Seka reitet mit ihr, seit sie laufen kann, auf Pferden ziehen sie durch einen Hain mit hohen, gerade gewachsenen Bäumen, unter denen Gras sprießt. Die Großmutter untersucht Blätter und Baumrinde, um rechtzeitig Käfer zu entdecken, bevor sie die Bäume angreifen. Wenn einer gefällt wird und die Knechte die Äste absägen, steht sie besorgt dabei. Für so einen Baum gibt es viel Geld, sagt sie zur Enkelin. Beim Abtransport mit dem Pferdewagen hängt der Stamm über die hintere Radachse hinaus. Es macht Seka traurig wie ein Begräbnis.
Unten am Fluss nistet jedes Jahr ein Schwanenpaar, sein Nest baut es auf einer modrigen Insel neben der Brücke. Die Großmutter betrachtet versonnen die großen stillen Vögel und lässt die Insel, die manchmal überschwemmt wird, befestigen. Aber an einem Tag werden die beiden Schwäne riesig und wild, sie töten die Ferkel an der Brücke, über die sie zur Bahnstation getrieben werden. Die ungeheuren Flügelschläge der Schwäne, das Schreien der Ferkel, das Wasser rot von Blut. Die Großmutter brüllt vom Pferd herunter zu Seka: »Weg hier! Sofort!« Ein Knecht führt sie hoch in den Wald. Die Großmutter kommt lange nicht zurück. Seka weint bei Tisch. Die Großmutter sagt: »Hör auf. So ist das Leben.« Sie vertreibt die Schwäne nicht, reitet immer wieder zu ihnen hinunter. Als hätte sie ein Geheimnis mit ihnen.
Im Winter reisen Herren mit Pelzen, Koffern und Gewehren aus Wien, Budapest und Venedig an, um Bären und Wölfe zu jagen. Sie nehmen Quartier auf dem Gut, die Vorräte für sie werden das ganze Jahr über angelegt: Steinerne Gefäße stehen voller Olivenöl, Schinken und Würste hängen in Kellern, Käselaibe lagern auf Regalen. Unter dem Dach hängen an Schnüren frische Weintrauben, die Stielenden in Wachs getaucht, damit sie nicht faulen. Täglich werden die verdorbenen Beeren herausgepickt, so halten sie bis Weihnachten, ein Stolz der Großmutter. Äpfel, Birnen, Nüsse liegen auf großen Brettern und Matten. Geräuchertes Fleisch wird zum Mitnehmen vorbereitet und in Leinen eingenäht, in Körbe gelegt, wieder mit Leinenstücken bedeckt, die am Korbrand mit großen Stichen angenäht werden. Am Ende der Jagd feiern die Jäger ihr Gelage.
Seka wird in der Kutsche durch die Wälder nach Hause gebracht. Im Dunkel leuchten die Augen von Wölfen auf. Die Pferde beschleunigen ihren Galopp und schnauben. Ein Wolf kommt näher, die Kutscher werfen eine brennende Fackel nach ihm.
13
Ado und Seka beugen sich aus dem Zugfenster zu ihren übermütigen Hochzeitsgästen auf dem Bahnsteig, die sie am Zagreber Bahnhof verabschieden. Endlich allein, sie fahren durch helles Grün, es ist Ende Mai. Er schiebt das Fenster nicht hoch, hält den Kopf in den Wind. Sie sitzt im Polster, eine Zigarette zwischen den Fingern. Im Hafen von Rijeka besteigen sie am Abend ein Schiff nach Venedig.
Sie treten in den Salon, da übertönt der Aufschrei einer weiblichen Stimme alle Geräusche: »Adoo!« Dieser Ruf kommt von einer deutschen Stimme, mit dem langgezogenen, geschlossenen O. An Sekas Ohr dringt er als Schmerz. Schon liegen sie sich in den Armen, Ado und eine kleine blonde Frau. Eine Kollegin von früher, eine Schauspielerin am Theater in Berlin. Natürlich setzen sie sich zu dritt an einen Tisch, Ado wendet sich ganz der Schauspielerin zu, sie ist keine Nazine, er kann ihre Berichte vom Berliner Theaterleben, das er 1933 von einem Tag auf den anderen verlassen musste, ungehemmt aufsaugen. Es sind fünf Jahre zu erzählen. Ihrem Deutsch kann Seka nicht immer folgen, es fallen Kaskaden von Namen, die beiden lachen, empören sich und trauern. Seka wird sehr müde, entschuldigt sich, erhebt sich, Ado und die Kollegin verabschieden sie freundlich, zerstreut. Sie steht noch lange an der Reling. Sie weint. Niemand sieht es. Ado holt sie in der Frühe in ihrer Hochzeitskabine ab, die er nicht benutzt hat. Venedig ist erreicht.
Ich werde mich von ihm trennen, beschließt sie, gleich hier.
Im Hotelzimmer wandert Ado vor ihr auf und ab und grübelt, wie er ihren Zorn wegwischen und zu ihr durchdringen könnte. Ihm fehlt ein schlechtes Gewissen. Auch jetzt hätte er nicht auf die Erzählungen aus dem unerreichbaren Berlin verzichten wollen. Eine Handlung ist nötig: raus aus dem Hotelzimmer, aus dem Gefängnis der Gefühle. Für Ado ist ein Spaziergang immer der erste Ausweg, der Beginn einer Lösung.
Sie gehen am schwarzen Wasser der Kanäle entlang, dicht an Häuserwänden, zu Füßen die schaukelnden Boote, und biegen um immer neue Ecken. Seka riecht den Moder, den Ölgeruch, horcht auf das Plätschern und spürt widerstrebend, wie sich bei diesem Gehen ihr Schmerz zurückzieht. Mit Ado stellt sich unversehens der wohlbekannte Rhythmus des Gehens ein. Mit ihm ist die Stadt anders, wird durchscheinend. Er kann in ihren Spuren lesen, und das Schönste, mit ihm gelingt es auch ihr.
Nicht mehr darauf verzichten, denkt sie. Nie mehr zurückfallen in das Früher. Ado spürt es und spricht über die Liebe, die immer anwesend sei und warte. Wie wach wir werden mit der Liebe! Wie wir durch Schutzschichten und Ödnis zum Anderen vordringen! Und wie wir uns selbst dabei finden. Nur der Liebe gelingt das. Konventionen und Eifersucht machen sie klein. Sogar die schönen Vorstellungen, wie sie zu sein habe, schwächen die Liebe.
Ado spricht so gern über Liebe. Sekas Verletztheit ist fast schon verflogen, sie wendet nur noch ein: Aber Liebe kann gekränkt werden. – Da zuckt Ado. Der bescheidene Satz erreicht ihn, zum ersten Mal seit dem Vorabend sieht er, was er ihr zugemutet hat. Fast stammelt er: Ach Sekica, wir hatten unsere Hochzeitsnacht doch längst, nicht nur eine.
Mit ihm zu gehen, ihn zu hören, das zählt viel mehr als diese Untreue, denkt sie. Denn sie bleibt überzeugt, dass jene Nacht nicht zu Ende gegangen ist, ohne dass die beiden miteinander geschlafen haben. Aber danach fragt sie nie mehr.
14
Das römische Zimmer hält die Sonne draußen. Die Jalousien sind heruntergelassen. Ich strecke mich auf dem Bett aus, eine dunkelblaue seidene Tapete redet mir Kühle ein. Mit den Augen verfolge ich die eingewebten Ornamente. Rom, Ado kannte es schon als Junge, noch vor dem Ersten Weltkrieg. Das Rom, das er sah, war altertümlich, Säulen im Staub, keine Menschenströme, keine Eintrittskarten. Er hatte uns Zeiten voraus, und durch ihn gehören sie auch zu uns.
– Ado, du hast unsere Lebenszeit gedehnt, du hast für uns den Raum vergrößert. Heute ist mir leider sehr übel, ich warte hier, dass sich der Abend abkühlt.
– Meine Dunja, im Moment fühlst du dich unwohl, aber du liegst im schönen, abgedunkelten Zimmer und hörst die Geräusche Roms, bedaure dich nicht, du kennst meine Lebensvorstellung, in jeder Situation auch das Gute zu finden, und natürlich das Veränderbare.
– Ah ja, Epiktet. Der griechische Sklave. Ich war so froh, als ich ihn entdeckte und dich darin erkannte. »Über das eine verfügen wir und über das andere nicht. Blicke auf das, worüber du verfügst.« Aber erst muss ich noch in mich hineinhorchen und die Quelle meiner unerfindlichen Übelkeit suchen, bevor ich meine Lage ganz annehme. Konntest du dein Inneres befragen, Ado?
– Ja, das konnte ich ganz gut.
– Als Seka dir mit ihrer Liebe entgegentrat – hast du dich da befragt?
– Oh ja.
– Und?
– Die Antwort war, dass ich eine so unbedingte Liebe nicht verkümmern lassen dürfte. Das Leben selbst rief danach, dass dieses seltene Gefühl nicht vergeudet werde. Ich liebe, die mich lieben. Ich bin derjenige, der antwortet.
– Sie war sehr jung, genau halb so alt wie du. Als wir klein waren, hat uns das begeistert. Und schön war sie.
– Es war nicht Interesse an ihrer Jugend, nicht dieser Reiz, der mich gelockt hat. Ich habe die klugen, eigenwilligen Frauen geliebt, oft meine Altersgefährtinnen.
–