Die vier Weltteile. Hanno Millesi. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hanno Millesi
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783903005716
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auch zum Körper.«

      Anstatt hervorzukehren, dass er recht behalten hatte, stellte Iggy das mit einer merkwürdigen Gelehrigkeit in der Stimme fest, als mache er eine kluge Persönlichkeit nach, oder eine solche, die erst noch aus ihm werden müsste, spreche schon mal probehalber aus einem, ihm selbst nur fallweise zugänglichen Bereich seines Innersten.

      »Ist das ein Märtyrer?«

      Konrads Frage überraschte mich, und zwar weil es kurz den Anschein hatte, als stelle er sie jenem imaginären Weisen, der sich eben aus Iggy gemeldet hatte, und nicht mir, dem Erwachsenen, geschweige denn der klugen Wanda.

      »Das ist der Heilige Sebastian«, antwortete ich und begriff, warum es Konrad in manchen Momenten vorzog, die Welt von dem bloß ein paar Jahre älteren Iggy erklärt zu bekommen anstatt von einem Erwachsenen. Gewisse Inhalte hören sich, wenn sie erläutert werden, aus erwachsenen Mündern in Kinderohren gelegentlich wohl wie aus einer unüberbrückbaren Entfernung gesprochen an.

      »Se-bas-sti-an«, skandierte Tessa, die inzwischen ebenfalls eingetroffen war, und trat bei jeder Silbe auf eine Fuge wie bei einem rustikalen Tanz, der mir die Bauern in Erinnerung rief, an denen ich eben vorbeigelaufen war.

      »Das war ein römischer Soldat, der zum Tode verurteilt wurde, weil er in den Augen des Königs der falschen Religionsgemeinschaft angehörte.«

      Emily: »Welche Religion war das?«

      »Das spielt im Grunde keine Rolle«, antwortete ich, obwohl mir klar sein musste, dass das ganz danach aussah, als wüsste ich es nicht.

      »Und warum ließ der König ihn dann mit den Pfeilen beschießen?«, wollte Konrad wissen.

      »Weil Sebastian sich nicht bereit erklärt hat, zuzugeben, dass er falsch lag.«

      »Nur deshalb?«

      Ich fragte mich, ob Konrad das Beharren auf einem Standpunkt, zumal er von seiner Richtigkeit gar nicht hundertprozentig überzeugt zu sein schien, für eine Art Schutzmechanismus hielt – zumindest soweit es ihn als Kind betraf.

      »Und weil er seine Freunde und Freundinnen nicht hatte verraten wollen.«

      »Dafür hat er den Tod verdient«, kommentierte Iggy, und die eigenartige Aura, die seine vorangegangenen Worte umgeben hatte, sorgte dafür, dass mir nicht ganz klar war, ob das ein Kompliment in Richtung des Protagonisten des Bildes sein sollte oder ob Iggy tatsächlich der Meinung war, unter diesen Umständen handle es sich um eine gerechte Strafe.

      »Hat ihn das zum Märtyrer gemacht?«

      Ich bewunderte Konrad für die Hartnäckigkeit, mit der er entschieden hatte, einem Begriff, den er in letzter Zeit öfter gehört haben dürfte, bei dieser Gelegenheit auf den Grund zu gehen, und nunmehr an diesem Beschluss festhielt. Hier und jetzt war für Konrad der Moment gekommen, ein Rätsel zu lösen, auf das angesprochen Erwachsene bisher zumeist hinter vagen Andeutungen in Deckung gegangen waren, älteren Kindern vergleichbar, wenn einer wie Konrad von ihnen die Bedeutung von Begriffen wie Shoppen, Sex oder Komaglotzen hätte wissen wollen.

      »Ja, in gewisser Weise hat ihn das dazu gemacht.«

      »Was denn, dass man mit Pfeilen auf ihn geschossen hat?«

      Tessa hatte offenbar sämtliche Fugen in ihrer Umgebung zu Tode getrampelt.

      Überraschend meldete sich Emily zu Wort: »Nein, weil er sich nicht gewehrt hat, als man ihm das angetan hat.«

      Ich hatte befürchtet, dass das nicht einfach werden würde.

      »Nicht direkt, sondern eher, dass er nicht bereit war, bestimmten Überzeugungen zuwiderzuhandeln, obwohl ihm diese Strafe angedroht wurde.«

      Ich hatte den Eindruck, diese Erklärung wäre mir einigermaßen gut gelungen.

      »Bestimmten was …?«

      Diese Frage kam von Wanda, deren Häme sich ein unschuldiges Gesichtchen aufgesetzt hatte, als räche Wanda sich für ihre eigene Feigheit in derart brenzligen Situationen. Da ich es nun mal gewagt hatte, vor den Fragen der Kinder nicht davonzulaufen, sollte ich sie gefälligst auch bis ans Ende des Weges begleiten. Meinetwegen.

      »Überzeugungen, wie es beispielsweise unsere Überzeugung ist, die Anweisungen des Sicherheitspersonals zu befolgen.«

      Das mochte nun, zugegebenermaßen, nicht gerade überzeugend ausgefallen sein, reichte jedoch aus, um anzudeuten, dass ich entschlossen war, das Beste aus der gegenwärtigen Situation zu machen.

      »Warum haben sie ihn an eine Säule gebunden und nicht an einen Marterpfahl, wie das bei den Indianern üblich ist?«, wollte Konrad wissen, und obwohl eigentlich ich für Indianerangelegenheiten zuständig war, ergriff Emily das Wort.

      »Das hat damit zu tun, dass wir in einem Museum sind und nicht im Wilden Westen. In einem Museum muss es eine Säule sein.«

      »Ist diese Säule das Überbleibsel eines Museums?«, bohrte Konrad weiter.

      Iggy kicherte.

      »Ich wäre lieber einer der beiden Männer da hinten auf der Straße«, sagte Tessa und stampfte ein paar Mal auf, als hätte sich unter ihrer Fußsohle eine Fuge geregt. Am linken Rand des Gemäldes waren zwei winzige Figuren als Rückenansichten dargestellt, die sich in einiger Entfernung zu Sebastian befanden und auf ein im Hintergrund sichtbares Gewässer zugingen.

      »Das sind doch mit Sicherheit die, die auf ihn geschossen haben«, gab Iggy zu bedenken.

      Tatsächlich konnte man bei genauerem Hinsehen erkennen, dass die beiden mit Pfeil und Bogen ausgerüstet waren. Tessa war das gar nicht aufgefallen, sie dachte offenbar nur daran, das Museum hinter sich zu lassen. Das, was sie als die Ruine eines Museums auf dem Gemälde identifiziert zu haben glaubte, sowie jenes Museum, in dem wir – so viel schien sie mittlerweile verstanden zu haben – vorläufig festsaßen.

      »Die zwei sehen aber trotz Pfeil und Bogen nicht aus wie Indianer«, stellte Konrad fest.

      »Sebastian soll das übrigens überlebt haben«, sagte ich, um unser Gespräch auf etwas Positives zu lenken.

      »War das seine Belohnung?«

      Gegen ein Happy End hätte Emily, hätten wir alle nichts einzuwenden gehabt.

      »Im Gegenteil«, das war Wanda, »Dieser Märtyrer ist vor den König getreten und hat ihm eine lange Nase gezeigt …«

      An dieser Stelle wurde Wanda von Emily unterbrochen (»Der mit dem Turm?«), schüttelte jedoch bloß den Kopf und fuhr fort: »… woraufhin der König ihn ein weiteres Mal zu töten versuchte, und zwar mit Knüppeln.«

      Diese Geschichte kannte ich gar nicht. Ich fragte mich, ob Wanda sie nicht eben erst erfunden hatte, um den Kindern eine bittere Lektion in Sachen Wirklichkeit zu erteilen.

      »Der Mann hat regelrecht darauf bestanden, getötet zu werden. Das erst ließ einen Märtyrer aus ihm werden.«

      »Warum hat er eigentlich nichts an?«

      Emily fragte das niemand Bestimmten. Sie fragte in unser aller Namen und – nahm ich an – in der Absicht, Wanda vom Thema Töten und Getötet-Werden abzubringen.

      »Er ist mit seinen Wunden bekleidet.«

      Intuitiv hatte Tessa verstanden, worauf Emily hinauswollte.

      »Damit jeder sehen kann, was er über sich hat ergehen lassen.«

      Wanda schien entschlossen, so gut wie alles gegen den Heiligen zu verwenden.

      »Mit den Knüppeln hat es dann schließlich auch geklappt. Zuallerletzt wurde Sebastians Leichnam in den Abwasserkanal geworfen.«

      »Pfui!«

      Konrad verhielt sich als einziger von uns Wanda gegenüber wie ein dankbares Publikum. Ich hingegen machte mir ernsthafte Sorgen, ob nicht etwa eine Todesahnung von Wanda Besitz ergriffen hatte, mit der früher oder später unangenehme Folgen für unsere gesamte Gruppe verbunden