Die Ahnungslosen. Wolfgang Popp. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Wolfgang Popp
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783990650004
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und sie hatte breit, aber stumm mitgelacht, so dass Alf, der mit dem Rücken zu ihr saß, ihr Lachen nicht hören konnte.

      Ein Sandhai starrte leer ins Leere, und Kri fiel das alte Werlacht-zuerst-Spiel ein. Sie war gut darin gewesen. Sehr gut sogar. Wenn sie nicht wollte, konnte sie keiner zum Lachen bringen. Hin und wieder ließ sie aber doch einen gewinnen, weil sie gerne sah, wie ihr Lachen wirkte, wie sie gewann, auch wenn sie verlor.

      Kri waren die Blicke der anderen immer bewusst gewesen. Selten, dass man sie einmal aus den Augen ließ. Irgendeinen gab es immer, der sie unverhohlen oder verstohlen anstarrte. Alf hatten sie zwar immer wieder mit ihren Blicken unten am Boden, wo er mit seinen Käfern saß, festgenagelt, dann aber auch wieder für Stunden völlig ignoriert. Was für ein anderes Leben das war, dachte Kri, wenn man nicht die ganze Zeit über beobachtet wurde. Welch andere Beweglichkeit man da entwickeln konnte und wie viel Platz man für sich hatte.

      Im Roten-Meer-Becken knabberten drei gelb und blau schimmernde Papageienfische an einem Korallenstock, und Kri versetzte es einen Stich. Genau solche hatte sie damals beim Schnorcheln gesehen und sich gewundert, wie gut man dieses knirschende Geräusch unter Wasser hören konnte. Ägypten war ihr letzter gemeinsamer Familienurlaub gewesen, ohne das geringste Anzeichen, dass irgendetwas nicht stimmte. Und dann, kaum dass sie wieder daheim waren – Kri räumte tatsächlich gerade die Koffer aus –, kam Christian zu ihr und gestand ihr seine Affäre mit Lara. Er habe alles versucht die letzten zwei Wochen, sagte er, die ganze Zeit in Ägypten über nicht mit Lara telefoniert und auch versucht, nicht an sie zu denken, aber es gehe einfach nicht mehr. Kri war aus allen Wolken gefallen. Für sie war es der perfekte Urlaub gewesen. Sie und Christian hatten einander beim Schnorcheln die an den Korallen knabbernden Papageienfische gezeigt, sich von der Begeisterung des anderen anstecken lassen und sich sogar geliebt unter Wasser. Ausschließlich unter Wasser, war ihr im Rückblick aufgefallen, versteckt hinter ihren Tauchermasken und ohne sich zu küssen, weil sie die Schnorchel im Mund hatten.

      Für sie hatte sich der Ägypten-Urlaub wie der zweite Beginn ihrer Ehe angefühlt und nicht wie ihr Ende. Das Rote Meer war für sie seit damals so etwas wie das Paradies vor dem Sündenfall gewesen. Unter Wasser war die Welt noch in Ordnung. Sobald man aus dem Wasser stieg, war es aus mit dem Leben im Schweben.

      In diesem Moment entdeckte Kri den Kraken. Er saß auf dem kiesigen Grund und blickte sie mit großen weisen Augen an. Der Blick erinnerte sie an Gandalf aus den Herr-der-Ringe-Filmen. Ganze Sonntage hatte sie unmittelbar nach der Trennung von Christian mit den Kindern vor dem Fernseher verbracht. Bei zugezogenen Vorhängen eine DVD nach der anderen eingelegt und in dieser Welt mit ihren menschenhohen Farnen und knolligen Trollen, mit den wüsten Orks und dem beruhigenden Blick Gandalfs gelebt, weil es dort nichts gab, was sie an die Wirklichkeit erinnerte. Und der Krake da vor ihr, seine Augen, in denen steckte diese fremde Welt, der sah aus wie ein Botschafter aus Mittelerde, das erste Tier, von dem Kri wissen wollte, was es dachte.

      Mit einem Mal kam Bewegung in den Kraken. Er drehte sich um die eigene Achse und schwamm mit raschen Stoßbewegungen seiner acht Arme in Richtung Wasseroberfläche davon. Kri kauerte sich hin, um dem Tier unter einem Korallenstock hindurch hinter-hersehen zu können. Schemenhaft war dort oben ein Mensch zu erkennen. Jetzt streckte er die Arme ins Wasser, und der Krake spürte nach ihnen, umschlang sie und saugte sich an ihnen fest. Die Umstehenden bekamen davon nichts mit, nur die am Boden hockende Kri wurde Zeugin dieser berührenden Berührung, dieser Begegnung der zweiten oder dritten Art, diesem Fenster zum Roten Meer in ihr.

      Schiffbruch

      Flo nennt Martha eine Hexe. Nicht boshaft, er hat dabei immer ein Grinsen auf den Lippen. Trotzdem merkt man, dass sie ihm nicht ganz geheuer ist. Martha putzt seit drei Jahren bei uns, kommt jeden Mittwoch für fünf Stunden. Deshalb laden wir Gäste auch meist für Mittwochabend ein, wenn die Wohnung aussieht wie aus einem Lifestyle-Magazin. Egal wer uns besucht, jedem fällt auf, wie alles glänzt, und wir schwärmen dann von Martha, und Flo bringt seinen Spruch mit der Hexe an. Das macht unsere Gäste natürlich neugierig, und Flo lässt es sich dann auch nicht nehmen, die eine oder andere Anekdote über Martha zu erzählen. Was immer für gute Stimmung sorgt. Oft fragen unsere Freunde, ob wir ihnen Martha nicht weitervermitteln könnten, aber ich sage dann jedes Mal, sie sei völlig ausgelastet, weil ich gar nicht daran denke, eine Perle wie Martha mit anderen zu teilen. Dass ihr in regelmäßigen Abständen Dinge zu Bruch gehen, stört uns nicht weiter. Das macht sie nur noch schrulliger, und Flo ist ziemlich gut darin, ihre kleinen Missgeschicke mit witzigen Pointen zu versehen und so zum Besten zu geben.

      Martha kommt aus Rumänien, glaube ich, oder aus der Ukraine, irgendwas im Osten, und sie sieht aus, als sei sie schon immer alt gewesen. Sie spricht auch ein ziemlich seltsames Deutsch mit verschachtelten Sätzen, in denen immer wieder Wörter auftauchen, die bei uns niemand mehr sagen würde. Ähnlich ist es auch mit ihrem Gewand. Martha trägt immer dasselbe Kleid, das mich an alte Märchenbücher erinnert. Großmütter oder Marktfrauen haben dort solche Kittel an, aus einem Stoff so dick und fest, als müsste er ewig halten, und einem Muster wie ein alter Couch-Bezug. Als ich Martha einmal nach ihrem Kleid fragte, erzählte sie mir, dass es von ihrer Mutter stammte.

      »Sie ist gestorben in diesem Kleid«, sagte Martha, und dabei zog sie das O in die Länge und rollte das R, dass es sich anhörte, als würde sie gerade die Totenrede auf ihre Mutter halten. Als Flo von der Arbeit kam, erzählte ich ihm von Marthas Kleid, und als wir später mit unseren Gästen beim Abendessen saßen, baute er die Anekdote prompt in seine Hexengeschichte über Martha ein. Ich lachte zwar mit, es störte mich aber, dass er sich in so einer Sache über Martha lustig machte. Trotzdem sagte ich nichts, auch später nicht, als wir beide im Bett lagen und beschwipst darüber kicherten, dass Martha der Wasserkocher heruntergefallen war.

      Dass Flo Martha eine Hexe nennt, geht auf die Sache mit Mias Warzen zurück. Als Mia sechs war, sind die plötzlich aufgetaucht, erst nur an ihren Füßen, dann auch auf ihren Handrücken. Wir haben alles Mögliche versucht, sind zu sicherlich fünf Hautärzten gegangen, die ihr die unterschiedlichsten Salben verschrieben haben, und sogar zu einem chinesischen Heiler, der für sie einen Kräutertee zusammengestellt hat. Vier Wochen lang mussten wir sie überreden, diese schreckliche Brühe zu trinken, die so ekelhaft roch, dass ich mir beim Kochen die Nase zuhalten musste. Half alles nichts. Irgendwann erwähnte ich eher nebenbei Martha gegenüber Mias Warzen. Sie überlegte kurz und sagte dann, dass sie in der folgenden Woche ausnahmsweise am Donnerstag kommen würde. Als ich sie fragte warum, sagte Martha nur: »Vollmond«, mit zwei langgezogenen Os.

      Am folgenden Donnerstag richtete Martha sich ihre Zeit so ein, dass sie mit dem Putzen fertig war, als Mia aus der Schule kam. Wir aßen gemeinsam zu Mittag, doch danach meinte Martha, ich solle jetzt gehen, einkaufen oder einen Kaffee trinken. Ich sah fragend zu Mia hinüber, doch die setzte ihren Mama-sei-jetzt-bitte-nicht-peinlich-Blick auf, und so ließ ich die beiden eben allein. Als ich eineinhalb Stunden später nach Hause kam, sah ich von der Straße aus, dass Martha alle Vorhänge zugezogen hatte. Sie war nicht mehr da, dafür klebte an Mias Zimmertür ein Zettel, auf dem in schnörkeliger Handschrift stand: Muss schlafen, nicht aufwecken. Mias Tür quietscht leicht, deshalb traute ich mich nicht, zu ihr hineinzugehen, und warf nur einen Blick durchs Schlüsselloch. Es war aber völlig dunkel und ich konnte nichts erkennen. Als Flo aus der Arbeit kam, schlief Mia immer noch. Flo tat ganz entspannt und setzte sich mit der Zeitung ins Wohnzimmer, ich sah aber, wie nervös er war, weil er mehr raschelte und blätterte als zu lesen. Dann hielt er es nicht mehr aus, legte die Zeitung weg und stand auf. Ich folgte ihm, als er leise die Tür aufdrückte und in Mias Zimmer schlich. Es roch nach Wald und Wiese und auch ein wenig streng nach Erde und Pilzen. Mia lag wie aufgebahrt in ihrem Bett, die Hände und Füße in weiße Baumwolltücher gewickelt, das Gesicht etwas blass, kam mir vor, aber mit einem seligen Lächeln auf den Lippen. Flo hielt seine Hand nah an ihren Mund und nickte dann langsam. Ich tippte ihn an, und leise schlichen wir wieder hinaus. Am nächsten Morgen weckte uns Mia kurz nach sechs. Mit einem triumphierenden Ta-ta-ta-ta stand sie in der Tür unseres Schlafzimmers und hielt ihre warzenfreien Hände in die Luft.

      Das ist jetzt auch schon wieder ein Jahr her. Ein Jahr, in dem nicht viel passiert ist, bis ich vor drei Wochen in einer Zeitschrift die Anzeige für einen