Mit dieser Beschreibung wird deutlich, dass es beobachtbare Körpersignale gab, die darauf hindeuten, dass der Hund das Kuscheln zunächst entspannt genießen konnte, bis die Hand am Kopf ankam. Erst dann erfolgte eine schnelle Körperaktion, eine Abwehrreaktion. Diese plötzliche Reaktion des Hundes deutet auf einen schnellen emotionalen Umschwung beim Hund hin, wie ihn Schreck- und Schmerzreaktionen mit sich bringen. Also kann von da aus weiter überlegt werden: ist es schon häufiger vorgekommen, dass der Hund mit Erschrecken auf eine Annäherung mit der Hand im Kopfbereich reagiert hat? Könnte es sein, dass der Hund Schmerzen hat, Zahnweh, Ohrenweh, Augenprobleme? Wenn eine Untersuchung beim Tierarzt dann eine Ohrenentzündung ergibt, hat die Berührung der Hand im Ohrbereich plötzliche Schmerzen ausgelöst, die zur Reaktion des Schnappens geführt hat. Eine sofortige Behandlung der Ohrenentzündung verändert die auslösenden Bedingungen für das Verhalten und kann dazu führen, dass es beim einmaligen Schnappen bleibt. Ein Hund, der noch nicht ganz stubenrein war und plötzlich wieder vermehrt reinpinkelt, könnte eine Blasenentzündung haben. Wird diese behandelt, kann das Training zur Stubenreinheit erfolgreich fortgesetzt werden.
Verhalten hat immer gute Gründeerforschen Sie die auslösenden Bedingungen für Verhalten.
Wenn Hundebegegnungen problematisch sind, kann es helfen, anfangs sehr kleinschrittig mit viel Distanz zum Auslöser (fremder Hund) zu trainieren. Das Ergebnis kann dann so entspannt aussehen wie hier.
Ein Tierschutzhund aus dem Ausland, der neu eingezogen ist, ist vielleicht durch die in Deutschland stark belebte Umwelt reizüberflutet, hat möglicherweise durch tägliche längere Gassigänge Muskelkater und ist durch die Einengung auf bestimmte Liegeplätze und eine kurze Leine draußen stark frustriert. Dies alles führt zu einer starken Grunderregung, die sich unter anderem draußen in heftigem Ziehen an der Leine zeigen kann. Kürzere Gassigänge in reizarmer Umgebung und eine Schleppleine am Brustgeschirr befestigt können Abhilfe bringen, da Frustration verringert, der Hund körperlich und auch psychisch nicht überfordert wird und mehr zur Ruhe kommt, was zu einer entspannteren Grundlage für das Training führt.
Wenn ein unerwünschtes Verhalten dauerhaft auftritt, lohnt es sich, zu prüfen, wodurch es aus Hundesicht Erfolg hat. Im nächsten Schritt wird geprüft, ob und wie die Situation verändert werden kann, damit das Verhalten nicht immer wieder zum Erfolg führt. Ein Hund, der vor anderen Hunden Angst hat und diese deshalb auf Distanz halten will und dies durch Verbellen und/oder Anknurren auch erreicht und sich dadurch erleichtert fühlt, kann am Anfang eines Trainings so viel Distanz zum Auslöser erhalten, dass das Verbellen und Anknurren nach Möglichkeit nicht mehr auftritt. Damit wird das Bedürfnis des Hundes nach ausreichend Abstand und Sicherheitsgefühl erfüllt und sichergestellt, dass das aus Menschensicht unerwünschte Verbellen und/oder Anknurren sich nicht immer weiter festigt. Auf dieser Basis kann dann mit einem Trainingsplan erarbeitet werden, dass der Hund lernen kann, an anderen Hunden Schritt für Schritt auf immer kürzere angemessene Distanz entspannt vorbei zu gehen.
Wenn ein Verhalten immer wieder gezeigt wird, suchen Sie nach dem Verstärker, der es immer wieder festigt!
Die Fragestellung wäre möglich, ob Signale und Erlerntes zwar schon ganz gut funktionieren, aber bei der Generalisierung noch Übungsbedarf besteht und wie das Verhalten zuverlässig bei steigenden Ablenkungen und / oder steigender Erregung trainiert werden kann. Frei nach dem Zitat: Hunde zeigen immer, was man sie gelehrt hat. Wenn Verhaltensweisen als das Bestreben, eigene Bedürfnisse ohne Hintergedanken (alternativ als biologisches Normalverhalten) zu erfüllen begriffen werden, kann dies dem Menschen die Wut und den Frust nehmen, dass ein Hund das tut, um ihn zu ärgern oder zu hinterfragen.
Und ausgehend von einem solchen Blickwinkel stellt sich die Kernfrage: Können unerwünschte oder störende Verhaltensweisen eines Hundes nur über Einengung und Beschränkung des Hundes und gegebenenfalls durch aversive Trainingsmittel verändert werden? Oder gibt es auch andere Wege, um unerwünschtes Verhalten zu begrenzen und zu verändern? Diesen Kenntnissen und Fragen widmen sich die nächsten Kapitel des Buches.
Überprüfen Sie auslösende und verstärkende Faktoren für das Verhalten Ihres Hundes und verändern Sie diese entsprechend. Dann ändert sich auch das Verhalten Ihres Hundes.
Wenn der Hund beispielsweise auf Ihren Rückruf nicht hört, hat dies nichts mit Ihnen als Person oder dem Testen von Grenzen zu tun, sondern nur damit, dass Sie ihn noch nicht ausreichend in verschiedenen Situationen trainiert haben.
3. Braucht Zusammenleben Grenzen?
Im Zusammenleben von Hunden und Menschen kann es kaum ohne Regelungen gehen, wie es ja auch im Zusammenleben menschlicher Familien nicht ohne Übereinkommen von Abläufen und Umgangsformen gehen kann. Die Vorlieben und Bedürfnisse aller stehen im Raum und wollen miteinander abgeglichen werden. Friedliches, konfliktfreies Zusammenleben klingt viel einfacher, als es im Alltag häufig ist. Wenn sich die Bedürfnisse des Menschen und die des Hundes (stark) voneinander unterscheiden, entstehen schnell Konflikte.
Grenzen setzen sichert das eigene Wohlbefinden
Nehmen wir das Beispiel, dass ein Mensch es nicht mag, wenn der Hund auf dem Sofa liegt, weil er es unhygienisch findet. Sein Hund wiederum findet das Sofa als weichen, warmen, gemütlichen und schön nach Mensch duftenden Liegeplatz unwiderstehlich. Daraus entsteht ein Konflikt zwischen den Bedürfnissen des Hundes und den Bedürfnissen des Hundehalters, der irgendwie aufgelöst werden muss. Für eine Klärung gibt es immer mehrere Möglichkeiten.
Der Hundehalter nimmt für sich in Anspruch, sein Bedürfnis zu sichern und verbietet dem Hund, auf dem Sofa zu liegen. Das könnte er erreichen, indem er mit dem Hund schimpft, wenn dieser auf dem Sofa liegt oder gerade auf dem Weg zum Sofa ist. Er könnte ihn vom Sofa herunterziehen, etwas nach ihm werfen, wenn er auf dem Sofa liegt, etwas auf das Sofa legen, was ziept und pikst, wenn der Hund draufgeht und so weiter. Der Fokus dabei liegt auf einer Einschränkung des Hundes durch Einwirkungen, die für ihn unangenehm sind, ihn erschrecken oder ihm wehtun. Wenn der Hund nicht mehr auf das Sofa geht, ist das Bedürfnis des Menschen erfüllt, das Wohlbefinden des Menschen gesichert. Für den Menschen fühlt sich das gut an. Für den Hund bedeutet es Verlust – und möglicherweise bauen sich Ängste vor den Einwirkungen und/oder vor seinem Menschen auf.
Eine andere Herangehensweise wäre es, dass der Hund schlicht lernen darf, dass er woanders ebenfalls komfortabel liegen und einen Großteil der Bedürfnisse „warm, gemütlich, weich und schön nach Mensch duftend“ befriedigen kann. Das kann direkt auf dem Boden am Sofarand sein, eine besonders gemütliche sonstige Liegestelle, ein direkt an das Sofa angestellter Sofahocker, den nur der Hund benutzt – oder was auch immer der jeweiligen Familie an kreativen Möglichkeiten einfällt. Wie gut der Hund die Alternativen annehmen kann, wird damit zusammenhängen, wie groß sein Bedürfnis nach dem Sofaplatz ist und wie gut die dazugehörigen Menschen es ihm beibringen, woanders liegen zu können und wie gut es ihnen gelingt, die Bedürfnisse des Hundes dabei zu berücksichtigen.
Grenzen sind individuell und können für jedes Mensch-Hund-Team andere sein.
Sally liebt es, in der Nähe ihrer Menschen zu sein und sich dabei weich irgendwo anlehnen zu können. Dieses Körbchen vor dem Sofa bietet das alles – und das Sofa bleibt frei und sauber.