Wer den biografischen Spuren Else Feldmanns nachgehen will, ist auf recht fragmentarische Wegmarken angewiesen: Meldezettel, Sterbeurkunden, Delogierungsprotokolle, einige wenige erhalten gebliebene Briefe; manche ihrer Zeitungsberichte und Feuilletons sind in Ich-Form geschrieben, sodass sich daraus vorsichtige Hinweise auf ihre eigene Lebensgeschichte anbieten. Sie wurde am 25. Februar 1884 in Wien als Tochter jüdischer Eltern geboren, als zweites von insgesamt sieben Kindern. Zweifellos ist Else Feldmann in bescheidensten Verhältnissen aufgewachsen; die Familie wechselte häufig die Adresse, wohl aus pekuniären Gründen, wir finden sie stets an der Peripherie der Stadt, in Arbeiterund Judenvierteln. Wenn sie später in ihren Zeitungsreportagen über das Leben von bedauernswerten Armenschülerinnen und das Elend von Fabrikarbeiterinnen schreibt, können wir annehmen, dass sie hier auf eigene Erlebnisse zurückgreift. Sie berichtet in ihren Sozialreportagen vom Wiener Kinderelend, vom Sterben im Spital, vom Vorfrühling im Wiener Armenbezirk, von Wärmestuben für die Bedürftigen, über die Ausgabe von Essensmarken für die öffentliche Volksküche und Kleidergeschenke durch Wohltätigkeitsvereine …
Für die Jahre bis 1910 fehlen fast alle Angaben über Else Feldmann. In seinem Tagebuch notiert Arthur Schnitzler am 7. Februar 1909, dass eine »Frau Feldmann, Budapest, um Übersetzungsrechte bei ihm angefragt« habe; die Vermutung liegt nahe, dass es sich hier um unsere Else Feldmann gehandelt hat, unterhielt sie doch zeitlebens Kontakte nach Ungarn – der Heimat ihres von dort zugewanderten Vaters – und war bis 1925, als sie das »Heimatrecht« in Österreich erhielt, nach Nyírbátor in Ungarn zuständig. Erst 1911 taucht sie im Meldearchiv der Stadt Wien auf: »Schriftstellerin, mosaisch, ledig.« Ihr erster bisher nachweisbarer, mit vollem Namen gezeichneter Zeitungsartikel erscheint 1912 in Dr. Blochs Wochenschrift. Zentralorgan für die gesamten Interessen des Judentums, über die alljährliche Sederfeier des Vereins – »Krankenbesuch« im Tempel des Allgemeinen Krankenhauses:
Sie waren alle gekommen, alle, die ihr Bett verlassen konnten. Es war eine traurige Gemeinde, welche das schlichte kleine Bethaus füllte. Die langen, bleichen, schleichenden Gestalten, in ihre Spitalskittel wie in Schicksalsgewänder gehüllt, mit bedeckten Häuptern. Neben alten, kranken, von der Not des Lebens gebrochenen Männern Jünglinge mit heißerregten Herzen, welche mit Demut Schmerzen ertragen; neben einem schwerkranken Familienvater, dessen treuer Begleiter schon seit einiger Zeit der Mann in der Narrenkappe ist, Knaben aus dem fernsten Galizien, verlassene Kinder, unschuldig Leidende – mit großen fragenden Augen … Aussätzige, die das Leben wie eine Pfütze nachschleift, und – hie und da ein helles, glücklicheres Gesicht, in dem sich wiederkehrende Gesundheit, neu erweckter Lebensmut verkündet. Hinter einem Vorhang die Frauen. Sie waren alle gekommen, die Wunder jener Nacht noch einmal zu vernehmen – und in ihren Gesichtern, diesen starren, bleichen, zerklüfteten Gesichtern lebt der alte Judenglaube, der unausrottbare, durch Jahrtausende eingebrannte Wunderglaube. O, Ihr lieben armen Menschen; o, Ihr Heimatlosen, Schmachtenden, Dürstenden – Ihr Kranken, Genesenden, Sterbenden – mögen sich immer mehr gute Menschen finden, die mit der Fackel der Menschenliebe in Euere Dunkelheit hineinleuchtend ein wenig Sonne, ein wenig Freude bringen – damit endlich – endlich auf die Frage ma nistani – warum ist ausgezeichnet – Antwort werde!
Else Feldmann
Ihrem Bericht schickt sie einen Appell an alle im Wohlstand lebenden Juden voraus, diesen Wohltätigkeitsverein nach Kräften zu fördern.
Um diese Zeit ist wohl auch ihr erstes Theaterstück Der Schrei, den niemand hört. Ein Schauspiel aus dem Ghetto in vier Akten entstanden. Mit gleicher Emphase schildert Feldmann hier die Enge und Bedrücktheit im Milieu der jüdischen Unterschicht ihrer Epoche und deren meist vergeblichen Versuche, sich zu emanzipieren. Sie hat das Manuskript ihres Stücks 1914 an den von ihr verehrten Arthur Schnitzler geschickt, mit der Bitte um Beurteilung. Ihr Begleitbrief ist erhalten geblieben. Ob eine Antwort erfolgte, wissen wir nicht.
Der Schrei, den niemand hört wurde vom 12. bis zum 24. Februar 1916 an der Freien Volksbühne in Wien uraufgeführt. An diesem 1912 eröffneten Theater des Vereins »Wiener Freie Volksbühne« waren der Direktor Arthur Rundt und der Dramaturg und Regisseur Berthold Viertel als Spielleiter tätig. Arthur Schnitzler war bei der Premiere des Stückes anwesend; in seinem Tagebuch notierte er lakonisch: »Frl. Feldmann, Der Schrei, den niemand hört, ein Ghettostück, ein paar gut gesehene Figuren.«
Auch im weiteren Verlauf ihrer schriftstellerischen Tätigkeit hat Feldmann immer wieder Arbeiten für die Bühne verfasst, ohne dass es je – zumindest nach unserem derzeitigen Wissensstand – zu Aufführungen gekommen wäre. 1927 finden wir im Feuilleton der Arbeiter-Zeitung als Teilabdruck Der Mantel. Komödie von Else Feldmann, nach Gogol und 1930 veröffentlichte Kunst und Volk. Mitteilungen des Vereins Sozialdemokratische Kunststelle ihr Libretto Ballett der Straße. Ein Entwurf für Jazzmusik.
Ab 1916 schreibt Else Feldmann Artikel in der Wiener Tageszeitung Der Abend (Serie Vom Jugendgerichtshof etc.), von 1918 an für das Neue Wiener Journal (Bilder von der menschlichen Seele, Wiener Kinderelend, Vorfrühling im Wiener Armenbezirk etc.). In einem ihrer Beiträge findet sich der Hinweis, sie schreibe an einer Tragödie des Hasses – vermutlich also ein Theaterstück, über dessen Schicksal nichts überliefert ist. 1921 erscheint ihre erste Buchveröffentlichung – der stark autobiografisch gefärbte Roman Löwenzahn. Eine Kindheit, der ihren Eltern gewidmet ist. Der Titel bezieht sich auf die einzige Blume, die arme Großstadtkinder jener Zeit – in Zinskasernen und dunklen Lichthöfen dahinvegetierend – auf einem Fleck verstaubten Rasens zu sehen bekamen.
Im selben Jahr brachte Feldmann – zusammen mit der ihr nahestehenden Übersetzerin und Sprachlehrerin Anna Nussbaum – Das Reisetagebuch des Wiener Kindes heraus: eine Sammlung von Briefen, Aufsätzen und Zeichnungen Wiener Schulkinder, die nach den Hungerjahren des 1. Weltkriegs Erholungsferien im Ausland erleben durften. Die Publikation enthält den Hinweis der beiden Herausgeberinnen, dass ein Teil der Erträge dieses Buches der Kinderausspeisung in Wien und der Fürsorge für tuberkulöse Kinder zugute kommen würde.
Ab 1923 schreibt Else Feldmann fast ausschließlich für die Arbeiter-Zeitung, in der im Jahre darauf in 41 Folgen Der Leib der Mutter als Fortsetzungsroman abgedruckt wird, mit Illustrationen des Malers und Grafikers Carry Hauser, der Feldmann und Nussbaum freundschaftlich verbunden war. Eine Buchausgabe kommt 1930 in ungarischer Übersetzung in Budapest heraus, im Jahr darauf eine deutsche Ausgabe im neugegründeten E. Prager Verlag. Die Nationalsozialisten haben den Roman 1938 auf die »Liste des schädlichen und unerwünschten Schrifttums« gesetzt.
Ihre zweite Buchveröffentlichung Liebe ohne Hoffnung erscheint 1928 bei der Büchergilde Gutenberg in Berlin; der Erzählband enthält 22 Geschichten, von denen mehrere bereits in Zeitungen vorveröffentlicht worden sind.
1930 wird ihr Roman Löwenzahn unter dem Titel Melodie in Moll neu aufgelegt. In diesen Jahren ist Else Feldmann bereits eine bekannte und anerkannte Erscheinung in der Literaturszene und im »Roten Wien«. 1933 ist sie Gründungsmitglied der »Vereinigung sozialistischer Schriftsteller«, die schon im Jahr darauf wieder aufgelöst wird.
Der Zwang der politischen Ereignisse, der unter anderem den Abschluss ihres in der sozialistischen Arbeiter-Zeitung abgedruckten Fortsetzungsromans Martha und Antonia verhindert – nach 78 Folgen erscheint am 11. Februar 1934 die letzte Fortsetzung, am folgenden Tag ist die »Sozialdemokratische Arbeiterpartei« mitsamt ihrer Presse verboten –, leitet den Untergang der Autorin und Person Else Feldmann ein. Sie verliert ihre wichtigste publizistische Plattform und somit auch ihre Haupteinnahmenquelle. In den folgenden Jahren gelingt es ihr zwar noch, einige ihrer Artikel und Kurzgeschichten bei anderen Zeitungen unterzubringen, aber die finanzielle Bedrängnis wird immer ärger. Die noch erhaltenen Spuren