In die Transitzone. Elena Messner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Elena Messner
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783903005976
Скачать книгу
Hosentasche. Die andere sah zu, schüttelte den Kopf, meinte zu ihrer Freundin, dass sie den Jungen nicht ausrauben solle: »Der kommt sonst nicht wieder«, daraufhin warf ihm die Erste genervt eine weitere Packung zu, ließ sie hoch durch die Luft fliegen: »Zufrieden?«

      Er reagierte zu langsam, die Zigaretten fielen zu Boden, und er musste sie aufheben.

      Wie konnte man so schmutzige Hände haben?

      Die Frauen versuchten, den Mann zum Lachen zu bringen, sagten ihm immer mal wieder ein paar Schmeicheleien und Schweinereien. Zwischendurch ignorierten sie ihn und redeten nur miteinander. Andere Gäste kamen, und sobald sie den Jungen entdeckt hatten, sahen alle zu ihm herüber. Die Frauen, die ihn als Erste gesehen hatten, bauten aber mittlerweile mit ihren Körpern eine Art Mauer um ihn auf, und es war nicht klar, ob dies seinem Schutz dienen oder ihn mit Gewalt in ihrer Mitte halten sollte.

      Ein Mann mit Gitarre kam ins Lokal, spielte ein Lied, die Musik aus den kleinen, scheppernden Lautsprechern war verstummt, und es war ruhiger geworden.

      Mehrere Uniformierte waren durch den Lokaleingang zu sehen, sie drängten sich auf der Straße, kamen dann ebenfalls herein, scherzten mit einigen der Frauen, die sie zu kennen schienen. Sobald sie ihnen den Rücken zuwandten, verdrehten diese die Augen, eine sagte flüsternd zu ihrer Freundin: »Mit einem von denen, würdest du?« – »Sicher nicht, und wenn er’s mir zahlen würde.« Sie lachten, stießen sich gegenseitig an; eine sagte zu dem jungen Mann, der sie beobachtet hatte: »Das Klo ist da hinten.«

      Die zu einem Haufen zusammengedrückten Schleifpapierstücke, die er in der kleinen Toilette im Nebenraum vorfand, waren unbrauchbar, feiner Sand bröselte aus der rauen Oberfläche des nass gewordenen und danach getrockneten Papierklumpens, als er einige Schichten voneinander zu lösen versuchte. Durch die dünnen Wände und das kleine Klofenster hindurch war die Gitarrenmusik zu hören. Die Spülung im Klo war falsch eingestellt, er wurde mit Wasser bespritzt, wusch sich lange die Hände, ging zurück in den Gastraum, da applaudierte man gerade heftig: »Bravo, bravo!« Der Gitarrist ging wieder nach draußen, stellte sich etwas abseits, hin zu ein paar jungen Frauen, die mitsangen, während eine immer wieder ausrief: »Schön ist das, als ob es dir die Brust und dahinter das Herz zerreißt.«

      Es gab sofort viel Gerede, als der junge Mann seinen Platz am Tisch wieder einnahm. Einer der Uniformierten, ein hochgewachsener, schwarzer Mann, der als Einziger nüchtern schien, sah zu dem Neuen herüber, aber der merkte es zunächst nicht, es waren schon viele Blicke auf ihn gerichtet, und die Leute prosteten ihm von überall her zu.

      Eine der Frauen schenkte ihm nach, fragte: »Heute erst in der Stadt angekommen?«, und es folgten Zurufe und Fragen, die sofort weitergetragen wurden: »Neu in Makrique?« – »Das ist ja was.« – »Daniel heißt er.« – »Wie?« –»Daniel.« – »Ist der wirklich neu in der Stadt?« – »Was macht er hier?«

      Der große Mann in Uniform hatte, als er den Namen des Fremden mitbekam, ein, zwei Schritte auf sie zu gemacht. Sein Ton vertrieb sofort ein paar der Frauen, als er fragte: »Auf Durchreise, Daniel?« Er wartete kurz und schob dann nach: »Bleibst du, Daniel?«

      Etwas in seiner Stimme oder etwas in seiner Frage klang hart nach, außerdem betonte er den Namen des Fremden zu stark.

      Der Angesprochene sah sich um, oder eigentlich sah er bloß weg vom Mann, und da war ein plötzliches Misstrauen, mit dem ihn viele betrachteten. Der Schwarze fragte wieder nach, diesmal auf Englisch: »Passing by?« Er wartete, probierte andere Phrasen: »Staying? Just Passing? Going through?«, und noch einmal: »Do you stay?«, sprach in der Landessprache weiter: »Warum bist du gekommen?«, bis endlich eine kurze Antwort kam, etwas in der Art wie: »Ich soll es mir ansehen«, auch die Worte »Information« und »Zusammenarbeit« fielen, und dann noch: »Küstenwache« und »Hafenamt«, was wieder Gemurmel und Gerede auslöste: »Schscht, der redet so leise.« – »Verstehst du ihn?« – »Hey, Kleiner, verstehst du uns? – »Versteht ihn irgendwer?« – »Sollen wir langsamer reden?« – »Understand?« – »Lasst ihn in Ruhe!«

      Der Uniformierte beugte sich weit hinunter, schob seinen kahlrasierten Kopf vor den des Fremden und forderte ihn wie zur Strafe, weil er weiterhin keine eindeutige Antwort gab, auf: »Zeig uns deine Papiere.«

      Kurz gab es einen Aufruhr, dann Scherze und Lachen, der Schwarze wurde zur Seite geschoben, während er feierlich, als hätte er diese Entdeckung als Erster gemacht, verkündete: »Hmnagut. Der versteht nicht gut, ist neu in der Stadt. Er hat hier etwas zu tun.« Seine Stimme war nun fast besorgt, als täte es ihm leid, dass er zuvor einen falschen Ton angeschlagen hatte.

      Das machte die Sache auch nicht mehr gut, Daniel war verunsichert, während ihn einige weiter ausfragten: »Kommst du aus Überzeugung?« – »Kennst du jemanden hier?« – »Gefällt dir, was der neue EU-Kommissar beschlossen hat?« – »Was interessiert dich an Makrique?« Er zuckte als Antwort auf alle Fragen nur mit den Schultern oder sagte ab und zu etwas Ausweichendes.

      Er fühlte sich schon erschöpft, bevor er richtig angekommen war. Warum fragten sie ihn gleich solche Dinge, offen und aggressiv? So wie sie schnatterten, blieb kein Platz für ein echtes Gespräch.

      Aber sie ließen ihn nicht in Ruhe, es ging ständig so weiter, und alles, was er widerwillig über sich erzählte, wurde multipliziert und diskutiert: »Er ist nur auf Besuch?« – »Auf Besuch ist er!« – »Kooperation sagt er.« – »Na, dann.« – »Du willst wirklich in der Stadt bleiben?« – »Der will bleiben und mittun.« – »Gefällt’s dir bei uns in Makrique?« – »Das Meer mag er!« – »Aus dem Norden? Ihr habt doch auch im Norden Zugang zum Meer.« – »Ich geh nur noch ans Meer, um mich auszufurzen.« – »Deswegen ist er gekommen?« – »Er meint doch wegen der Meeresgrenze.« – »Hab’s nicht verstanden.« – »Er sagt, Makrique taugt ihm.«

      Auf jeden Kommentar folgte zumeist noch eine Beleidigung oder ein Schimpfwort, an niemand Bestimmtes gerichtet, sondern an die Anwesenden insgesamt. Die waren zueinander nicht gerade höflich, warum sollten sie es dann zu ihm sein, tröstete er sich selbst.

      Die Besitzerin stellte sich neben ihn, stand mitten im Geschnatter und den Rufen, holte eine zerknitterte Visitenkarte aus ihrer Hosentasche: »Nimm!« Auf der schwarzen Karte war in pinker Kursivschrift ihr Vorname geschrieben, Nathalie, darunter in Gelb einige Zahlen und in Blau eine Adresse, all dies war durchgestrichen worden, darüber handschriftlich ein anderer Straßenname und andere Zahlen eingefügt. Daniel steckte die Visitenkarte ein.

      Der Uniformierte hatte sich endlich weiter abseits hingestellt, er nickte ihm aus der Entfernung mehrmals aufmunternd zu, merkte dabei genau, dass seinem Blick ausgewichen wurde, und rief durch den Raum: »Nat, du solltest Tassioni Bescheid geben!«

      Ihre Antwort blieb knapp, über mehrere Köpfe hinweg: »Die wird es schon noch erfahren«, aber der Schwarze schrie, wieder nur an sie gerichtet, als sei der, um den es ging, gar nicht da: »Wissen Malika und Hakim schon von ihm?«

      Auch diesmal blieb Nat kurz angebunden: »Die Mokaddems werden es herausfinden, wenn sie es herausfinden.«

      Die Fragen gingen derweilen weiter im Kreis, richteten sich an alle und an den Neuen: Wie er die derzeitige Situation in Europa einschätzte, was er von der Welt dachte, in der sie leben mussten, warum er allein, ob er überhaupt allein hergekommen war?

      Immer wieder wehrte Daniel die Fragen der Umstehenden lächelnd ab und sagte mehr als einmal: »I’m just visiting«, und dann später etwas Gegenteiliges, als sei er sich selbst nicht sicher. Auch zuckte er weiterhin mit den Schultern und versuchte, nicht zum Uniformierten hin zu schauen, der ihm zuzwinkerte und dreimal eine Geste wie zum Gruß – oder als Warnung?, als Drohung? machte: Er tippte sich mit zwei Fingern an die dunkle Stirn, formte mit dem Mund den Namen: »Daniel«, und deutete mit beiden Daumen nach oben.

      Wie konnte es sein, dass sie einfach nicht von ihm abließen?

      Seine Antworten blieben recht allgemein: dass er aus dem Norden gekommen war, dass die Lage sich auch bei ihnen nicht verbessert hatte, aber auch nicht verschlechtert, dass er mit der lokalen Küstenwache seit Längerem in Kontakt war. Er nannte einen Namen, niemand reagierte darauf. »Zwecks