"Bleib mir von der Pelle. Ich brauche niemanden, der auf mich aufpasst", zischte ich ihm zu, dann reihte ich mich hinter den anderen ein. In einer langgezogenen Linie ging es durchs Unterholz, über Baumstümpfe und Steine hinweg, durch Tümpel, Gras und Moos. Natur pur. In all ihrer verflixten, blöden Pracht, dazu entworfen, Leute zu nerven, die in schlechtem Schuhwerk durch die Gegend stapften. Über mir ein hoher Dom aus Baumwipfeln, die leise in der Brise rauschten. Ein paar Vögel, die seltsame Laute von sich gaben. Abgesehen davon, Stille. Kein Hupen, kein Martinshorn eines Krankenwagens, der durch New York raste, keine Polizeisirenen.
Nichts.
Die übrigen Teilnehmer des Workshops schwiegen ebenfalls. Jeder darauf konzentriert, sich einen Weg zu bahnen, ohne sich die Knöchel zu brechen. Ein seltsames Gefühl beschlich mich. Ich war ganz allein in einem riesigen Gebiet, in dem es nichts als Bäume gab. Okay, außer mir und dem Idioten neben mir, waren da noch die anderen, insgesamt bildeten wir eine Gruppe, die aus zwölf Individuen bestand. Zwölf Menschen. Allein in einem Gebiet, das größer als New York war.
Panik machte sich in mir breit.
Warum musste mein bekloppter Redakteur mich ausgerechnet auf ein Survival-Camp schicken? Warum hatte ich mich nicht einfach mit Andrew auf ein Glas Wein in irgendeiner hippen Bar in Manhattan treffen können? Er hätte mich genervt. Ich hätte eine Stunde damit verbracht, ihn angestrengt anzulächeln und so zu tun, als fände ich seine dämlichen Witze toll. Danach wäre ich nach Hause gegangen, hätte geflucht weil Joe, mein Redakteur, mich zwang, etwas Positives über den größten Idioten der Baseball Premier League zu schreiben. Aber das wäre es auch schon gewesen. Okay, ich hätte meine Seele verkaufen müssen, aber das musste ich ja ohnehin. Nur, dass ich davor eine Woche lang in der Wildnis herumstolpern würde. Eines hatte Joe klargemacht, die Fehde mit Andrew musste aufhören, sonst war ich meinen Job los. Egal, ob ich das fair fand oder nicht. Egal, ob er mir an den Busen gefasst hatte. Aus Versehen oder absichtlich. Egal, ob er meine Grenzen respektiert hatte oder nicht.
Nichts davon zählte.
Nach dieser Woche würde ich so tun müssen, als hätte ich mich mit Andrew versöhnt und seine Entschuldigung akzeptiert. Ich würde ihn anlächeln, wenn ich ihn interviewte, und ich würde positiv über ihn schreiben. Allein der Gedanke ließ Wut in mir aufsteigen, aber ich unterdrückte sie, so gut es ging.
Eine Woche. Eine Woche die Nähe dieses Idioten aushalten, meine Seele verkaufen und mit dem Leben weitermachen.
Ich würde das schaffen. Ganz bestimmt.
"Scheißwurzel!", fluchte ich. Passend zu meinen Gedanken war ich darüber gestolpert, weil das blöde Ding unter Laub verborgen nur darauf gelauert hatte, mich zu Fall zu bringen. Kein Kommentar von Andrew. Nicht einmal ein herablassendes Lächeln. Mein Partner war zu sehr damit beschäftigt, sich durchs Unterholz zu bahnen. Gut! Je weniger er zu mir sagte, desto besser.
Eine gefühlte Ewigkeit verging. Die Stille der Natur interessierte mich nicht mehr. Die Tatsache, dass wir durch ein riesiges Gebiet trampelten, in dem es weder einen Supermarkt noch ein Restaurant gab, war ebenfalls nicht mehr wichtig. Meine Füße schmerzten. In meinem Kopf war nur noch ein Gedanke: Wann hörten wir endlich auf zu laufen und bauten ein Lager mit weichen, flauschigen Betten?
Mittlerweile hätte ich alles für ein Paar Wanderschuhe gegeben. Mein letztes Hemd, meine Louboutins, mein Erstgeborenes? Kein Problem, wenn ich dafür etwas an den Füßen hätte, das mir passte und in dem ich keine nassen Füße bekam, sobald ich eine Pfütze zu spät bemerkte.
"Ist vielleicht besser, wenn ich vorgehe", sagte Andrew, nachdem ich mal wieder fluchend gestolpert war. "Dann könnte ich dir helfen oder dich warnen", setzte er hinzu.
"Nicht nötig", zischte ich.
"Wenn du meinst."
Ich hätte schwören können, so etwas wie ein verstecktes Grinsen in seinen Worten wahrzunehmen, aber um das zu überprüfen, hätte ich mich umdrehen müssen, und ich brauchte meine gesamte Konzentration, um mir nicht den Knöchel zu brechen.
3
Andrew
Sam stapfte vor mir her, zumindest versuchte sie es, denn die Turnschuhe, die sie trug, waren nicht gerade das, was ich als Wanderschuhe bezeichnen würde. Natürlich hatte sie mich mit ihren Blicken fast ermordet, als ich vorschlug, vorzugehen, um ihr den Weg zu bahnen. Egal. Sie hatte eine tolle Figur. Das musste man ihr lassen. Lange, schlanke, wohlgeformte Beine und ein knackiger Po, der in den engen Jeans hervorragend zur Geltung kam. Ihre langen, blonden Haare hatte sie zu einem Zopf geflochten, der bis zur Mitte ihres Rückens hing. Sie war attraktiv. Leider, denn das war der Grund für das ganze Fiasko.
Attraktiv hin oder her, ich hielt mich auf Distanz, drei Schritte hinter ihr. Darauf bedacht, jeden Körperkontakt zu vermeiden.
"Schau mal, was für ein Mammutbaum!", rief der Typ vor uns. Der Mann war gekleidet, als sei er auf einer Safari, in olivgrüner Weste, Wanderstiefeln und Cargohosen. Er deutete auf einen Baumstamm, der neben dem Weg lag.
"Wow!", rief ein anderer. Mir war es lieber gewesen, als sie sich alle in Schweigen gehüllt hatten. Sollte ich jetzt auch meine Begeisterung über jeden Ast und jede Pflanze äußern, die hier herumlagen?
"Ich bin gespannt, was wir heute essen. Was für ein Menü habt ihr geplant, Big Bear, wird’s heute Ameisen oder Grashüpfer geben?" Mister Safari lachte. Ich konnte den Typen jetzt schon nicht leiden.
"Wahrscheinlich eher Kräutertee", sagte Big Bear, ohne sich umzudrehen. Der Indianer hielt sich am Rand, wanderte immer mal wieder von vorn nach hinten, um sicherzugehen, dass niemand verloren ging. Sein Kamerad, Black Panther, führte die kleine Gruppe. Panther war eher der schweigsame Typ. Nicht ganz so groß wie Big Bear, aber mindestens ebenso muskulös, mit nachtschwarzen, kurz geschnittenen Haaren.
"Alles klar bei euch?", fragte Big Bear. Sam nickte, ich ebenfalls. Keiner von uns sagte etwas. Der Indianer musterte Sam kurz, dann deutete er auf mich. "Pass auf deine Partnerin auf", sagte er.
"Ich versuche es, aber sie will meine Hilfe nicht", gab ich zurück. Big Bears Worte hatten sich vorwurfsvoll angehört, so als sei es meine Schuld, dass die Ice Queen keine richtigen Schuhe dabei hatte.
"Vielleicht liegt das ja an dir und nicht an ihr. Schon mal daran gedacht?", fragte er, dann drehte er sich um und ging wieder nach vorn. Klasse. Jetzt musste ich mir auch noch von einem Indianer weise Ratschläge geben lassen. Als nächstes würde er von mir verlangen, Sam auf Händen zu tragen, nur damit sie sich keine Blasen holte.
Ich wartete, bis er außer Sicht war, dann kramte ich einen meiner Powerriegel aus der Hosentasche. Die Bemerkung über das Essen hatte mich daran erinnert, dass mein Körper Nahrung brauchte. Ich musste mein Gewicht halten, wenn ich keine Muskelmasse verlieren wollte, und das bedeutete, in regelmäßigen Abständen etwas zu mir zu nehmen.
Das Papier raschelte, als ich den Riegel auspackte. Sam, die extrem gute Ohren haben musste, blieb abrupt stehen und drehte sich zu mir.
"Du hast etwas zu essen dabei?" Ihre Stimme klang, als sei es ein Verbrechen.
"Ich muss mein Gewicht halten." Ich zuckte mit den Schultern. "Willst du auch was?" Ich hielt ihr einen der Riegel hin. Es sollte schließlich niemand behaupten, ich würde mir keine Mühe geben, nett zu ihr zu sein. Sam machte einen Schritt zurück, als hielte ich ihr eine Schlange hin.
"War ja klar, dass du auch hier lügst und betrügst."
"Ich lüge und betrüge, weil ich einen Powerriegel dabeihabe? Spinnst du?"
"Was denn sonst? Alle anderen werden das essen, was wir sammeln. Du aber hast etwas mitgebracht, das du heimlich isst."
"Heimlich? Hallo, will hier jemand einen Müsliriegel?" Sämtliche Teilnehmer stoppten, wandten sich zu uns um und sahen uns an.
"Also,