WIE SCHATTEN ÜBER TOTEM LAND. S. Craig Zahler. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: S. Craig Zahler
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958352780
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bezweifle, dass Sie den ganzen Weg hierher reiten und dann versuchen, mich um eine Unze zu betrügen.«

      »Ich bin ehrlich«, erklärte der Cowboy, als wäre seine Aussage eine bekannte Tatsache. »Jetzt erzählen Sie mir von meinen Schwestern.«

      »Wie ich im Brief schrieb«, sagte Humberto, »kenne ich die Identitäten zweier Männer, die mit einer oder beiden Ihrer Schwestern zu tun hatten. Vor neun Wochen …«

      »Woher?«, unterbrach der Cowboy mit unverhohlenem Argwohn. »Woher wissen Sie, dass diese Männer meine Schwestern kennen?«

      »Bitte erlauben Sie mir, eine kurze Geschichte zu erzählen, die alle Ihre Fragen beantworten wird.«

      »Na los, erzählen Sie.«

      »Vor neun Wochen, als ich zu Besuch bei meinen Vettern in Mexiko-Stadt war, sah ich den Aushang, Ihr Suchplakat, in einem Postamt. Kurz darauf schrieb ich ein Lied über die vermissten Frauen.«

      »Sie haben ein Lied über meine Schwestern geschrieben?«

      »Ja.«

      Empörung loderte im Gesicht des Mannes auf. Der Gentleman legte seinem Begleiter rasch eine behandschuhte Hand auf die Schulter und drückte sie.

      »Es tut mir leid, wenn ich Sie aufgebracht habe«, sagte Humberto.

      Der Cowboy kochte vor Wut und war unfähig zu sprechen.

      »Warum schrieben Sie ein Lied über sie?«, erkundigte sich der Gentleman.

      »Ihre Geschichte rührte mich. Obwohl texanische Gringos meinen Vater töteten und Land stahlen, das rechtmäßig Mexiko gehörte, dachte ich an diese unschuldigen, schönen Frauen und ich war …« Humberto schüttelte den Kopf. »Ich hatte Mitleid – ich habe selbst zwei Töchter – und wurde wütend auf die Welt, einen Ort, wo Schönheit gestohlen und misshandelt, anstatt gewürdigt wird.« Er dachte an seine hinreißende Base Elena, die vor zwanzig Jahren verschwunden war und für tot gehalten wurde. Zum Cowboy sagte der Balladensänger: »Ihre Schwestern sind nicht die einzigen Frauen, die in diesem Land verschollen sind.«

      Der Cowboy nickte mitfühlend.

      Eine geworfene Klinge durchbohrte das rechte Auge des Kalkbären.

      Humberto warf dem betrunkenen Messerwerfer einen Blick zu und richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf die Gringos. »Mein Herz war schwer, als ich die Ballade schrieb. Auf Englisch bedeutet der Titel: Das, was nicht gestohlen werden kann.« Der Sänger zeigte auf seinen Guitarritakoffer. »Ich habe eine spezielle Gitarre mit vier Saiten, die ich in Bars wie dieser und auf der Straße spiele. Ich spielte das Lied ›Das, was nicht gestohlen werden kann‹ viele Male. Gegen Ende der Ballade gibt es einen Vers, der eine der vermissten Frauen ausführlich beschreibt …«

      »Woher wussten Sie, wie sie aussieht?«, erkundigte sich der Gentleman.

      »Auf dem Plakat waren Bilder.«

      »Reden Sie weiter«, sagte der Cowboy.

      »Gegen Ende der Ballade«, wiederholte Humberto, »gibt es einen Vers, der eine der vermissten Frauen ausführlich beschreibt. Nachdem ich ihr Abbild zeichne, rufe ich ihren Namen.« In herrlichem Vibrato sang Humberto: »Yvette!«

      Tränen liefen dem Cowboy über die Wangen.

      »Danach singe ich den Schlussvers. Ich beschreibe die andere Frau ausführlich und rufe ihren Namen.« Humberto sang: »Dolores!«

      Der Cowboy wischte sich die Tränen mit dem Rand seines Hutes weg.

      »Ich habe dieses Lied viele Male gespielt – in großen und kleinen Städten und zwei Mal in Lokomotiven. Die Menschen waren davon sehr ergriffen.« Humberto entschied sich, den Gringos nicht zu verraten, dass die Ballade eine seiner lukrativsten Kompositionen war. »Vor ein paar Wochen kam ich heim nach Nueva Vida. Vor elf Tagen spielte ich ›Das, was nicht gestohlen werden kann‹ auf unserem Marktplatz, und als ich die Namen der Frauen sang, reagierten zwei Männer im Publikum heftig darauf. Sie wurden blass. Ihre Augen wurden feucht. Sie hatten Angst. Und ich war absolut sicher, dass sie eine oder beide Frauen aus dem Lied kannten.«

      »Wer sind die?« Die Worte des Cowboys fielen herab wie eine stumpfe Axt.

      Humberto zögerte einen Moment. »Sie müssen versprechen, dass der Gentleman sich zivilisiert mit ihnen unterhalten wird. Sie sind …«

      »Stellen Sie keine gottverdammten Bedingungen«, zischte der Cowboy. »Ich hab Sie für diese Information bezahlt.« Er zeigte auf den Umhängebeutel.

      »Es ist durchaus möglich, dass die Männer nichts von der Zwangslage Ihrer Schwestern ahnen.«

      »Das wissen Sie überhaupt nicht.«

      »Sie haben recht«, gab Humberto zu. »Ich weiß nicht, woher sie Ihre Schwestern kennen. Aber diese beiden Männer sind wichtig und haben viel Gutes für diese Stadt getan. Sie müssen mir versprechen, dass Sie sie nicht verletzen oder töten werden.«

      »Wir tun, was wir tun müssen«, sagte der Cowboy finster.

      Humberto schloss den Umhängebeutel und schob ihn über den gefliesten Tisch. »Sie können Ihr Gold wiederhaben und nach Amerika zurückgehen.«

      Hass leuchtete hell und deutlich auf dem Gesicht des Cowboys auf.

      Humberto trank aus seinem Weinglas.

      Nachdem der Cowboy sich beruhigt hatte, fragte er: »Was, wenn Ihre guten Männer nicht ganz so gut sind?«

      »Wenn einer dieser beiden Männer verletzt oder getötet wird, gebe ich die Namen John Lawrence Plugford und Brent Plugford an viele böse Mejicanos weiter.« Humberto ließ seine Drohung einen Moment lang in der Luft hängen. »Und sollte ich mir aus Versehen den eigenen Kopf abschlagen oder mir unvorsichtigerweise neunundzwanzig Mal in die Leber stechen, dann gibt es andere redselige Menschen, die den Bandidos diese Information geben werden.«

      »Sie haben anderen von unserem Treffen erzählt?« Der Cowboy hatte einen kalten Ausdruck in den Augen.

      »Noch nicht – aber das werde ich, falls ich mich nicht sicher fühle, wenn ich dieses Treffen verlasse oder wenn Sie den mexikanischen Gentlemen irgendetwas antun.«

      »Teufel noch mal.« Brent schnaubte durch die Nasenlöcher wie ein Pferd. »Sie sind ein ausgebuffter Mexikaner.«

      »Einer von vielen Millionen.«

      Der Cowboy überdachte seine Möglichkeiten.

      »Was die Hombres betrifft, die Ihre Schwestern eingesperrt haben …« Humberto zuckte mit den Schultern. Das Hinrichten von Männern, die Frauen entführten und misshandelten, störte den Balladensänger nicht.

      Der Cowboy schob den Umhängebeutel über den gefliesten Tisch. »Wir lassen die zwei in Ruhe, mit denen Sie uns zusammenbringen. Mein Wort gilt.«

      »Bueno.« Obwohl Humberto den Cowboy nicht mochte, traute er ihm. »Ich kenne einen Ort, an dem diese beiden Herren spielen und trinken – ein nettes Lokal.« Der Künstler sah den großen blonden Gringo an und sagte: »Sie werden dort hingehen.«

      »Warum haben Sie nicht selbst mit ihnen gesprochen?«, wollte der Gentleman wissen.

      »Ich wünsche nicht, direkt involviert zu sein.« Humberto wollte überhaupt nicht involviert sein, aber sein Gewissen hatte ihn gezwungen, etwas zu sagen, und seine Familie konnte das Geld gut gebrauchen. »Spielen Sie mit einem der beiden Männer und spendieren Sie ihm ein paar Drinks. Wenn er ungezwungen ist, erzählen Sie ihm von dem Typ Frau, nach dem Sie suchen. Er wird Ihnen sagen, wohin Sie gehen müssen. ¿Comprendes?«

      »Ich verstehe.« Der Gentleman wirkte skeptisch.

      »Es muy facil«, bekräftigte Humberto.

      »Glauben Sie, meine Schwestern werden in der Stadt festgehalten?«, fragte der Cowboy.

      »Ich kenne kein Bordell in Nueva Vida, das so etwas machen würde, aber vielleicht gibt es einen geheimen