung, welche in einer Viertelstunde stattfinden wird. Kaum hat Mama von mir abgelassen, stürze ich einen viel zu heißen Kaffee hinunter, gefolgt von einem Cognac. Noch bevor Mama auch hierüber mosern kann, bin ich schon weg. Und ich bin stolz darauf berichten zu können, dass ich die Führerscheinprüfung wenig später mit null Fehlern bestehe. Da sage noch einer, der Mensch hält nichts aus.
* * *
Was habe ich durchgeatmet, als ich 1984 endlich meine erste eigene Wohnung bezog. Ich durfte denken und meinen Tag gestalten, wie ich wollte. Hier folgte die einzig längere, als glücklich zu bezeichnende Zeit. Ich entwickelte ein nie gekanntes Selbstbewusstsein und lernte nach einer dreijährigen Beziehung mit einem Kulmbacher schließlich in einer Diskothek Klaus-Werner kennen. Es war schon abstrus, wie ich schließlich seine Freundin wurde. Sein Kumpel und ich hatten darüber diskutiert, wessen Fahrzeug schneller beschleunigen könne. Ich wusste, dass mein Honda Prelude da nicht schlecht abschnitt, das hatte ich oft genug ausgetestet. Also trafen wir ein Abkommen, das wir witzig fanden: wenn es Micha und Klaus-Werner gelänge, mir mit ihrem BMW zu folgen, so würden sie bei mir noch einen Abschlusskaffee für den Abend bekommen. Sonst müssten sie hierfür an die Tankstelle. Mein Auto enttäuschte nicht, und ich bemerkte mit einem erfreuten Blick in den Rückspiegel, dass der Abstand zum BMW immer größer wurde. Noch ein paar Mal abbiegen, und ich hätte die beiden abgehängt. Denn eigentlich hatte ich gar keine Lust mehr, noch ein Kaffeetrinken zu veranstalten, es war inzwischen 2 Uhr morgens. Doch dann beging ich einen Fehler, oder besser gesagt, war ich an einer Kreuzung zu langsam, an der oft Krankenwagen für das nahe Krankenhaus darüber donnerten. Ich wollte nicht unbedingt mit einem solchen kollidieren. Michael hatte mich eingeholt, und breit grinsend stiegen er und Klaus-Werner bei mir vor dem Haus aus dem Auto.
Morgens um 6 Uhr fuhren sie dann nach Hause. Ich hatte noch volle zwei Kannen Kaffee kochen müssen und war nun nach stundenlanger Konversation recht erledigt. Leider hatte ich KlausWerner versprochen, mit ihm am Nachmittag noch einen Kaffee im »Florian« trinken zu gehen. Übernächtigt und mit Augenringen kam ich meinem Versprechen nach. Ich weiß selbst nicht mehr, wie genau es gekommen war, doch tags darauf waren wir zusammen. Nach kurzer Zeit zog ich in sein Elternhaus in Gefrees, in dem uns seine Eltern großzügig mehrere Räume anboten.
Wir hatten beide eine kreative Ader, saßen abends im Wohnzimmer bastelnd und malend beieinander, ich hatte mir außerdem selbst das Nähen von extravaganter Kleidung beigebracht. Jeder von uns gestaltete eine eigene Eisenbahnanlage, und wir überboten uns liebend gerne gegenseitig bei der Detailgestaltung. Hatte er eine Badebucht mit hunderten von Figuren in Bikinis kreiert, so inszenierte ich auf meinem mittelalterlichen Marktplatz eine Mordszene. Das machte echten Spaß. Sich eine Welt nach dem eigenen Willen zu gestalten und zu entscheiden, wo nun Bäume standen, und wo nicht. Wo ein Fluss die Felsen hinunter donnerte, wo Einkaufsarkaden angelegt wurden.
Gerne gingen wir aus, und ich führte meine frisch genähten Modellkleider gleich in einer klassischen Bar vor, die Freunden gehörte. Klaus-Werner pflegte bei solchen Gelegenheiten vor Stolz fast zu platzen, zumal ich als meine eigene lebende Werbung so manchen Auftrag von Damen der besseren Gesellschaft mit nach Hause nahm, die auch ein Seidenkleidchen bestellen wollten.
Klaus-Werner war körperlich etwas kleiner als ich, schätzte es aber sehr, wenn ich mit hochhackigen Schuhen herumlief, die natürlich gut zu den Abendkleidchen passten. Er selbst trug immer Stiefeletten mit Absatz, um den Höhenunterschied wenigstens etwas auszugleichen. Allerdings verlieh ihm das ein wenig das Aussehen eines Herrn aus dem Rotlichtmilieu, zusammen mit den Seidenanzügen und seinem Hang zum Pseudo-Luxus, den er mit Goldkettchen und etwas affektiertem Gehabe gerne zur Schau stellte. Für ihn war ich hauptsächlich eine Verzierung, die neben ihm herlief, eine Art lebende Barbiepuppe. Doch glaubte ich, dass er mich auf seine Art und Weise auch liebte. Erst recht, als er mich heiratete und bald mit mir gemeinsam über ein Kind nachdachte, für das es nun langsam an der Zeit wäre. Ich war zu diesem Zeitpunkt auch schon 28 Jahre alt.
Dann kam etwas, was ich nicht für möglich gehalten hätte. Ich dachte doch, wenn man ein gemeinsames Wunschkind bekommt, so macht das die Beziehung noch schöner, auch wenn zunächst Windelwechseln und Geschrei angesagt ist. Wir wohnten ja auch noch mietfrei bei seinen Eltern und hatten keine Geldsorgen bis dato. Aber wie eine Keule traf mich die Erkenntnis, dass ich in keiner Beziehung der üblichen Art gelebt hatte. Wir hatten dieselben Interessen und Hobbys, aber das war anscheinend auch schon alles. Kaum war Ann geboren, war die Beziehung quasi schlagartig tot. Mausetot. Klaus-Werner besuchte mich in den fünf Tagen nach der Geburt nicht einmal im Krankenhaus, er gebrauchte lieber saublöde Ausreden.
So ging es weiter, kein Haushaltsgeld für Windeln, kein Interesse für Ann, dann auch keines mehr für mich. Ich musste finanziell wegen der Verdienstausfälle in der Elternzeit und erst recht in seelischer Hinsicht sehen, wo ich bleibe. Nach vielen vergeblichen Versuchen, die Situation irgendwie zu verbessern, gab ich 1993 auf und zog zurück nach Bayreuth in ein kleines Appartement, überschuldet und ohne meine Tochter. Ich musste ja wieder ganztags arbeiten, ließ sie schweren Herzens bei der Oma und hatte Mühe, das Benzingeld aufzubringen, sie überhaupt am Wochenende holen zu können.
Ansonsten wurde nachts genäht, um die Schulden abzutragen, die mir die Zugewinngemeinschaft bei der Trennung eingebracht hatte. Das Geld steckte in Klaus-Werners Eisenbahnanlage. Während ich mein Bankkonto trotz ebenfalls kostspieliger Hobbys immer in der Balance gehalten hatte, war Klaus-Werner zum Schuldenprinzen geworden, hatte mich hiervon nicht einmal informiert.
Ich lebte von etwa 100 D-Mark im Monat. Dann hatte ich auch noch einen Unfall und zog mir im Knöchel einen Splitterbruch zu, der mich monatelang an Krücken fesselte. Hatte meine Mutter mir in dieser schweren Zeit geholfen, sich überhaupt nur für irgendwelche Gründe interessiert? Nein. Völlige Fehlanzeige. Die war beleidigt, weil ich ihren guten Ruf geschädigt hatte. Ich erdreistete mich schließlich, mich scheiden zu lassen. Ein Kapitalverbrechen. Die Scheidung selber war eine Katastrophe. Ich musste mich beim Richter noch rechtfertigen, dass ich arbeitete, um das Leben zu finanzieren, anstatt mich um meine Tochter zu kümmern. Ich habe sie dann zu mir geholt, als sie endlich im Kindergartenalter war. Nachmittags betreute sie meine Mutter, die mir allerdings zu verstehen gab, ich