WIE SCHATTEN ÜBER TOTEM LAND. S. Craig Zahler. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: S. Craig Zahler
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958352780
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Ihren Schwestern fragen?«

      Brent nickte. »Sobald wir genau wissen, wo sie sind, können Sie davonreiten. Oder wenn Ihnen das lieber ist, können Sie mit uns zurückreiten, wenn wir sie sicher wiederhaben.«

      »Während dieser Unternehmung werde ich ein Pseudonym verwenden.«

      »Das ist okay.«

      Nathaniel Stromler entfernte einen Dornenzweig, der sich an seine Chaps gehaftet hatte, warf ihn beiseite und erkundigte sich vorsichtig: »Und falls sich das als Trick herausstellt … falls Ojos Sie angelogen hat oder diese mexikanischen Gentlemen nicht hilfreich sind …?«

      »Dann können Sie wegreiten und Ihren Vorschuss für die investierte Zeit behalten. Fair?«

      »Sehr fair«, sagte Nathaniel. »Aber ich hoffe, dass ich Ihnen helfen kann, Ihre Schwestern ausfindig zu machen.«

      Während die Pferde an Kreosotbüschen vorbeijagten, griff ein verirrter Ast nach Brents Chaps und hinterließ ein spitzes, blasslila-grünes Blatt.

      »Werden wir in naher Zukunft anhalten und essen?«, fragte Nathaniel.

      »Wir müssen bei Anbruch der Dunkelheit in Nueva Vida sein, wenn wir Ojos heute noch treffen wollen.«

      »Wie weit ist Nueva Vida entfernt?«

      »Wenn wir den ganzen Tag in dem Tempo weiterreiten, ohne anzuhalten«, sagte Brent, »schaffen wir es dorthin.« Dem Dandy gefiel diese Neuigkeit nicht, aber es war ihm zugutezuhalten, dass er sich nicht beschwerte. »Patch-Up hat gestern Abend 'n paar Kartoffeln gekocht und wir haben Dörrfleisch, wenn Sie was davon wollen. Keiner von uns hat Hunger.«

      Der leere Himmel glomm in einer Schattierung zwischen grau und schwarz.

      Kurz nachdem die Karawane eine freie Hochebene überquert hatte, wurde ihr schnelles Vorankommen von einem ausgedehnten Landstrich voll aufsässiger Kreosotbüsche behindert. Die staubigen Pferde waren gezwungen, ihr Tempo zu verringern und sich durch die Hindernisse zu schlängeln.

      John Lawrence Plugford führte seinen weißen Hengst neben die beiden galoppierenden Zelter, die für die Mädchen vorgesehen waren, zog einen Seidenlappen aus seiner Latzhose und wischte grobkörnigen Sand von den leeren Damensätteln. Er staubte das Leder mit einer solchen Zärtlichkeit ab, dass Brent, der ihm dabei zusah, Tränen in den Augen spürte und wegschauen musste, damit er nicht komplett zusammenbrechen würde. Ihm war klar, dass es seinen Vater vollständig vernichten würde, wenn sie die Mädchen nicht sicher zurückholen könnten – schon jetzt war der riesige Mann ein entmenschlichtes Wesen, dessen Verstand jeden Tag von den Mäulern furchtbarer Überlegungen verschlungen wurde.

      Der Cowboy wischte sich über die Augen und warf einen Blick auf Stevie, über den er sich ebenso ernsthaft Sorgen machte. Fast ein ganzes Jahrzehnt lang war Brent mit Viehtreibern geritten und er kannte den Unterschied zwischen guten Kerlen und schlechten Kerlen, und guten Kerlen, die aus Versehen Schlechtes taten, und schlechten Kerlen, die zum Schein Gutes taten. Diese furchtbare Geschichte, in die die Plugfords verwickelt waren, war genau die Art von Erlebnis, das Stevie – der schon jetzt zu viel trank und Ärger verursachte und das Ganze Spaß nannte – in die Sorte Mann verwandeln könnte, der sich einen Weg in Faustkämpfe und Schießereien trank und seinen zweiundzwanzigsten Geburtstag nicht mehr erlebte.

      Die Leben von Brents Schwestern, Vater und Bruder standen auf dem Spiel.

      Unter den donnernden Hufen und dem knisternden Süßgras war ein unregelmäßiges Geräusch zu hören, kaum wahrnehmbar, welches das Schluchzen des Gefangenen war, des Mannes in der Truhe. Der Dandy warf dem Wagen einen schnellen Blick zu, traute seinen Ohren aber nicht.

      Der Himmel wurde zu einem dunklen Schiefergrau, einer fiebrigen Vorhölle, die von keinem Himmelskörper betreten wurde. Erschöpft aber schnell galoppierten die Pferde aus einer Ebene voller wilder Vegetation auf einen von den Hufen und Rädern derer, die in der Gegend lebten, geschaffenen Pfad. Die Spuren gaben Brent zu verstehen, dass Nueva Vida nicht weit entfernt war.

      »Das ist besser«, meinte Patch-Up von der Fahrerbank aus. »Nicht, dass es mir was ausmacht, volle elf Stunden lang in den Hintern getreten zu werden.« Er machte einen Buckel und sein Rücken knackte sieben Mal.

      Brent sah zu seinem Bruder hinüber. »Stevie.«

      »Ja?«

      »Du bist dafür verantwortlich, das Lager aufzuschlagen, also halt die Augen nach einer versteckten, abgeschiedenen Stelle offen.«

      »Wir übernachten nicht in der Stadt?« Stevie sah aus, als ob man ihm gerade ein weiches Kissen unter dem Kopf weggerrissen hätte.

      »Wir wollen nicht, dass jemand all unsere Gesichter kennt, oder weiß, wie viele wir sind«, erklärte Brent. »Mr. Stromler und ich werden mit Ojos reden und Long Clay wird von draußen aufpassen, aber der Rest von euch bleibt zurück.« Stevie würde ihnen bei diesem Treffen keine Vorteile verschaffen – und es war möglich, dass er aufsässig würde – und Brent kannte den Effekt gut, den Männer wie sein Vater und Long Clay auf Menschen hatten.

      »Okay. Ich werd mich ums Lager kümmern.« Stevie war offensichtlich zu müde und angeschlagen, um zu streiten.

      »Patch-Up wird dir helfen.«

      Long Clay, der sich nicht umgedreht hatte, seit sie Leesville verlassen hatten, sah den Cowboy an. »Brent.«

      »Ja?«

      »Nach eurem Treffen kommst du mit mir.«

      Brent lief es eiskalt den Rücken hinunter. Bis zu diesem Moment hatte er angenommen, dass Long Clay die mexikanischen Dollar allein beschaffen würde.

      »Dein Vater ist zurzeit nicht in der Lage.« Long Clay wandte sich ab.

      John Lawrence Plugford, der die Führleinen der beiden Zelter, auf die er seine befreiten Töchter zu setzen gedachte, fest umschlossen hielt, sagte nichts.

      »Ich kann mitkommen«, bot sich Stevie an.

      »Nein, kannst du nicht«, sagte Brent.

      Der Cowboy wusste, dass er keine Wahl hatte.

      Die Reiter mühten sich einen Abhang hinunter, der steil genug war, dass sie sich schweißnasses Haar von der Stirn wischen mussten, und vor ihnen, am südwestlichen Horizont, erhob sich eine Bergkette aus dem Boden. Die spitzen Gipfel schwollen an wie die Segel sich nähernder Kriegsschiffe.

      Nach einem zwanzigminütigen Abstieg wurde das Terrain unter der Karawane flacher. Yuccas, Kakteen und einige wenige Hügel, die wie Schildkröten geformt waren, stellten sich zwischen die Gruppe und die ansteigende Gebirgskette. Bald betraten die Reiter ein dichtes Wäldchen und schlängelten sich durch dessen dunkle Vegetation.

      Stevie zeigte auf eine Lichtung, die hinter einer dichten Gruppierung von Yuccas verborgen lag. »Wie wär's da?«

      »Gut«, sagte Brent. »Sobald wir die Stadt im Blick haben, kommst du hierher zurück und schlägst das Lager auf.«

      »Mach ich.«

      »Sorg dafür, dass Pa was isst. Es ist drei Tage her.«

      »Ich werd versuchen, was in ihn rein zu bekommen.«

      »Stevie und ich werden ihn festhalten, wenn er sich weigert«, fügte Patch-Up hinzu.

      »Gebt ihm was.« Brent dachte kurz nach. »Schüttet ihm Suppe in den Whisky, wenn ihr müsst.«

      Die Karawane verließ das Waldgebiet und die Brüder, der Neger und der Dandy hielten neben den beiden älteren Männern an. Vierzig Meilen von den Reitern entfernt standen die dunkelbraunen Berge, die den Großteil des südwestlichen Horizonts eingenommen hatten.

      Brent musterte die flache Ebene diesseits der Gebirgskette auf der Suche nach der Grenzstadt, die er schon eine Stunde früher zu entdecken gehofft hatte. Etliche Meilen von seinem jetzigen Standpunkt entfernt bemerkte er einen unnatürlich ockerfarbenen Lichtschein über dem Land. »Dort ist es.« Er zeigte darauf. »Das muss Nueva Vida sein.« Er sah den Dandy an