Grenzen setzen 3.0. Martina Maier-Schmid. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Martina Maier-Schmid
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Сделай Сам
Год издания: 0
isbn: 9783954642328
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Absichten überhaupt haben können, befassen wir uns später noch eingehend.

      Oder Hundehalter haben schon in das Training ihres Hundes investiert und erwarten, dass er zu jeder Zeit gelernte Signale befolgen kann. Sie sind enttäuscht und frustriert, vielleicht auch resigniert und hilflos, wenn ihr Hund in bestimmten Situationen dann doch nicht auf ein Signal hört und bewerten dies als absichtliche, ungehorsame oder widersetzliche Handlung des Hundes. Es kann sehr frustrierend sein, zu üben und zu trainieren und dann zu erleben, dass es Situationen gibt, in denen das Geübte dennoch nicht funktioniert.

      Unsicherheit und Sorge

      Und immer wieder spielen auch Unsicherheit und Angst beim Menschen eine Rolle, wenn der Ruf nach Grenzen für den Hund laut wird. Sie haben vielleicht in Büchern oder in der Hundeschule gelernt, dass das Nichtbefolgen von Signalen eine Missachtung ihrer Chefposition sei und es gefährlich sei, wenn der Hund nicht endlich lernen würde, sich unterzuordnen. Sie greifen dann durch, manchmal gegen das eigene Bauchgefühl, weil sie große Angst haben, dass ihnen ihr Hund sonst irgendwann nur noch auf der Nase herumtanzt. Bei jagenden Hunden oder Hunden, die starkes Abwehrverhalten gegenüber anderen Hunden oder Menschen zeigen, ist die Angst der Halter häufig groß, dass ein Lebewesen irgendwann einmal schwer verletzt werden könnte. Hier entsteht viel Handlungsdruck für den Menschen.

      Die unangenehmen Emotionen beim Hundehalter sind ein guter Nährboden dafür, dass Menschen Trainingswege annehmen, die das störende Verhalten des Hundes sehr in den Fokus nehmen und über Strenge und unangenehme Einwirkungen auf den Hund abstellen sollen.

      Ein in Schlüsselsituationen nicht gehorchender Hund baut verständlicherweise großen Druck bei seinem Halter auf. Dieser erhöht die Bereitschaft, zu rabiaten Methoden zu greifen – was das Problem aber nicht löst, sondern langfristig eher verschlimmert. Atmen Sie durch! Es gibt andere Lösungen!

      Die Forderung, dass Hunde Grenzen brauchen, ist häufig gepaart mit Trainingstechniken, die das unerwünschte Verhalten unterbrechen sollen. Sehr oft wird dieses Vorgehen in der Trainingsliteratur oder von Hundefachleuten damit begründet, dass der Hund dominant sei und wissen müsse, wo er in der Rangordnung stehe. Es gibt immer noch etliche Trainingskonzepte, die auf der Basis von Dominanz- und Rangordnungsvorstellungen entwickelt und gestaltet werden. In der Praxis bedeutet dies dann häufig, dass das unerwünschte Verhalten abgewartet oder sogar provoziert wird, um dann durch Einwirkungen abgestellt zu werden, die für den Hund unangenehm, erschreckend oder gar schmerzhaft sind. Die Palette der Einwirkungen hat eine weite Streuung: Da wird der Hund an der Leine weitergezerrt, der Hund wird angeschrien, gezwickt, getreten, mit Wasser bespritzt, angezischt, mit Gegenständen beworfen, körpersprachlich bedrängt, abgedrängt, mit einem Leinenruck bedacht und vieles mehr. Es werden Hilfsmittel eingesetzt, die schmerzhaft auf den Körper einwirken oder unangenehme Geräusche machen. Meist wird die Einwirkung dann beschönigend anders genannt, sodass nicht immer direkt deutlich wird, über welchen Wirkmechanismus gearbeitet wird. Es sei Kommunikation mit dem Hund, Hunde machen das untereinander auch so, das tut nicht weh, es ist wichtig, dass der Hund weiß, wo sein Platz in der Rangordnung ist, es stärkt die Bindung, es ist artgerecht.

      Bindung entsteht nicht durch Machtdemonstrationen!

      Für mich muss klar unterschieden werden, ob solche Einwirkungen bewusst als Trainingsmittel zur Verhaltensänderung eingesetzt werden oder ob einem Hundehalter einfach mal die Nerven blank liegen und die Impulskontrolle versagt und er dann aus der Haut fährt. Als Trainingsmittel sind diese Maßnahmen nicht sinnvoll und zielführend, wie wir später noch ausführlich besprechen werden.

      Der Ruf nach Grenzen ist somit häufig ein Ausdruck davon, dass sich Menschen auf das unerwünschte Verhalten fokussieren und dieses abstellen wollen, um für sich selbst zu sorgen oder Schaden für Dritte abzuwenden. Dahinter steht auch häufig die eigene Belastung, die den Halter an die eigenen Grenzen der Belastbarkeit bringen kann. Die Annahme, dass dies nur über das Setzen von Grenzen im Sinne einschränkender Regeln ginge, ist noch weit verbreitet. Sie begegnet uns nicht nur in der Hundeerziehung, sondern auch in zwischenmenschlichen Beziehungen und der Kindererziehung. Es ist also im Grunde nicht verwunderlich, dass dieser Blinkwinkel auch in der Hundeerziehung weit verbreitet ist.

      Auch das ist eine Aussage, die oft zu hören und zu lesen ist. „Der Hund will ja nur seine Grenzen testen“. Diese Annahme suggeriert unterschwellig, dass der Hund ein Verhalten, das dem Menschen nicht angenehm ist, absichtlich und wider besseres Wissen zeigt, um zu prüfen, ob der Mensch konsequent ist oder wirklich Chef ist und in dem Bewusstsein, dass es dem Menschen nicht gefällt. Auch die Annahme, dass Hunde Verhalten vorspielen, um zu protestieren, weil es nicht nach ihrem Willen ginge, oder um ihren Menschen zu kontrollieren oder zu manipulieren, ist noch weit verbreitet. Irgendwie scheinen Menschen für diese Sorge oder Angst empfänglich zu sein. Im Grunde beinhalten diese Aussagen die Annahme, der Hund würde seinen Menschen in Frage stellen und gegen ihn arbeiten wollen.

      Um zu verstehen, warum das nicht so ist, ist wichtig zu wissen: Verhalten entsteht nicht im luftleeren Raum. Verhalten dient der Anpassung an das aktuelle Lebensumfeld. Es gibt immer auslösende Bedingungen für Verhalten. Dazu zählen gesundheitliche Faktoren, genetische Veranlagung, Stressbelastung, Frustrationsbelastung, Lernerfahrungen, hormoneller Zustand, Erregungslevel, Präsenz von Auslösern und so weiter. Verhalten verfolgt ein Ziel, es hat einen Zweck, soll eine Funktion erfüllen. Es gibt aus Hundesicht immer gute Gründe für das eigene Verhalten, auch wenn es aus Menschensicht nicht immer nachvollziehbar ist oder gefällt.

      Es gibt immer gute und nachvollziehbare Gründe für ein Verhalten des Hundes, auch, wenn dies dem Menschen nicht gefällt.

      Verhalten dient dazu, das eigene Wohlbefinden zu erreichen und zu sichern und eigene Bedürfnisse zu befriedigen. Alle Säugetiere sind sich hier sehr ähnlich. Hunde registrieren, ob das gezeigte Verhalten dazu führt, das eigene Wohlbefinden zu erreichen und zu sichern, Bedürfnisse dadurch erfüllt werden oder eben auch nicht. Das Verhalten wird dann angepasst. Diesen Vorgang nennt man Lernen. Was Hunde nach heutigem Wissen von Menschen unterscheidet, ist die Fähigkeit der bewussten Reflektion des eigenen Verhaltens und wie es auf andere wirkt. Und damit auch der bewusste Einsatz von Verhalten, um ein Gegenüber bewusst und gegen dessen eigentlichen Willen zu einem bestimmten Verhalten zu bringen, zu manipulieren oder das Gegenüber in Frage zu stellen und zu ärgern. Anzunehmen, Hunde könnten beispielsweise Angst oder Krankheit vorspielen, um den Menschen zu beeinflussen, sich gegen den eigenen Willen für ihre Bedürfnisse entscheiden, ist aus meiner Sicht eine „Vermenschlichung“ des Hundes, während das Zugestehen von der Empfindungsfähigkeit von Schmerzen, Emotionen und Bedürfnissen auf einer wachsender breiten Basis von Wissenserkenntnissen von Biologen, Ethologen, Verhaltensforschern und anderen Wissenschaftlern beruht.

      Hunde täuschen nicht bewusst ein Verhalten vor, um ihre Menschen zu manipulieren.

      Natürlich kann ein Hund, der gerade Lust hat, Ball zu spielen, lernen, dass sein Mensch mit ihm spielt, wenn er ihm lange genug den Ball in den Schoß wirft, obwohl der Mensch eigentlich gemütlich Kaffee trinken möchte. Einfach, weil das Verhalten immer wieder dazu führt, dass der Hund erreicht, was er haben möchte. Das bedeutet aber nicht, dass er absichtlich und willentlich seinen Menschen ärgern und nerven möchte und austestet, wie weit er gehen kann. Es bedeutet lediglich, dass er gelernt hat: Wenn ich den Ball immer wieder in den Schoß werfe, spielt mein Mensch mit! Also wirft er den Ball in den Schoß des Menschen, wenn er Lust hat, mit ihm zu spielen. Hunde, die gerne spielen, können dabei sehr ausdauernd sein. Vermutlich wollte der Mensch seinem Hund dieses Verhalten nicht beibringen, und dennoch hat er es unbewusst verstärkt, indem er dann doch noch irgendwann mitgemacht hat. Somit bleibt es auch seine Verantwortung, sich einen Weg zu überlegen, wie der Hund lernen kann, zu erkennen, wenn sein Mensch nicht mitspielen möchte und das auch zu akzeptieren, ohne ihn ausdauernd zu belagern. Eine häufig empfohlene Lösungsstrategie ist es, das Verhalten des Hundes einfach zu ignorieren. Bei Hunden, die eine Zeit lang immer wieder durch