In die Transitzone. Elena Messner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Elena Messner
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783903005976
Скачать книгу
der Sonne zu verstecken, das Kratzen auf der Haut, der leichte Geruch von Salz und Moder, auch das Morgenlicht, das ihn weiter blendete, obwohl er die Augen geschlossen hatte, das war ihm nun alles schon gleich.

       WASSERRINGE

      Die Haut des Mannes, der sich über ihn beugte, glänzte in der Sonne. Einige hellere kleine Flecke bildeten Muster auf den dunklen Wangen, vielleicht Narben aus der Kindheit. Nur seine Stirn war frei von Farbschattierungen oder Unreinheiten. Der Gesichtsausdruck war misstrauisch.

      »Ich bitte …«, murmelte Daniel auf die Frage, was er da mache, »… bitte Sie sehr, ich will weiterschlafen, ich bitte Sie.«

      »Was machst du hier?«, fragte der Mann erneut, und: »Wer bist du?« Der Schatten, den er über Daniel warf, schien riesig, jetzt rüttelte er ihn sogar an den Schultern, und Daniel gab ein flehendes Geräusch von sich. »Please …«, murmelte er, »… please …«, und wiederholte in mehreren Sprachen das Wort »Schlaf!«

      Als der andere endlich verstand, dass es sich bei dem Eindringling um einen Ausländer handelte, legte er den Kopf schief, skeptisch, nicht mehr böse, sein Blick wurde weicher. Er blieb aber weiterhin so nah vor ihm stehen, als wolle er ihn nicht aus den Augen lassen. Zwei andere Kerle hüpften ins Boot, sie versuchten, Daniel hochzuziehen und vom Boot zu drängen, aber er wehrte sich, redete auf sie ein, langsam kam er zu sich.

      Man wusste nicht Bescheid, sein Kontakt hatte offensichtlich niemanden vorab informiert, keiner wusste von etwas; auch nicht, als er seinen Namen sagte und erklärte, dass er eigentlich schon vor mehreren Tagen hätte eintreffen sollen, dass sich aber seine Abreise ständig verzögert hatte. Er richtete Bestellungen, Grüße, Nachrichten aus und betonte, dass es um Informationsaustausch ging, vielleicht sogar um eine künftige Zusammenarbeit, nannte noch einige Namen, aber das sagte denen alles nichts. Nach dem fruchtlosen Wortwechsel sprangen die zwei wieder an Land.

      Der Mann, der ihn geweckt hatte und während des Gesprächs stumm daneben gestanden war, fragte nur: »Dann willst du also mit? Um es dir anzuschauen?«, und ging dann ans andere Ende des Bootes. Daniel lag nun wieder in der prallen Sonne und legte sich, halb aufgerichtet, schützend den Arm über den Kopf. Der Tag trug keine Spur des frühen Morgens mehr, es war bereits sehr heiß. Das Motorengeräusch ließ ihn zusammenzucken, er richtete sich noch weiter auf, rieb sich ein paar schmerzende Körperstellen, jetzt war es aber zu spät, um noch vom Boot zu springen.

      Der Mann bediente beiläufig einige Knöpfe, Hebel und Schalter, zog an ihnen, verschob sie, stellte sie anders ein. Das Boot bewegte sich an anderen vorbei. Daniel wartete ab, ob ihm übel würde, und betrachtete seine in Seile und Netze verhedderten Beine. Es dauerte noch, bis er sich wirklich sicher fühlte, dann stellte er sich aufrecht hin, das ging ganz gut, er löste einige Schnüre, die sich in seinem Pullover verfangen hatten.

      »Der Rucksack!«, das fiel ihm jetzt auf. »Der Rucksack ist weg!«

      Es dauerte nur eine Sekunde, bis er verstand, dass er, während er geschlafen hatte, bestohlen worden war, und in dieser Sekunde erfasste ihn unvermittelt ein kalter Schauder. Zunächst dachte er an die schmutzige Wäsche, dann an sein Handy, gleich darauf fielen ihm die Geldbörse und dann der Pass ein, er griff sich an beide Hosentaschen – zum Glück hatte er die eingeschoben, alles da, alles gut! –, sein Notizheft allerdings, dachte er, war futsch, und auch die Infobroschüren, die man ihm beim Briefing letzte Woche überreicht hatte. Das war ihm aber egal, kein Gefühl des Bedauerns kam nach diesem Schreckmoment in ihm auf. Wenn er jetzt an das Telefon, das Heft und die Mappe dachte, war er sogar erleichtert und spürte, dass die Gänsehaut auf seinen Unterarmen bereits vergangen war.

      Weil ihm nach dem kurzen Schock, die Hitze umso mehr zu schaffen machte, zog er seinen Pullover aus und warf ihn aufs Fischernetz. Das Baumwollhemd darunter hing zerknittert und schmutzig an seinem Oberkörper, er stopfte es in die Jeans und krempelte die Ärmel hoch. An seinen Ellbogen war die Haut an manchen Stellen wieder frisch aufgerissen, an anderen noch blutverkrustet.

      Das Geräusch des Motors hatte ein paar Möwen aufgeschreckt, die laut und rhythmisch loskreischten, als riefen sie sich gegenseitig Warnungen zu. Die ganze Zeit über beobachtete ihn der Kapitän, und irgendwann stellten sie sich einander mit Namen, Lächeln und Händedruck vor. »Bakary«, wiederholte der andere mehrmals, nachdem er über Daniels Akzent gelacht hatte, und Daniel ahmte ihn nach, bis er mit der Aussprache zufrieden war. Er erzählte ein paar Witze, lachte und redete, sie wechselten öfters von der Landessprache ins Englische, es ging fast freundschaftlich zu. Das Boot tuckerte aus dem Hafen, an den kleinen Ausflugsbooten, an den Festungsmauern und an der Mole vorbei, weiter hinaus, immer mehr steigerte Bakary jetzt die Geschwindigkeit.

      So also sah die Stadt vom offenen Meer her aus.

      Daniel entdeckte in der Ferne die Küstenstraße, später die kleine Bucht mit der Bar, in der er gestern Abend getrunken hatte. Die Häuser waren winzige Farbpunkte, ocker, rosa, weiß, hinter dem Blau, das zwischen ihm und der Küste lag. Sie waren nicht größer als die über ihnen Kreise ziehenden Möwen. Er hielt sein Gesicht in den Wind und versuchte breitbeinig sein Gleichgewicht zu halten, wenn das Motorboot schwankte.

      Bakary deutete übers Meer hin zur Stadt, kommentierte die Küstenabschnitte, plapperte: Der Strand dort, »einer der schönsten, glaub mir!«, da könne man hingehen und nichts tun als herumliegen, ins Wasser gehen, wieder in der Sonne liegen oder im Schatten unter den kleinen Sonnenschirmen. »Früher jedenfalls!«, oder drüben, noch weiter abseits, »genau dort!«, er deutete auf einen Teil der Stadt, der vom Meer aus wie ein Farbstreifen am Ufer wirkte, nein, »noch weiter links!«, das sei der Industriehafen, der vom Wasser aus nur klein zu sehen war, obwohl er eigentlich riesig sei.

      Als sie sich nach längerem Schweigen wieder etwas dem Ufer näherten, lösten sich die Schatten, die Daniel aus der Entfernung für Spiegelungen von Wolken gehalten hatte, in ein Dutzend kleinerer und größerer Boote auf. Im Hintergrund war ein weiterer Stadtstrand zu erkennen, mit Bars, Duschen und Toiletten, die Farben von der Sonne aufgehellt. Mehrere der Boote gehörten wohl, ihren Farben und Aufschriften nach zu urteilen, zur Küstenwache, andere schienen Ausflugsboote oder private Kähne zu sein. Zwei Gummiboote wurden mitgezogen. Beim Näherkommen konnte er an Deck Menschen ausmachen, die sie zu erwarten schienen. Nicken, Winken, scherzhaftes Salutieren, man sprang zu ihnen ins Boot herüber, man beredete etwas mit Bakary, man wusste ebenfalls nichts von alten oder neuen Vereinbarungen.

      Angeblich war Daniels Kontakt schon seit Wochen nicht mehr in der Stadt.

      Rufe flogen hin und her, Anleitungen und Befehle, die Boote wurden in Formation gebracht, das Netz, in dem Daniel eben noch geschlafen hatte, wurde ausgeworfen, Ziehen, Loslassen, Wieder-Anziehen, es war riesig, die Glaskugeln und Eisengewichte glitzerten in der Sonne, einige versanken, andere schwammen. Menschen in Neoprenanzügen und mit Tauchermasken warfen sich rittlings ins Wasser, und ihr Strampeln hinterließ kleine schäumende Ringe an der Meeresoberfläche. Eines der Boote hatte einen Krahn eingebaut, der mehrfach neu eingestellt wurde, er schien nicht zu funktionieren. Auch aus den anderen Booten warf man kleinere Netze aus.

      An manchen Stellen wirkte das Meer wie von der Sonne durchleuchtet, als wäre es teils weiß, teils türkis gefleckt, an anderen warfen Steinformationen am Meeresboden Kühle und Dunkelheit herauf, und auch die Spiegelungen der Boote schwärzten vereinzelt das Wasser.

      Einige Schwimmer tauchten auf, riefen den anderen etwas zu, eine Frau an Bord des größten Bootes warf ihnen Leinen und Werkzeug zu. Die im Wasser nur noch als Schatten sichtbaren Menschen versuchten etwas mit Händen einzufangen, es festzubinden?, anzuschieben?, die Sicht unter Wasser musste schlecht sein, es dauerte alles seine Zeit. Man spannte Schnüre, dunkel und schwer wurde der Fang mithilfe einer schwimmenden Trage aus dem Meer gehoben, das Wasser bildete glitzernde Perlen, die von Haut und Kleidung tropften.

      Daniel merkte erst nach einigen Sekunden, dass er aufgeschrien hatte; Bakary rief in Richtung der verwunderten Gesichter auf einem nahen Boot: »Er ist neu. Er hat das noch nie gesehen«, und wandte sich danach vorwurfsvoll Daniel zu: »Ich habe es dir doch gesagt.«

      Die anderen nahmen ihre Arbeit wieder