Er steht im Seitenschiff. Er blickt auf den Volksaltar. Der Hauptaltar mit dem Tabernakel und dem unsichtbaren Allerheiligsten ist verdeckt. Das Predigtpult ist aber sichtbar. Ihm gegenüber, vor der Abschrankung des Hauptaltars, ist die Grafenbank, reichgeschnitzt, mit hoher Lehne. Meist ist sie leer. Er sieht auch noch die vordersten Bankreihen des Hauptschiffs. Einer kommt den Mittelgang herauf, mit noch mehr Verspätung als er, man hört seine Tritte durch den Kirchenraum hallen, es ist immer derselbe, mit forschem Schritt, kerzengerader Haltung, den Kopf erhoben, mit blitzenden Augen, nicht links, nicht rechts blickend, als würden die Kirchgänger um ihn herum nicht existieren – und gerade dadurch wird deutlich, dass sie für ihn existieren, ja, dass er für sie – gegen sie – seinen Auftritt zelebriert, die steife Haltung angenommen und die schwarze Tasche mitgenommen hat, die mit ihm, streng in seiner Hand schwingend, das Hauptschiff heraufkommt, bis vor die erste Bank, neben der er niederkniet, sich mit großer Geste bekreuzigt, sich wieder erhebt, auf dem Sitz hineinrutscht, die Tasche abstellt und aufrecht sitzen bleibt, den Blick pfeilgerade nach vorne gerichtet: Eigentlich würde ihm ja das gräfliche Gestühl zustehen.
Ganz anders er. Er huscht herein und stellt sich an den Rand. Zu Franziskus in seiner Mönchskutte. Der steht an der Seite des Bogens auf einem Podestchen und blickt auf ihn nieder. Unerschütterlich fest steht der Heilige, während er das Gewicht von einem Fuß auf den anderen verlagert, in gemessenem Tempo; er ist ja kein Zappelphilipp. Er ist ja in der Nähe des Allerheiligsten. Er soll stillhalten und in Andacht versinken. Die Feuchtigkeit kriecht aus dem Boden und aus den Wänden in ihn hinein. Er friert. Er wechselt das Bein. Satzfetzen aus der ersten Lesung dringen zu ihm. Er ist mit seinem Kopf woanders. Er kämpft gegen seine Gedanken. Umsonst. Der Pfarrer und die Ministranten wechseln nach vorne zum Volksaltar. Die Zweierbank wäre frei, doch er bleibt stehen.
Er war selber Ministrant gewesen. Hat mit den Schellen geklingelt. Geld eingesammelt mit dem Klingelbeutel. Wasser und Wein in den Kelch des Pfarrers geschenkt. Nur wenig Wein, weil der Pfarrer zuckerkrank ist. Der sieht mit jedem Jahr bleicher aus, seine Gesichtshaut ist nicht mehr gelblich, sondern gelb. Anfangs war er gern Ministrant gewesen, selbst wenn er immer Angst gehabt hatte, etwas falsch zu machen, nicht an der rechten Stelle zu klingeln oder zu spät niederzuknien. Mit der Zeit wusste er alle Gänge während der Messe, wenn er sie auch nicht immer richtig machte, weil er mit den Gedanken woanders war. Der Messdienst begann ihn zu langweilen. Doch er wagte nicht, mit dem Ministrieren aufzuhören. Erst als er ins Gymnasium kam und mit dem Frühzug in die Landeshauptstadt fahren musste und also einen Grund hatte, traute er sich. Er ging von da an sonntags immer noch durch den Seiteneingang in die Kirche, doch ohne schon eine Viertelstunde vor Messbeginn hinter der Sakristeitür zu verschwinden in einem ungelüfteten Raum, der muffelig roch nach feucht-kalten Gewändern. Beim Überstreifen des Ministrantenhemds hatte er sich oft verheddert. Er schämte sich dafür, dass der Messner ihm helfen musste – wie dem Pfarrer.
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