In die Transitzone. Elena Messner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Elena Messner
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783903005976
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unterbrach sich beim Reden mehrmals selbst, um hastig zu trinken, und kniff dabei die Augen zusammen, als ob er sich nur schwer konzentrieren konnte.

      Nachdem er nun doch, wenn auch stockend, zu sprechen begonnen hatte, ließ die allgemeine Neugierde rasch nach. Nur wenige Leute ließen sich von seiner Art zu reden, von seinen langen Pausen und seinem Akzent nicht abschrecken und blieben bei ihm sitzen. Die Frauen waren bald wieder draußen, sie lachten und sangen.

      So leicht war das also?

       ANSICHTEN

      Eine Wendeltreppe aus Stahl führte nach oben, in eine kleine Wohnung über der Bar. Daniel stand in einer Küche, die mit Geschirr vollgestellt war. Durch eine Tür sah er ins Badezimmer, dort waren überall Gläser und Fläschchen aufgestellt, die matt glitzerten, als wären sie mit Schleim oder Öl gefüllt. Nur wenig Licht fiel durch ein kleines Fenster herein, er trat näher und sah auf die Straße. Eine der Frauen, die mit ihm geredet hatten, stieg gerade in einen quer neben dem Lokal geparkten Laster, der über und über mit Sprüchen besprayt war.

      Nat zog ihn ins Wohnzimmer, warf ein paar Bücher und Socken vom Sofa und setzte ihn dorthin. Vor der großen Fensterfront, von der aus man auf die Dächer der Häuser gegenüber schaute und dahinter das Meer im Dunkeln erahnen konnte, stand ein breiter Abstelltisch. Er entdeckte einen großen Haufen Fotografien von Menschen auf Schiffen, die mit geschlossenen Augen auf die Welle warteten und just in der Sekunde, bevor sie ihnen ins Gesicht platschen würde, eingefangen worden waren, Bilder von Ruder-, Segel-, Motorbooten mit Werbeaufschriften, Fahnen in Rot, Blau, Weiß, kleine Gestalten, die unter ihnen herauswuchsen. Immer wieder war Wasser abgelichtet, das gegen Holz, Metall, gegen die gläsernen Windschutzscheiben der Motorboote schlug, viele Schnappschüsse von Menschen, die an Segeln zerrten. Hunderte, wenn nicht Tausende Fotografien musste sie gemacht oder zusammengetragen haben, einige mit dem gleichen Motiv. Sie wühlte in ihnen, deutete auf eine, zog eine andere hervor, tauchte mit beiden Händen in den Haufen, um ein neues Bild herauszufischen, während sie mit ihm sprach, ihn fragte: »Schön, oder?«, auf eines der Fotos deutete: »Fest des Windes«, oder: »Von der Regatta letztes Jahr« und ihm vorschwärmte: »So ein Wochenende hast du noch nicht erlebt«, »Das war vielleicht was«, »Das sieht man einmal und nie wieder.«

      Dabei zog sie ihn kurz an sich. Die enge Berührung tat ihm gut, aber sie sagte gleichzeitig mit strenger Stimme: »Denk bloß nicht, dass alle in der Stadt mit unserem Aktionsplan einverstanden waren. Viele haben uns im Stich gelassen und sind in den letzten Wochen einfach ausgereist.«

      Nach einer Pause ließ sie ihn wieder los und führte die Bierflasche an die Lippen: »Was ja nichts Neues ist«, fast pfiff sie den Satz in ihr Bier, zog weitere Fotografien hervor, scheinbar wahllos, aber jedes Mal war doch etwas darauf zu sehen, was sie ihm zeigen wollte. Eine Serie schob sie achtlos beiseite: Sie zeigte eine Frau, die sich ein schwarzes Tuch um den Kopf geknotet hatte, sich damit zugleich den Mund verband. Dieselbe Frau auf anderen Fotos, wie sie sich – offensichtlich am selben Tag – das Tuch um die Augen gebunden oder um den Hals gelegt hatte und eine Grimasse schnitt, als wäre sie am Ersticken. Sie stand an einem Hafen, auf manchen Fotos war im Hintergrund eine Menschenmenge zu sehen. Mal hatte sie sich das Tuch um die Schultern gelegt und lächelte, mal hielt sie es in der zur Faust geballten Hand.

      Als Nat bemerkte, dass Daniel gerade diese Bilder genauer betrachtete, hielt sie inne und meinte: »Das ist Marguerite Tassioni. Musst sie unbedingt kennenlernen, wenn dir an Kooperationen gelegen ist. Die sieht recht daneben aus, ist sie aber nicht.« Dabei deutete sie auf eine Nahaufnahme, auf der die Frau das Tuch in den Wind hielt, eine kleine schwarze Fahne, im Hintergrund das Meer. Andere Fotos zeigten sie als schmalen Strich in einer Menge, umringt von Menschen, und dahinter Boote, die im Hafen lagen.

      Sie stand auf, holte und öffnete ein zweites Bier, obwohl sie das erste noch nicht ausgetrunken hatte.

      »In letzter Zeit sind viele weggegangen. Und du kommst uns also besuchen?«

      Jetzt gingen die Fragen wieder los, ähnliche wie die, die ihm die Menschen unten im Lokal gestellt hatten: Wie er hergekommen sei, ob er zu Fuß unterwegs sei, ob sie ihn an den Grenzen einfach durchgelassen hätten. Hatte sie ihm nicht zugehört, als er den anderen schon so vieles zu erklären versucht hatte? Sie fragte immer weiter, drängte ihm das geöffnete Bier auf: »In der Nacht gereist? Und den ganzen Tag? In der Hitze?«

      Bevor er antworten konnte, lachte sie über die Nahaufnahme eines vom Kreischen verzerrten Kindergesichtes, das von einer Welle erwischt worden war, und er ahnte, dass sie ihm keine echten Fragen stellte, nur höflichkeitshalber vorgab, etwas über ihn erfahren zu wollen, denn zu Wort ließ sie ihn nicht wirklich kommen. Als sie sich einen Joint drehte, bot sie ihn auch ihm an, er lehnte ab. Sie deutete wieder auf ein Foto. Darauf war ein Surfer zu sehen, der ins Wasser gefallen war und sich an seinem an der Meeresoberfläche schwimmenden Segel festhielt. Die Fotografin hatte genau in dem Moment abgedrückt, als er auftauchte und Wasser spuckte.

      Noch einmal servierte sie ihm kalten Couscous und Käse und fragte, ob er einen Kaffee dazu wolle. Er nickte.

      »Echten Kaffee gibt’s nicht, nur Pulver. Willst du?«

      Er schüttelte den Kopf, sie zuckte mit den Schultern: »Dann eben nicht.« Und gleich darauf sagte sie, sie sei müde.

      Vor der Haustür standen sie kurz herum, sie redete, er schulterte den Rucksack, sie küsste ihn auf beide Wangen, erklärte ihm den Weg in die Innenstadt, steckte sich dabei eine Zigarette in den Mund und redete nuschelnd weiter darüber, wie er am besten zum Hafenamt käme, wobei sie noch sagte, dass er überall schlafen könnte, denn viele Häuser stünden leer.

      Den Weg zur Küstenstraße fand er leicht, dankbar für das Halblicht, das den Morgen ankündigte.

      Wo er auch hinsah, saßen Männer auf der Straße – sofort war er sich sicher, dass es die Hafenarbeiter sein mussten, über die so viel in der europäischen Presse geschrieben worden war. Ihre Blicke waren ihm unangenehm, sie sahen ihn mit eingeübtem Gleichmut an und wirkten gebrechlich, waren wahrscheinlich schon pensioniert oder nach jahrzehntelangem Schuften früh gealtert. Er ging an einem Monument vorbei, zu dessen Füßen besonders viele saßen, ein Triumphbogen für die Orienttruppen im Großen Krieg, dahinter der blaue Abgrund, das Meer. Die Männer hockten auf den Bänken unter den steinernen Figuren, die im Morgenlicht wie erstarrte Schatten aussahen, Daniel musste die Augen schließen; vom Blick in die Sonne, die hinter den Dächern hervorkam, wurde ihm schwindelig.

      Jetzt nicht schon den ersten Fehler begehen, der dann den nächsten und wieder nächsten nach sich ziehen würde.

      Das Gemurmel klang kehlig, tief aus dem Hals hervorgepresst. Zwar sahen die Männer, zumindest empfand er das so, alle gleich aus mit ihrer dunklen Haut, aber im Vorbeigehen merkte er, dass sich hier mehrere Sprachen mischten. Waren das Nordafrikaner, Italiener?, Spanier?, Griechen vielleicht? Sahen in Makrique alle alten Männer so aus? Die Gesichter blieben weiterhin auf ihn gerichtet, sie sahen ihm von den Sitzbänken aus zu, einer deutete mit seinem Spazierstock auf ihn und schüttelte den Kopf. Sie beobachteten ihn, nippten an ihren mitgebrachten Teebechern. Als wären sie einfach sitzen geblieben in ihrem Ruhestand, der vielleicht nicht gerade großartig war, so als Lebensabschnitt, danach kam ja nicht mehr viel, der aber sicher auch viel schlimmer hätte sein können, und außerdem: Das Leben davor konnte auch nicht viel besser gewesen sein. Auf staubigen Autobahn-Baustellen und in Bussen, das Übliche, man kannte das ja, auf Gerüsten und in Kränen, ständig mit dem Ziel, etwas zur Seite zu legen, damit man bald nach Hause zurückkehren konnte, und dann war man dennoch in dem Blech oder Beton der Arbeitersiedlung geblieben. Anfangs das Übermaß an Arbeit, das späte Nachhausekommen, und jetzt das Übermaß an freier Zeit, das Sitzen vor dem Glas Tee, vielleicht ein Domino- oder Kartenspiel, ein Spaziergang entlang der Küstenstraße.

      Die Alten waren wirklich überall, und das um diese frühe Uhrzeit schon. Sie wirkten anders als die Uniformierten, die er in der Bar kennengelernt hatte, diese von Alkohol und Witzen aufgeblasenen Kerle, die sich ständig auf die Schultern und den Rücken geschlagen hatten, dabei die weit offen stehenden Münder in ihren Gesichtern. Mit Ausnahme des großen Schwarzen,