Die Ahnungslosen. Wolfgang Popp. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Wolfgang Popp
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783990650004
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vollen Namen zu nennen, hörte er nicht auf damit. »Sei doch stolz auf deinen Namen«, hatte er einmal gesagt und sie danach lange und mit geschlossenen Augen geküsst, und während dieses Kusses war Zora eifersüchtig geworden, ohne sagen zu können warum.

      Was sicher stimmte: Der Erfolg war genau zu dem Zeitpunkt gekommen, als sie Fred kennengelernt und er mit diesem seltsamen Namensspiel begonnen hatte.

      Zoras Lesung war die Mitternachtsüberraschung auf einer privaten Geburtstagsfeier gewesen. Der alleinige Erbe einer großen Bierbrauerei, Ernst Münch, hatte mit Begeisterung eine Aufführung von Der Tag beginnt um Mitternacht gesehen und seine Frau hatte daraufhin ohne sein Wissen Zora für den Abend gebucht. Die Feier hatte in Münchs Penthouse stattgefunden, einer Dachgeschosswohnung mitten im Zentrum, mit Panoramascheiben auf die mächtige romanische Kuppel des benachbarten Doms.

      »Du hast dir nach deinem Auftritt die Nase am Fenster platt gedrückt«, sagte Fred.

      »Ich mag alte Kirchen.«

      »Schau an. Zora Gast findet über ihren Erfolg zum Glauben«, ätzte Fred, und Zora stieß ihn an, dass ihm das Glas überschwappte und er sich nach vorn beugen musste, damit seine Hosen keinen Fleck abbekamen.

      »Hey«, sagte Fred, stellte das Glas ab und schüttelte den Wein von seiner Hand.

      »Man spürt einfach«, redete Zora an seiner tröpfelnden Beschwerde vorbei, »dass die nicht nur für Geld geschuftet haben, sondern dass es denen um alles gegangen ist.«

      »Zora Gast – Es ging ihr um alles«, deklamierte Fred Leuchtbuchstaben in den Himmel über dem Hinterhof, ein Zirkusdirektor, der seine größte Attraktion ankündigte.

      »So könntest du eigentlich deine Memoiren nennen«, fügte er hinzu und hielt ihr sein Glas hin.

      »Jetzt lebe ich meine Memoiren erst einmal«, sagte Zora und trank, ohne mit ihm anzustoßen.

      Als Zora aufwachte, war das Bett neben ihr leer und aus der Küche roch es nach Kaffee. Sie griff zu ihrem Handy. Gleich zehn Uhr und fünf Anrufe in Abwesenheit, drei der Anrufer hatten eine Nachricht hinterlassen. Zora wählte die Nummer der Sprachbox, ließ sich zurück auf ihr Polster sinken und hörte mit Blick an die Decke die Nachrichten ab. Das Theater wollte wissen, ob sie sich schon entschieden hätte, man würde sie nämlich gern gleich in der nächsten Premiere einsetzen. Der Intendant eines kleinen Theaters, an dem sie einmal ein halbes Jahr lang für nicht einmal einen Hungerlohn gespielt hatte, gratulierte ihr zu ihrem Erfolg, aber mit einer Stimme, als hätte sie den Erfolg ihm zu verdanken. »Melde dich mal, ich hätte da eine interessante Sache für dich«, sagte die Stimme mit klebriger Gönnerhaftigkeit, und Zora merkte, wie wenig sie den Mann mochte und wie froh sie war, seine Nachricht bedenkenlos löschen zu können. Der dritte Anrufer war der Mitarbeiter eines Hörbuchverlags, der wissen wollte, ob sie Zeit hätte, einen Roman einzulesen.

      Zora schlüpfte in ihren Bademantel und ging in die Küche. Hier roch es außer nach frischem Kaffee auch nach Toast, und auf dem gedeckten Tisch standen ein Teller mit Käse, Weintrauben und Walnüssen und ein anderer mit Prosciutto, Salami und Oliven.

      »Wow«, sagte Zora und drückte sich an Fred, der am Herd stand.

      »Ein Ei?«, fragte er, und Zora nickte, den Kopf an seinem Rücken, sodass er das Nicken spüren konnte. Dann vibrierte das Smartphone in ihrer Bademanteltasche und Zora setzte sich an den Tisch, sah kurz auf das Display und drückte den Anrufer weg.

      »Wenn das so weitergeht, nehme ich mir wirklich einen Agenten.«

      Das Wasser begann mit diesem sich leise anschleichenden Insektensirren zu sieden. Fred nahm das Glas Orangensaft, das neben der Herdplatte stand, und drehte sich zu Zora.

      »Ich könnte das übernehmen«, sagte er.

      »Du?«

      Zora sah ihn erstaunt an.

      »Warum nicht?«

      »Du bist Computerexperte«, sagte Zora.

      »Ich kenne mich mit Netzwerken aus. Ich kann den Überblick bewahren. Überleg es dir«, sagte er.

      »Ich weiß nicht«, sagte Zora.

      Sie hatte gestern Abend länger mit der Frau gesprochen, die das Fest für Münch organisiert und auch sie engagiert hatte. Sie war ihr gleich am Telefon sympathisch gewesen. Ein Eindruck, der sich bestätigte, als sie ihr tatsächlich gegenüberstand. Kristine Matthis war eine, die wusste, was sie wollte, und gleichzeitig keine, die sich ihren Weg mit Ellbogen zu bahnen schien. Erfolg ja, aber nicht um jeden Preis. Entschlossen, aber nicht kalt. Gewitzt, aber nicht hinterhältig. So eine wie sie stellte sich Zora vor.

      »Ich will eine Frau als Agentin«, sagte sie.

      »Du machst einen Fehler.«

      Fred hörte sich an, als würde er die Sache persönlich nehmen. Er sah Zora mit einem Blick an, der gleichzeitig Angst hatte und Angst machte.

      »Lass es dir einfach noch einmal durch den Kopf gehen, Zora Gast, mehr will ich nicht, nur dass du dir die Sache gut überlegst. Ich bin das Beste für dich, weil ich an dich glaube, Zora Gast, so wie noch nie jemand an dich geglaubt hat, und weil ich weiß, wer du bist, wie es sonst keiner weiß.«

      Die gelbe Gießkanne

      Walt steht vor dem Geschäft seiner Schwester und tut, als sähe er sich das Schaufenster an. Tatsächlich schielt er immer wieder ins Ladeninnere und versucht, Raul zu entdecken. Was er aus Karoline über ihren Neuen herausbringen konnte, hat ihn neugierig gemacht: Gitarre, Übersee, Earl Darkgrey. Wenn nicht gut gelebt, dann zumindest gut erfunden. Jedenfalls nicht unsympathisch und vielleicht gar nicht so weit weg von seiner eigenen gloriosen Vita, denn Walt kommt als Künstler nur über die Runden, weil er an Volkshochschulen Zeichenkurse gibt. Bedenken hat Walt, weil seine Schwester bei der Auswahl ihrer Freunde nicht unbedingt das besitzt, was man ein sicheres Händchen nennt. Der vorletzte hat sie so offensichtlich ausgenutzt, dass Walt jedes Mal, wenn er sie gemeinsam gesehen hat, die Wände hinaufgegangen ist und danach den ganzen Heimweg gebraucht hat, um die Wände wieder herunterzukommen. Und was sie an dem letzten, diesem knapp am Wahnsinn vorbeischrammenden Nerd gefunden hat, ist ihm bis heute ein Rätsel. Zum Glück hat sich der rückstandlos aus dem Staub gemacht. Ist sang- und klanglos mit dem Sommer und dem Sommerfest verschwunden. Walt hat ihn beobachtet, wie er mit der anderen abgerauscht ist, und nichts gesagt. Eine tiefe innere Überzeugung hat seinem schlechten Gewissen den Mund zugehalten – und gut ist es gewesen. In Sachen Beziehung macht es durchaus Sinn, wenn Walt ein Auge auf seine Schwester hat. Besonders, weil Raul gleich bei ihr eingezogen ist. Das riecht nicht nur mit dem Wind nach Schmarotzer. Schaden tut es jedenfalls nicht, nach dem Rechten zu sehen, und deshalb steht Walt vor dem Laden seiner Schwester, lehnt am Schaufenster, die Hände links und rechts vom Gesicht, weil die Sonne herausgekommen ist und die Scheibe so spiegelt – der Spion, der seine Schwester liebte. Da taucht Raul auf, extrem plötzlich und unglaublich nah, und Walt rückt schnell weg von der Scheibe, schaut hinunter auf Schreibheft, Buntpapier und Block und spürt, wie Rauls Blick ihn an die Leine nimmt. Hebt er eben den Kopf und wundert sich gleich darauf, weil nicht nur über Rauls Gesicht vom einen Ohr zum anderen ein Grinsen zieht, sondern auch, weil Raul ihn gleich darauf hereinwinkt.

      »Definitiv anders als die anderen«, denkt Walt, mehr Denken geht sich nicht aus während der fünf Schritte hinein.

      »Walt«, sagt Raul, und da schwingt wenig, ja eigentlich gar keine Frage mit.

      »Sehe ich meiner Schwester so ähnlich?«, fragt Walt und hält Rauls Hand, statt sie zu schütteln. Wie der Punkt unter seinem Fragezeichen stehen die Hände in der Luft.

      »Karolines Kühlschrank.«

      Walts Augen sagen mit Großbuchstaben: »JA, KLAR!«, denn Karoline hat ihre Kühlschranktür mit Fotos zugepflastert. Kindheit, Eltern, Reisen, und eben auch Walt. Das Mosaik ihres Lebens.

      »Mitgekocht wird immer auch ein Happen Früher«, sagt Karoline zu jedem, der sie auf ihre Kühlschranktür anspricht, zurechtgelegt