Scirocco. Gerhard Michael Artmann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gerhard Michael Artmann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783842283893
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Autos Amerikas konfisziert werden. Aber wo kriegte man den Kohlenstoff her? Der hatte sich auch damals schon in die Luft verflüchtigt als ZehOhhZwei. Alle Ansätze zur Lösung der Kohlenstoffproblematik waren durch die Angestellten des Pentagons ausgeschöpft worden. Die Wälder waren abgeholzt und zu Holzkohle verarbeitet, die Kohleminen brachen immer öfter infolge von Raubbau ein. Alles Organische wurde auf Beschluss der Regierung eingezogen und verkohlt. Aber es half nichts. Der Kohlenstoff reichte nicht; nicht hinten und nicht vorne.

      Immer, wenn der Regierung nichts mehr einfiel, rief die ihn, Bestehjew, den Zauberer. Sie zahlten lausig und meckerten ständig herum, er sollte sich gefälligst beeilen, es ginge um die nationale Sicherheit, um Arbeitsplätze und Investitionen in Amerika. Bestehjews Problem war nun, dass er nicht wusste, wie viel ZehOhhZwei in fester Form gebraucht wurde. Denn keiner wusste, ob es nach der Weltkrieg-Rückrunde gegen Deutschland eins zu eins oder zwei zu null stehen würde. Bei eins zu eins käme es zu einem Elfmeterschießen in der Schweiz, was zwar auch Arbeitsplätze schaffte, aber eben nicht in Amerika. Das Schießen würde mit Panzern ausgetragen werden müssen, von denen keiner aber wüsste, welches Land das preiswerteste Angebot abgeben würde und zum Zuge kam. Die Schweiz war schließlich neutral. Der ZehOhhZwei-Bedarf war dann also niedrig. Bei zwei zu null wäre das etwas anderes. Da müsste man im Anschluss an den Sieg über Deutschland denen wenigstens so viele Panzer liefern, damit das Land eine faire Chance bekäme, in Weltkrieg drei, vier, fünf insgesamt drei zu zwei gegen die Russen gewinnen zu können. In dem Fall würde dann Amerika für die kommenden fünfzig Jahre keine Beschäftigungsprobleme haben, aber das Kohlenstoffproblem würde erheblich werden.

      Bestehjew hatte dem Pentagon als erste Maßnahme bereits vorgeschlagen, den Verödeten Nationen eine internationale Normierung der Panzerherstellung zu empfehlen, um die Frage zu entspannen. Alle Panzer der freien sowie der unterdrückten Welt aus einer Hand, so kohlenstoffarm wie möglich hergestellt! Ginge es nach Bestehjew, konnten die Panzerkanonen dann auch gern nach dem zweiten Schuss nach vorn unten wegknicken. Denn dann würden das alle Panzer der Welt ebenfalls tun, und die Chancen wären gleich verteilt. Das würde dann zwar dem Szenario eines Swingerclubs ähneln, aber wen störte das. Das war sein Argument. Und wenn dann alle Panzer der Welt so genormt wären, brauchte man im Weltkriegsfall drei, vier und fünf nur die Soldaten herausziehen und die Panzer gegen Russland umdrehen. Sogar die Munition wäre weiter verwendbar. Selbstverständlich müsste man zuvor das Blut wegwischen, damit kein amerikanischer Soldat ausrutschte und sich verletzte.

      Im Übrigen, sinnierte Bestehjew weiter, besser wäre eine internationale Normung aller Kriegswaffen und Soldaten ohnehin, und zwar bis zum Haarschnitt. Dabei würde es im Detail nicht allein um einheitliche Panzer und einheitliche Munition gehen. Die Festlegungen würden tiefer greifen, sogar kleinste Details würden zu beachten sein, zum Beispiel, wie groß das Austrittsloch am hinterwärtigen Schädel des Gegners sein müsste, damit der auch mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zeitnah verendete. Schließlich und endlich würde auch »Wie viele hast du von uns abgeschossen – so viele schieße ich von euch ab« genormt werden können.

      Um nicht gänzlich in Depression zu verfallen, verließ Bestehjew am frühen Nachmittag die Abrüstungskonferenz und ging angeln. Masturbiert, um sich glücklich zu machen, hatte er heute, an einem Samstag, seinem freien Tag, schon zweimal, einmal vor dem Frühstück und einmal nach der Begrüßungsrede des amerikanischen Präsidenten. Als er nach dem zweiten Mal vom Klo kam und sich gerade die Hände wusch, drehte sich der Sicherheitsbeauftragte für Zentralafrika nach ihm um und meinte: »Ich bemerke das Weiße in Ihren Augen. Das kenne ich aus Afrika. Wenn wir Neger so gucken wie Sie, dann bringen wir vorsichtshalber alles um, was sich bewegt, sogar Fliegen. Ich kann Ihnen ein Mittel dagegen geben.« Bestehjew dankte.

      Er traf gegen fünf an seinem Angelplatz ein. Dort und zu der Zeit bissen die Fische am besten. An seinem Stammplatz am River saß aber bereits ein harmlos aussehender Indianer und angelte. Er hatte die langen Haare zu einem Zopf gebunden und ließ ihn fröhlich zur Seite baumeln. Neben sich hatte er ein Bild seiner Familie und seiner acht Kinder aufgestellt. Bestehjew hockte sich mit seinem Klappstuhl neben ihn, stellte den Eimer ab, warf die Leine aus und begrüßte das Mitglied der amerikanischen Minderheit mit »How are you«. Der Indianer warf seinen Zopf auf die andere Seite und antwortete: »Da drüben beißen sie nicht. Sie haben auch die falschen Köder. Auf Ihre Pfauenfederfliegenimitationen fällt in diesem Fluss kein Fisch mehr rein.« – »So?«

      Der Indianer zog einen Hecht aufs Trockene. Der zappelte um sein Leben. »Gute Nacht, Henri, genug für heute«, begrüßte er den Hecht. Er löste den Haken sorgfältig und warf ihn zurück. »Aber warum machen Sie das? Wissen Sie, wie viele Hechte der Größe ich in meinem Leben gefangen habe? Maximal zwei, vielleicht sogar nur einen!« – »Er heißt Henri, und er beißt jeden Abend an die fünf Mal an. Das genügt ihm. Ich habe ihm eine Diät verpasst. Er hat Diabetes und ist über zwanzig Jahre alt.« Bestehjew schielte seitlich auf das Rotgesicht. »Wohl zuviel Eisen im Blut?«

      Der Indianer ruckelte seinen Stuhl zurecht und legte seinen Tomahawk zwischen sich und den Yankee. »Wir müssen still sein, sonst beißen sie nicht. Seien Sie still!« – »Seien Sie still! Wissen Sie denn, welche Probleme ich habe? Bei meinen Problemen geht es nicht um einen Alzheimerhecht. Da geht es um die Zukunft Amerikas?« – »Ja, aber Henri ist die Zukunft Amerikas egal. Er hat Diabetes. Er ist froh, wenn er noch zwei, drei Jahre hat. Vielleicht droht ihm auch noch ein Raucherbein, denn er neigt zur Ausschweifung.« – »Ja, und Amerika?« – »Das ist mir jetzt auch egal. Da ist er wieder. Er hat heute wieder Hochzeit. Er fragt, ob er noch was haben kann. Sein Gaumen tut ihm aber weh. Ob ich den Köder nicht einfach ins Wasser werfen könne.« Blaff, ein halbes Pfund Köder flog in den Fluss und trieb nicht lange davon, gar nicht sehr lange, denn alle Hechte aus hundert Kilometern Umkreis waren zur Feier eingeladen.

      Bestehjew stand nun förmlich auf, zeigte seine Dienstmarke und fragte den Indianer von Angesicht zu Angesicht: »Sind Sie als beglaubigter Bürger Amerikas bereit, sich für den Kampf gegen Deutschland, Weltkrieg-Rückrunde, zusammen mit einem Drittel Eisenerz, einem Drittel Eisenschrott und Ihnen zu Panzerstahl einschmelzen zu lassen?« Der Indianer griff neben sich. »Warum denn ich?« Bestehjew erklärte, dass einer, der dunkelrot aussehe wie rostiges Eisen und zehnmal mehr Kohlenstoff als jeder Weiße enthielte, auch wenn jeder Indianer noch so viel Staublunge aus den Steinkohleminen der Appalachen zur Tarnung mit sich herumschleppe, grundsätzlich kriegstauglich sei. Dieser Indianer, sechs Klassen absolviert, Bestehjew ahnte es schon, kannte natürlich die Appalachen nicht. Die waren in der siebten dran, da hatte er sicher schon in einer chinesischen Dönerbude am Mississippi River gearbeitet.

      Bestehjew beschloss, ihm keine aufs Maul zu geben. Er beobachtete dessen Angel und lobte ihn, wenn er einen Fisch zog, auch wenn der noch so klein war. Der Indianer hielt den Tomahawk sowie Besthejew im Auge. Indianer können sehr groß werden und verbrauchen viel mehr Futter als Weiße, aber es gibt auch eine Menge Kleinwüchsiger unter ihnen, besonders, wenn sich ihre Vorfahren mit den Inkatöchtern eingelassen hatten. Dieser hier, konnte Bestehjew sich vorstellen, würde im Falle der Totalverweigerung nur ein mittleres Problem für ihn werden. Nur schnell musste man sein. Wenn der Kerl entkam, konnte Bestehjew nur noch das Land verlassen. Indianer können sehr nachtragend sein. Sie schleppen manchem Menschen lebenslang den Tomahawk hinterher.

      Nachdem der Indianer zwei Sprotteneimer fast gefüllt hatte, erklärte Bestehjew ihm, was die Appalachen sind, wo sie lagen und was die Russen dort mit ihm, einer Rothaut, machen würden, wenn er sich jetzt weigerte, mit der amerikanischen Regierung zu kooperieren.

      »Ich registriere Sie schon mal. Wie heißen Sie?« – »Sam. Und Sie?« – »Was geht Sie das an, Sie Panzerkette, Ich bin Commander bei der amerikanischen Armee.« – »Und was kommandieren Sie?« – »Das Universe.«

      Der Hecht Henry riss just in this moment sein Maul aus dem Wasser und rief: »Was ist mit dem Nachtisch, meine Leute meckern. Die gehen nie ohne Nachtisch ins Bett.« Der Indianer goss einen Eimer Sprotten zurück ins Wasser. »Dann gibt’s heute Abend nicht viel zu essen.« – »Meine Squaw findet immer einen Weg, uns zu ernähren, aber wenn die Hechte sich nicht vermehren, dann haben wir auch nichts zu beißen.«

      Ein Indianer hat im Durchschnitt acht Kinder. Wenn er geschieden war, sechzehn. Sie müssen