Die Ahnungslosen. Wolfgang Popp. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Wolfgang Popp
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783990650004
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wichtiger ist, als dass diese Frau mich mag. Und da fällt mir Earl Darkgrey ein, wie er gemeint hat, er möchte reden können, als würde er singen, und erzähle in Strophen, dass ich vom Tellerwaschen bis zum Rasenmähen alles gemacht habe, und im Refrain von meiner Musik.

      »Ich bin also flexibel«, sage ich.

      »Wann können Sie anfangen?«, fragt sie.

      »Jederzeit«, sage ich.

      Auf dem Heimweg behandelt mich die Stadt mit einem Mal anders. So, als würde ich jetzt dazugehören. Legt mir den Arm um die Schulter, zeigt mir übersehene Abzweigungen und versteckte Hinterhöfe und sagt dem Himmel: »Eine Spur mehr Blau für unseren Neuzugang«, was er auch prompt macht. Als ich mein Haustor aufsperren will, zieht mich die Stadt zurück. »Das war’s?«, fragt sie beleidigt, »schon genug gesehen?« Recht hat sie, was soll ich daheim. »Gut«, sage ich deshalb, »stell mich den anderen auch noch vor!«

      Erst in der Dämmerung komme ich nach Hause, schiebe mir die Matratze ans Fenster und schaue dem Himmel beim Dunkelwerden zu. Tagträumen geht am besten, wenn es bald Nacht wird.

      Irgendwann weckt mich die Sirene eines vorbeifahrenden Rettungswagens. 21.47, sagt auf Knopfdruck mein Telefon, und ich ziehe mich an.

      Ein paar Meter vor den Drei Giraffen fällt mir eine Toreinfahrt auf, und einem spontanen Impuls folgend biege ich ab und gehe hinein in den Hinterhof, und da stehen drei Männer neben einer Metallltür, die aussieht wie der Hintereingang zur Küche, und rauchen. Ich erkenne sie gleich, die Tellerwäscher und Küchengehilfen, an ihren nassen Schürzen und den Haarnetzen, die sie noch aufhaben oder in der Hand halten. Einer, der an der Wand lehnt, wirft ein Wort in die Luft, und der neben ihm fängt es auf und beginnt ansatzlos seinen Rap, und gleich darauf sticht auch den Dritten der Rap, und Unkraut und aufgesprungener Asphalt werden zum Dancefloor und Tellerwäscher Nummer 1 zur Beat-Box, und fertig ist die Welt in der Welt. Dann entdecken sie mich, winken mich herüber, halten mir die Tür auf in ihr Universum, als könnten sie wittern, dass auch ich meine Zeit mit schmutzigen Tellern hatte, und ich klatsche mich hinein, lege eine zweite Rhythmusspur und bekomme als Dankeschön ein Nicken und dann sogar eine Strophe: »… we don’t bother ’bout an unknown brother, if he clasps the beat like the wind in the shutter …« Echt fix, die Burschen. Dann wird es Zeit, der Neugier Platz zu machen. Die Box lässt die Beats ausbröseln, und wir tauschen unsere Wohers und Wohins, unsere Schicksale so ähnlich, dass sie den Schulterschluss üben wie eine Football-Mannschaft vor dem Free Kick. Da haucht der Tänzer auf einmal ein »Silence«, und »still!« sagen auch seine Hände, die er der Luft wie einem großen Hund beruhigend auf den Rücken legt. Ich habe keine Ahnung, was er vorhat, aber wir alle erstarren wie Die Tellerwäscher von Rodin, genauso sehen wir aus oder würden wir aussehen, wenn Rodin jemals Tellerwäscher modelliert hätte. Eine gefühlte Ewigkeit stehen wir wie angewurzelt da, dann geht das Licht aus, das anscheinend über einen Bewegungsmelder funktioniert. Ich habe noch immer keine Ahnung, was jetzt kommt, doch da beginnt der Tänzer plötzlich einen Moonwalk, gleitet dahin wie dereinst Michael Jackson, aber in Superzeitlupe, so etwas habe ich noch nicht gesehen. Der Rapper starrt abwechselnd auf sein Handydisplay, seinen moonwalkenden Freund und die Glühbirne über dem Kücheneingang und bewegt dabei lautlos die Lippen, als würde er mitzählen. Dann flackert die Glühbirne plötzlich auf, und der Moonwalker schaut fragend zum Rapper, der reckt die Faust in die Luft und sagt: »Fucking hell!«, sagt: »8:43«, und: »neuer Rekord«, und da kapiere ich. Jacko fingert sich zur Selbstbelohnung eine Zigarette aus der Hosentasche, steckt sie sich trocken in den Mund, dafür streicht der Rapper sein Zippo an, und im nächsten Moment macht Jacko aus dem Stand einen Salto, dass ihm sein Haarnetz vom Kopf fliegt, und landet so vor dem Rapper, dass er seinen Kopf nur noch leicht auf die Seite drehen muss, und schon zerschneidet seine Zigarette wie Zorros Degen die Zippoflamme.

      Was für ein Tag!, glaube ich mein Glück nicht. Nachdem mir die Stadt tagsüber schon ihr Lied vorgepfiffen hat, landet sie jetzt vor meinen Füßen. Alle heiligen Zeiten einmal ist man für fünf Minuten unbesiegbar, und diese fünf Minuten muss man ausnutzen, weil sich in ihnen entscheidet, wie es weitergeht im Leben, und das meist auf Jahre hinaus. Also nichts wie hinein.

      Der Chef lehnt an der Bar und nippt an einem Whisky. Er sieht aus, wie Jacko ihn mir beschrieben hat. Groß, schlank, schwarzer Anzug und weißes Hemd und mit einer Glatze, die genauso glänzt wie seine Schuhe. Also eigentlich hat Jacko ihn Schuhkopf genannt, und als ich ihn fragend angesehen habe, ist er sich, begleitet von dem Lachen seiner Kollegen, wie wild mit der Hand übers schon lange wieder aufgesetzte Haarnetz gefahren, so als würde er seinen Schädel auf Hochglanz polieren.

      Als ich den Drei-Giraffen-Boss begrüße, gibt er mir zwar die Hand, sieht mich dabei aber an, als wisse er nicht, was das soll. Ich schätze ihn auf Anfang vierzig, und weil ich gerade unbesiegbar bin, schüchtert mich sein Gehabe nicht einmal ansatzweise ein.

      Ich sage ihm, dass ich Musiker bin, erst seit wenigen Tagen in der Stadt, und dass ich davor zehn Jahre in den Staaten gelebt habe. L.A. und Portland, Oregon, füge ich hinzu, als wären die beiden Städte meine Adelstitel.

      »Und jetzt suchst du ein Lokal, in dem du auftreten kannst«, sagt der Chef, und ich werfe ein »Ge-nau!« in die Luft und mag, wie es sich dreht und glitzert im Licht der Bar. Ein bisschen freut er sich auch, aber abgebrühter, so als sähe er das öfter, und zieht mit dem Finger einen Kreis in der Luft und ich greife in meine Tasche und drücke ihm meine vorletzte Demo-CD in die Hand.

      »Hör ich mir an«, sagt er, und seine Stimme geht dabei hinunter, als hätte er sich von mir verabschiedet.

      Ich bleibe einfach neben ihm stehen, sehe zu, wie er meine vorletzte CD neben sein Whiskyglas legt, seine Schulter, die mir sonst vielleicht kalt vorgekommen wäre, hier und jetzt aber einfach nur eine Schulter ist, auf meiner Augenhöhe.

      »Ist noch etwas?«, fragt er mich.

      »Ja«, sage ich, »warum Drei Giraffen

      »Kenne ich gut«, sagt Karoline, »der Chef kauft die Einlegeblätter für seine Tagesmenüs bei mir.«

      »Bei uns«, sage ich, und dann gehen wir zu den Regalen, und sie zeigt mir die Unterschiede zwischen japanischem Reispapier und Büttenpapier aus Fabriano, zwischen beinahe durchsichtigem Papier aus Nepal und handgeschöpftem Papier aus Blankenberg, so fest, dass man den Bogen wie ein Brett gegen die Wand lehnen kann. Ich schreibe genau mit im Kopf. Nicht nur für den Job, auch für einen möglichen Paper Song. Und nach meinem ersten Arbeitstag, der wie im Flug vergeht, trinken wir zusammen ein Glas Wein.

      Und das machen wir von da an ziemlich regelmäßig.

      Wir sind beide eher spröde, haben aber eindeutig den gleichen Humor. Wenn wir lachen, dann zur gleichen Zeit und über die selben Dinge. Und dabei klingen wir auch so ähnlich, dass unser Lachen verschmilzt. Ich weiß nicht, ob irgendetwas mehr verbindet als so ein Moment, in dem man die eigene Stimme nicht mehr von der des anderen unterscheiden kann.

      »Lachgemeinschaften?«, fragt Karoline.

      »Ja«, sage ich, »kein Scherz. Hat es gegeben.«

      Die Geschichte habe ich einmal gelesen und, weil sie so unglaublich war, auch behalten.

      »Das waren Geheimgesellschaften«, sage ich, »mitten im Barock, die verbotene Texte gelesen und gemeinsam über sie gelacht haben. In den Texten wurden auf Teufel komm raus Gott und die Heiligen verspottet, und wenn man die Mitglieder bei diesem blasphemischen Treiben entdeckt hätte, wären sie allesamt auf dem Scheiterhaufen gelandet.«

      Eine Woche später sind wir wieder gemeinsam aus. Wir trinken schneller als die Male zuvor und auch mehr und lachen auch lauter. Und da sagt Karoline plötzlich wie aus dem Nichts, das Lachen sogar noch in der Stimme: »Und vor drei Wochen hat mich mein Freund verlassen.«

      »Das ist noch nicht lange her«, sage ich, mit vom Lachen noch feuchten Augen, meine Stimme aber ernst, von ihren Worten gegen die Wand gefahren.

      »Lange genug«, sagt sie, schiebt einen Geldschein unter ihr noch nicht ganz leeres Glas, nimmt meine Hand und zieht mich hoch von meinem Stuhl, zieht mich quer durchs ganze Lokal und die Straße hinunter