»Mit diesen Krücken hast du gespielt, mit diesen halbseidenen Figuren? Guck dir doch bloß diesen Schwamm da an mit seiner gelben Krawatte und dem braunen Hut. Und der andere, der links neben ihm sitzt mit seiner abgesägten Angströhre. Und erst der lange Schlacks, diese Bohnenstangengestalt und dann diesen zu kurz geratenen Tintenkleckser, der ihm gegenübersitzt. Ein Blinder sieht doch, dass das Falschspieler sind.«
Keiner der vier Männer am Spieltisch rührte sich.
Da stieß sich Master Crack von der Theke ab und hielt mit stampfendem Schritt auf den Spieltisch zu.
Die vier Männer rührten sich nicht.
Da versetzte Crack dem Stuhl, auf dem der »Bohnenstangenmann« saß, einen Fußtritt.
Der Spieler stürzte mit dem Stuhl zu Boden, sprang auf und wollte zum Revolver greifen.
Im gleichen Augenblick erhielt er von Crack einen Faustschlag gegen das Jochbein, dass ihm die Beine weggerissen wurden. Die anderen saßen noch still da.
»Hast du ihnen etwa noch einen Wisch gegeben?«
Coster, der bis jetzt kein Wort vor Verblüffung hervorgebracht hatte, sagte jetzt mit atemloser Stimme:
»Zwei!«
Crack schob nun seine gewaltige geöffnete Pranke über den Tisch.
Es war eine eindeutige Geste.
Und die drei Männer verstanden sie. Der Mann mit dem Zylinderhut zog die beiden Scheine aus seiner Geldbörse hervor und legte sie in die große Hand.
Crack schloss die Hand und schob sie in eine seiner Hosentaschen.
Coster hatte das Gefühl, als wäre im gleichen Augenblick eine Zentnerlast von seinem Herzen gerutscht und mit ohrenbetäubendem Geräusch hier auf den staubigen Schankhausboden gefallen.
»Ich glaube, Brother, wir sollten diesen Laden hier verlassen, und vielleicht wollen die Gentlemen ihr hübsches Spiel ja fortsetzen, wenn der Junge da wieder zu sich gekommen ist.«
Die Gentlemen aber dachten nicht daran. Sie erhoben sich vielmehr und sahen zu, dass sie zum Ausgang kamen.
»Wollt ihr nicht wenigstens eure Zeche bezahlen«, bellte ihnen der Wirt nach.
»Später«, meinte der mit dem Zylinder. Der andere lag immer noch am Boden und rührte sich nicht.
Da ergriff Crack eines der Biergläser, die auf dem Tisch gestanden hatten, und leerte seinen Inhalt über dem Gesicht des Betäubten aus.
Da kam der Mann zu sich, stand schwankend auf den Beinen und hielt es dann auch für richtig, das Weite zu suchen.
Mister Crack schickte ihm eine brüllende Lache nach. Dann stand er breitbeinig da, hatte die Fäuste in die Hüften gestemmt und blickte Coster an.
»Na, was sagst du dazu?«
Coster wusste gar nicht, was er dazu sagen sollte. Obgleich er sich von den Vieren befreit fühlte, hatte er einen faden Geschmack im Munde. Die Manier, in der der Einäugige aufgetreten war, war absolut nicht nach seinem Geschmack. Noch nie hatte er gesehen, wie ein Mann mit einem solchen Hammerschlag von der bloßen Faust eines anderen niedergeschlagen wurde und so lange betäubt am Boden gelegen hatte.
»Ich glaube«, meinte Crack, »wir sollten einen anderen Laden aufsuchen, wo es gemütlicher ist.«
Coster folgte ihm.
Weshalb eigentlich? Auch das wusste er sich später nicht mehr zu erklären.
Sie suchten den »Gelben Jonny« auf, eine Schenke, die nicht allzu weit vom Hurrican Saloon entfernt war.
Jonny Gilbert, ein schwerer, dickbauchiger Geselle, der vor einem Jahrzehnt hier in die Stadt gekommen war und die Schenke regelrecht aus dem Boden gestampft zu haben schien, blickte den beiden Eintretenden mit verschlagenem Grinsen entgegen. Dann nahm er sofort zwei Gläser zur Hand und füllte sie zu einem Drittel mit Whisky.
Crack, der gar nicht auf den Gedanken gekommen war, den freundlichen Gruß des Wirtes zu erwidern, griff nach seinem Glas, roch daran und kippte dann dem Wirt den Schnaps ins Gesicht.
Der nahm sein Handtuch, um sich das brennende Nass aus dem Gesicht zu wischen.
»Aber, Mister, ich verstehe Sie nicht. Das war doch guter Whisky.«
»Das war Fusel, nichts sonst. Und wenn nicht innerhalb weniger Sekunden ein guter Scotch vor mir steht, lernst du mich kennen, Schnapspanscher.«
Da hielt der Salooner es für geboten, eine der Flaschen unter der Theke hervorzuholen, die nur für besondere Gäste dort bereitstanden.
Er kippte auch Costers Getränk in den Bottich, in dem die Gläser lagen, die abgewaschen werden mussten, und füllte beiden von dem besseren Whisky ein.
»Na also«, sagte Master Crack, »man muss nur die richtige Tonart für die Boys finden.«
Sie tranken zwei und gingen dann hinaus.
Coster blieb an der nächsten Vorbauecke stehen und blickte in die Gasse, die zum südlichen Stadtausgang führte.
Vielleicht wäre das der Augenblick gewesen, den Coster hätte ergreifen müssen, um seine Bekanntschaft mit dem Zyklopen zu beenden. Er hätte sich ganz einfach bedanken und verabschieden können.
Aber dazu hatte er nicht den Mut. Und er war fest davon überzeugt, dass Mut dazugehört hätte.
So blieb er denn unschlüssig stehen und blickte auf seine staubigen abgewetzten Stiefelspitzen.
Crack nahm eine Strohhalmzigarre aus seiner Westentasche, stieß sie sich zwischen seine Zähne und riss ein Zündholz an der Hauswand an.
»Ein trüber Tag ist das heute. Der Schweiß dringt einem aus allen Poren, als wenn Hochsommer wäre.«
»Ja, ja«, meinte Coster, nur um irgendetwas zu sagen. Und wieder hatte er, wie schon im Hurrican Saloon, plötzlich ein mulmiges Gefühl in der Magengrube, als er den anderen ansah.
James Coster war kein wertvolles Mitglied der menschlichen Gesellschaft, ganz sicher nicht. Aber er war kein Verbrecher wie jener, der da vor ihm stand.
Master Crack war ein Mörder, ein Mensch, der in mehreren Staaten steckbrieflich gesucht wurde. Er hatte sein einst brandrotes Haar mehrfach gefärbt, so dass jetzt eine scheußliche Mischung entstanden war, die seinem Kopfschmuck eine perückenhafte fuchsiggelbe Färbung gegeben hatte, die ihn regelrecht entstellte. Jemand, der ihn früher ohne weiteres erkannt hätte, würde das jetzt nicht so leicht gekonnt haben. Der dunkle Hut, den er trug, war ebenfalls gar nicht typisch für ihn und auch die Weste und die Hose nicht. Und dann hatte er sich einen Schnurrbart wachsen lassen, der seine Erscheinung vollends verfremdete.
»So, ich glaube, jetzt werden wir uns irgendwo ein ordentliches Steak zu Gemüte führen.«
Ein Steak! Hunger brannte dem Cowboy im Magen. Aber er hatte ja keinen roten Cent mehr in der Tasche.
»Klar, wir werden ein Steak kauen. Komm mit.«
Er ging mit und kaute auf Kosten des Einäugigen ein gewaltiges Steak.
Mittlerweile war es dunkel geworden.
In dem Boardinghouse, das Master Crack ausgesucht hatte, brannten nur zwei trübe Kerosinfunzeln an einem Messingleuchter an der Decke. Sie warfen ein zitterndes Licht in den verhältnismäßig großen Raum, der jetzt mit Gästen angefüllt war.
»So, und nun wollen wir zu Ed gehen.«
Crack erhob sich.
Coster folgte ihm zum Ausgang.
Da endlich nahm er sich ein Herz, um dem anderen zu sagen, dass er sich bei ihm für seine Hilfe bedanke, und dass er nun seiner Wege gehen müsse.
»Mister, wissen Sie«, begann er stockend, »ich möchte Ihnen gerne erklären …«
Crack hatte abgewinkt.