"Das ... das kann nicht sein. Ich verlange, sofort zum Flughafen gebracht zu werden. Ich kann nicht eine Woche lang in der Wildnis verbringen. Ich habe einen Job!" Die Ice Queen stampfte mit dem Fuß auf. Ihr Absatz bohrte sich in den Boden. Sie schwankte, kurz davor das Gleichgewicht zu verlieren. Ich hätte ihr helfen können, aber ich dachte nicht daran, sie zu berühren. Ich hatte keine Lust, mir den nächsten Shitstorm wegen sexueller Belästigung einzuhandeln. Außerdem erging es mir gerade wie ihr. Am liebsten hätte ich mich wie ein Fünfjähriger auf den Boden geworfen und einen Tobsuchtsanfall bekommen.
Eine Woche?
Eine Woche mit der Ice Queen in der verdammten Wildnis?
Mit Mühe schaffte sie es, die Balance zu halten, dann schoss sie mir einen Blick zu, für den sie einen Waffenschein beantragen müsste. Ich zuckte mit den Schultern und trat zur Sicherheit einen Schritt zurück.
"Sorry, ich möchte dich nicht unsittlich berühren."
"Idiot!" Die Ice Queen stapfte davon. Dorthin, wo ihr neongelber Rucksack auf dem Waldboden lag. Neongelb? Wer zur Hölle kaufte eine solche Farbe? Man brauchte eine Sonnenbrille, wenn man nur in die Richtung schaute, in der das Teil sich befand. Jede Aussicht darauf, sie in der Wildnis zu verlieren, verschwand. Mit dem Ding konnte man sie aus dem All sehen.
"Zieh andere Schuhe an." Der freundliche Rat kam von Big Bear, der Mann hatte einen Heiligenschein verdient, so viel war schon jetzt klar.
"Genau das habe ich vor." Die Ice Queen wühlte in der gelben Monstrosität. Jede Wette, außer High Heels hatte sie garantiert ein weiteres Paar Designerschuhe dabei. Tatsächlich. Sie zog ein Paar von diesen Stiefelchen heraus, die nur bis zum Knöchel gingen. Ich musste mich zurückhalten, um nicht laut loszulachen. Hauchdünnes Leder, Pfennigabsätze, die mindestens acht Zentimeter lang waren, wenn nicht mehr. Dazu Fransen. Genial!
"Keine Wanderschuhe?" Der Indianer verschränkte die Arme vor der Brust und sah nach unten.
"Doch. Ich kann sie nur nicht finden." Ihr Kopf verschwand erneut in dem gelben Rucksack. "Ich muss sie vergessen haben." Die Ice Queen tauchte mit hochrotem Gesicht wieder auf. Sah ganz so aus, als sei es ihr peinlich, kein passendes Schuhwerk eingepackt zu haben.
"Mit den Stiefelchen wirst du nicht weit kommen", mischte ich mich in die Unterhaltung ein. In meiner Stimme genau die richtige Mischung aus Besorgnis und freundlicher Anteilnahme.
"Ich war gestresst heute Morgen."
"Wer war das nicht?" Ich wippte von den Fußballen nach hinten. "Ich habe gestern Abend meine Sachen gepackt", informierte ich sie und verkniff mir ein schadenfrohes Grinsen.
"Du hast deine Sachen gepackt. Haha. Jede Wette, deine Haushälterin hat dir alles schön zusammengefaltet in deinen Rucksack gelegt."
"Und wenn schon? Ich plane zumindest soweit voraus, um ihr die Anweisung geben zu können, was sie zu tun hat."
"Gib mir die Schuhe." Big Bear streckte die Hand aus. Die Ice Queen stand auf und reichte sie ihm zögerlich. Mit gerunzelter Stirn drehte der Indianer die Stiefel in seinen Händen. Knacks! Der eine Absatz war ab. Dann folgte der Nächste.
"Bist du verrückt? Das sind Burberrys. Die haben mich ein Vermögen gekostet!" Die Ice Queen sah aus, als sei sie kurz davor, einen Herzinfarkt zu bekommen.
"Jetzt kannst du darin laufen. Für einen Tag, oder auch zwei."
Ja, länger würden die Dinger nicht halten, da musste ich ihm recht geben. Das Grinsen, das sich auf meinem Gesicht ausbreitete, konnte ich nicht mehr unterdrücken. Zur Hölle, ich wollte es nicht unterdrücken, dazu machte mir die Sache viel zu viel Spaß. Mit ein bisschen Glück würde sie das Ganze abbrechen müssen. Mein Grinsen verschwand, als ich daran dachte, dass ich hier war, um mich mit Sam Fox zu versöhnen. Bisher hatte ich eher das Gegenteil erreicht.
Ich kann das, sagte ich mir in Gedanken. Ich bin ruhig, gelassen und freundlich. Genau. Ich würde sie nicht an mich heranlassen, mich nicht über ihre zickigen Kommentare ärgern, sondern von nun an in jeder Situation lächeln, ihr Recht geben und den vollendeten Gentleman spielen.
Kein Problem.
2
Sam
Was für ein eingebildetes Arschloch! Ich funkelte Andrew wütend an. Er grinste, verschränkte die Arme vor der Brust und wartete darauf, dass ich meine Stiefel anzog – oder das, was davon übrig geblieben war. Ich wusste schon jetzt, ein paar Kilometer und ich würde handtellergroße Blasen haben, all das nur wegen des Idioten, der vor mir stand und das Schauspiel genoss.
Wenn der Typ dachte, wir würden in dieser Woche Freunde werden, hatte er sich getäuscht.
Ich zog die Schuhe an und ging ein paar Schritte. Es fühlte sich an, als hätte ich Wippen unter den Füßen. Die Sohlen waren geschwungen, wegen der Absätze. Jetzt, nachdem die circa zehn Zentimeter langen Stelzen unter meinen Fersen fehlten, konnte ich kaum laufen.
"Hier, ich hab noch ein Extrapaar dabei. Vielleicht passen sie dir ja", sagte jemand mit sanfter Stimme in meinem Rücken. Ich drehte mich um. Hinter mir stand die ältere Frau, die im Bus zwei Reihen vor mir gesessen hatte, und lächelte mich freundlich an. In ihrer Hand ein Paar Turnschuhe.
"Du bist meine Retterin", sagte ich.
"Ich habe Größe neununddreißig. Ich hoffe, sie passen", sagte sie. "Ich heiße übrigens Mary", fügte sie hinzu.
"Samantha, aber meine Freunde nennen mich Sam", sagte ich. "Ich trage normalerweise vierzig, aber es wird schon gehen. Alles ist besser als das." Ich deutete auf die Überreste meiner Stiefel. "Ich kann nicht glauben, dass ich vergessen habe, andere Schuhe einzupacken", gab ich kleinlaut zu.
"Ach, wir haben doch alle viel um die Ohren, da kann das schon mal passieren", sagte Mary gutmütig und drückte mir ihre Schuhe in die Hand.
"Bist du sicher, dass du sie nicht brauchst?"
"Absolut. Ich hatte sie nur eingepackt, falls ich Ersatzschuhe benötige."
"Das könnte immer noch passieren."
"Falls dieser Fall eintritt, wird uns schon noch was einfallen."
"Okay, vielen Dank. Du hast mir das Leben gerettet."
"Kein Problem." Mary winkte ab. "Wir sind doch da, um einander zu helfen. Darum geht es schließlich bei einem Survival-Training. Man lernt, sich gegenseitig zu unterstützen, wenn man überleben will." Mit diesen weisen Worten drehte sie sich um und ging. Ich schaute ihr nach. Natürlich war es mein Glück, dass ich ausgerechnet mit der Person, der ich am wenigsten vertraute, auf einen solchen Kurs geschickt wurde.
"Wir gehen jetzt. Jeder zusammen mit seinem Partner. Achtet darauf, ein Team zu sein. Passt auf euren Partner auf, helft ihm, wenn nötig. Das Gelände ist anspruchsvoll. Das ist kein asphaltierter Weg, den wir nehmen, sondern kaum mehr als ein Pfad. Wir wandern Richtung Süden, etwa drei Stunden vor Einbruch der Dunkelheit werden wir ein Lager aufschlagen. Dort lernt ihr, wie man Feuer macht, einen Unterschlupf für die Nacht baut und was man in der Wildnis essen kann."
Prima. Eine Wanderung in Turnschuhen, die mir eine Nummer zu klein waren. Das war zwar immer noch besser, als meine ruinierten Stiefeletten zu tragen, trotzdem freute ich mich nicht darauf. In den drei Stunden würde ich mir bestimmt Blasen holen, denn Marys Schuhe waren eindeutig zu klein. Ich unterdrückte ein Seufzen. Es war meine eigene Schuld. Ich hätte tatsächlich früher packen sollen, ganz wie Mr. Superschlau gesagt hatte. Wenn ich nicht so sehr damit beschäftigt gewesen wäre, das bevorstehende Seminar weit in die Tiefen meines Bewusstseins zu verbannen und jeden Gedanken daran sofort zu unterdrücken, hätte ich genau das auch getan.
Vor uns bildeten sich Pärchen,