Scirocco. Gerhard Michael Artmann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gerhard Michael Artmann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783842283893
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der auf einer Anhöhe wie eine Nadel aufragte. An dessen Fuß fiel das Land in Sturzbächen aus Fels und Kreide ins Meer. Weiter westlich des Lagerplatzes von Bob und Ludger und auch östlich davon lag ein Strand, der golden war, insbesondere in der Sonne dieses Tages. Das Wort »golden« ist alt und wird in Märchen verwandt, um Schönheit und Wert auszudrücken. Bob gab dem Wort jedoch einen besonderen Glanz, indem er es verkleidete: »Ludger, dieser Strand, dieses Land sind gülden.«

      »Es ist von Gott gesegnetes, litauisches Land!«

      Bob und Ludger drehten sich um und sahen eine schöne Frau, etwa in Ludgers Alter, mit einem Sommerkleid bekleidet. Sie führte ein Pferd an der Leine und war offenbar im Begriff, den Strand entlangzureiten. Sie grüßte nur knapp und fragte dann: »Und? Seid ihr Touristen? Oder seid ihr Spanner? Geht weiter! Das Land und die Menschen da unten sind echt, sie mögen nicht, angeglotzt zu werden wie irgendein anderer Fleck Erde oder Typ. Geht dahin und seht euch dort satt, wo ihr herkommt. Ihr seid hier nicht willkommen.« – »Ich bin Bob, wir wollen nicht hierbleiben. Wir rasten nur hier.« – »Ich heiße Ludger.« Sie wurde freundlicher »Ich bin Ana.« Ludger griff nach Bob, der weglaufen wollte. »Bob, nicht! Sie ist nicht deine Ana. Sie heißt nur wie sie.« Ludger erklärte ihr, das Bobs verstorbene Frau Ana hieß. »Oh, das tut mir leid«, sagte sie und strich Bob über die Stirn. Dann sprang sie auf ihr Pferd. »Mythica, komm«, rief sie und ritt Richtung Nordosten, vorbei am Leuchtturm.

      Bob und Ludger beobachteten, wie sie am Horizont mit der Brandung der Ostsee verschwamm. Sie schauten einander an, als hätten sie eine Erscheinung gesehen – »Ihr seid hier nicht willkommen!« Bob zog die Stirn in Falten und maulte: »Die Frau hat ein psychologisches Problem. Ihr fehlt ein Mann. Wahrscheinlich gibt es in der Gegend auch keine Paarberatung, denn sie ist frisch geschieden. Hast du gesehen, dass an ihrer rechten Hand der Ring fehlte?« – »Nein.« – »Da sieht man mal, wo du die Augen hast, Ludger. Blieb trotz Sonne weiß, der Streifen am Finger! Ansonsten würde eine Schönheit wie die nicht mutterseelenallein am Strand herumjagen und mit ihrem Pferd in der Ostsee Heringe tottreten.«

      Ludger wollte etwas erwidern, aber Gescheites fiel ihm nicht ein. Also sagte er nichts. »Sie hat dich beeindruckt, gib es zu«, stichelte Bob, der ein guter Beobachter war. Ludger bekam einen roten Kopf. »Also ja, aber denk dran, Katholik, Frauen wollen nicht verstanden und auch nicht bebetet werden. Du musst sie stoßen. Sie riechen, ob du dazu in der Lage bist, wie Ana es bei mir gemocht hat und wie meine Mutter meinen Vater liebte. Gott hab sie selig.« Ludger beantworte generell keinerlei Provokation, erst recht nicht die eines Elches.

      Sie machten Vesper. Ludger schälte eben einen Apfel, als er sie zurückkehren sah. Sie ritt auf sie zu. Sie war patschnass, ihr Pferd schnaufte. Bob trat ihm näher und sprach ein ernstes Wörtchen zu ihm. Ludger verstand in etwa, worum es ging: »…dass du mit deinen Kräften haushalten musst und nicht alles tun musst, was deine Lady dir einprügelt.« – »Die Lady heißt Ana und prügelt nicht. Für die Frau würde ich sterben.« – »So?« – »Ja.« – »Ach ja. Ich würde für Ludger auch sterben.« – »Reitet er auf dir?« – »Nein, Ludger würde mich nie benutzen, wir sind Freunde aus alten Zeiten.« – »Ach, dann trottet ihr nebeneinander her?« – »So ungefähr. Genauer gesagt, wir trotten nach Sibirien. Wie weit ist es bis zur russischen Grenze?« – »Zwei Stunden, aber heute nicht mehr. Gleich ist hier die Hölle los.« Ana hatte ohne abzusitzen nur einen Satz gesagt: »Es gibt ein Gewitter. Ich muss noch mal weg.« Sie sahen sie in den Dünen verschwinden, als es zu blitzen begann.

      Der Himmel hatte zugezogen. Das Gewitter kam schneller, als Bob und Ludger es je erlebt hatten. Sie kannten Gewitter aus der Stadt und aus belebten Gegenden, wo es Hindernisse gab, wo der Wind durch Bäume pfiff und schwächer wurde, bevor er weiter zerstören konnte. Hier aber schlug er zu, und zwar aus heiterem Himmel. Drüben war der Himmel blau, hier war schon die Hölle los. Es war Krieg, und sie beide waren an der Front. Sie retteten sich in den Leuchtturm. Irgendein Mann hatte ihn gebaut, und zwar mit leicht zu öffnender Tür und einem Aufzug, so groß, dass auch Bob hineinpasste. Bob trat misstrauisch ein, und Ludger zog die Leine. Es ging nach oben. Zwischendrin öffneten sich Blicke durch kreisrunde Fenster. Bob wurde übel, als er darin die tobende schwarze Ostsee sah, und übergab sich. Ludger zählte die Fensteretagen. Man musste etwa dreißig Meter hochgefahren sein, als der Fahrstuhl hielt. Sie stiegen aus und fanden die Plattform, oberhalb derer das Leuchtfeuer sich drehte. Sie war menschenleer.

      »Das Leuchtfeuer! Sieh mal, da oben.« Bob blickte hoch, und zwar mit Ehrfurcht. »Feuer, Ludger, ein Leuchtfeuer, wie gewaltig es ist!« Als sie dann auf der Ebene der Fenster hinaussahen, fanden sie eine Ostsee vor, die so wild tobte, die so schwarz, so schwer, so voller Gischt und Wut und Hass und Widerspruch war. Sie tobte, als hätte sie all das verinnerlicht, was in den vergangenen zweihundert Jahren in Europa geschehen war. Sie war naked blank und wütend. Auch am Fenster, sogar hier, schlug die Gischt an. Hier oben im Raum war niemand. Es gab aber Zeichen von Leben; eine kleine Küche, einen Kühlschrank mit Vorräten, ein Bett und, was Bob besonders gefiel, einen Platz für ihn mit viel Heu.

      Plötzlich erlosch das Licht und mit ihm das Leuchtfeuer. Blitze zogen in kurzen Abständen durch den Raum. Bob verkroch sich. Ludger suchte die Wände ab. Irgendwo musste es einen Schaltkasten geben, in dem die Sicherungen steckten. Das Schlimme für Ludger war nicht, dass in ihrem Raum kein Licht mehr war. Das Schlimme war der Gedanke, dass es kein Leuchtfeuer geben könnte durch die Nacht, dass Schiffe auf den Strand geworfen werden würden, dass Menschen darum sterben mussten. Er war in Panik. Bob, nachdem er sich halbwegs gefangen hatte, knabberte die Wände entlang und biss neben der Tür auf etwas Hartes. Ludger hörte es knirschen.

      »Nicht durchbeißen, Bob. Ich komme!« Ludger fand eine Notlampe und legte die Sicherung um. Das Licht war wieder da. Auch das Leuchtfeuer glühte auf und brach mit voller Wucht durch die Scheiben nach draußen. Die Motoren drehten es mit leisem Grummeln. Bob fraß sich mit Heu voll und fraß auch aus der Kiste Äpfel. Er maulte zu Bob hinüber: »Hier können wir bleiben. Was wollen wir denn in Sibirien? Ich brauche nicht nach Sibirien gehen. Weißt du, wie kalt es da ist. Hier ist es viel besser. Du solltest auch was essen, Ludger.«

      Sie erwachten bei hellem Sonnenlicht. Das Leuchtfeuer feuerte immer noch. Bob zog den Hebel herunter und schaltete es aus. Er machte sich gleich wieder an das Heu und die Äpfel. Am Horizont gab ein Schiff Signale. »Es dankt«, sagte Ludger.

      Jemand kam in den Raum. Bob drehte sich um. Da stand die Lady im offenen Fahrstuhl und im Kleid von gestern. Ihr Pferd war auch dabei. »Das Gewitter kam zu schnell. Wir haben es nicht mehr zurück geschafft in den Turm. Danke«, sagte sie. Bob vergaß zu kauen. Ludger äußerte: »Wir haben das Notwendige gern getan.«

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