Nicht weniger hinterlistig war die Reaktion auf mein Interview mit Frau Dr. Aslan in Bukarest. Die rumänische Ärztin war in den Siebzigerjahren bekannt für ihre Verjüngungskuren, berichte von ihren Erfolgen und ihren berühmten Patienten, darunter viele noble Araber, und schenkte mir zum Abschied Shampoo. Wolli konnte die Publikation des Interviews nicht verhindern, erzählte jedoch, ich hätte in Bukarest Heilung von meinem Krebs und meinen Depressionen gesucht und viele Medikamente bekommen. In Wahrheit war ich kerngesund, den Kehlkopfkrebs hatte Wolli, der zwei Jahre später starb. Hat ihn vielleicht die Krankheit unleidig gemacht? Ich weiss es nicht, aber ich weiss nun, was Mobbing anrichten kann.
Unsere Zusammenarbeit endete sehr schnell, ich übernahm die Reiseredaktion der Weltwoche und einiger anderer verlagseigener Zeitungen. Susanne Speich brillierte wieder als Starreporterin und heiratete einen zweiten Mann, diesmal keinen Journalisten, sondern einen Berufsmilitär, mit dem sie eine weitere Tochter bekam. Zudem nutzte sie ihre organisatorischen Fähigkeiten und ihre vielfältigen und guten Beziehungen zum Aufbau einer eigenen Agentur für kulturelle Belange. Das klappt nun schon seit mehr als zwanzig Jahren. Sie gründete ein privates Fernsehen, das sie einige Jahre später zu einem guten Preis verkaufen konnte, veranstaltet Kunstausstellungen im In- und Ausland, betreut Autoren und Galeristen, gestaltet Vernissagen und manches mehr.
Mit dem Glamour der Schönen und Reichen hatte ich wenig Kontakt. Mein Zielpublikum waren Künstler, Galeristen, Reiseveranstalter, Schriftsteller, Politiker, Hoteldirektoren etc., mein Anliegen, Fachauskünfte gemischt mit persönlichen Bekenntnissen zu bekommen. Eine Starreporterin bin ich nie geworden, doch ich konnte öfters mit ehrlichem Interesse, ordentlichem Wissen und vielen Erfahrungen punkten, kurz, ich habe mich auch ohne Dior und Chanel im Pressedschungel recht gut durchgemausert. Selbst drei königliche Hände durfte ich schütteln; die des weltmännischen spanischen Königs in Madrid anlässlich eines grossen Sportanlasses, die des bescheidenen Schwedenkönigs in Stockholm bei einer Tourismus-Promotion und die des legendären Negus in Addis Abeba bei der Einweihung des Hilton. Einen Dress-Code gab es nur in Äthiopien: Die Damen mussten einen weissen Hut tragen. Meiner ruht vielleicht noch immer in einer Prunkvase.
Fazit: Wieviel hat die Schönheit zu Susannes Karriere beigetragen? Ich denke, kaum mehr als zehn Prozent, den Rest machten Susannes sicheres Auftreten, ihr guter Geschmack, ihr Fleiss, ihre Intelligenz und ihr Schreibtalent. Schönheit war für sie nie mehr als ein Accessoire, das man im Beruf geschickt nutzen kann, von dem man jedoch nicht den Märchenprinzen oder andere Wunder erwartet. Auch eine etwas weniger hübsche Susanne hätte ihre Karriere gut gemeistert.
Die Ballade vom schönen Schmetterling
Meine Freundin Gabriela war ein Glückskind: Geboren mit einem silbernen Löffel in der Wiege, umgeben von einer exquisiten Verwandtschaft, Geld im Überfluss, Ausbildung in feinem Internat am Genfersee und ebenso feinem Collage in Oxford, Kunst- und Sprachstudien an besten Adressen in Europa, Foto- und Video-Kurse in den USA. Nicht genug der Himmelsgaben, Gabriela war auch schön: anmutige, etwas puppenhafte Gesichtszüge, kupferrote Lockenpracht und sanftes Mona-Lisa-Lächeln, dazu vielseitige Begabungen. Sie lernte Sprachen im Flug, redete fachkundig über Musik, fotografierte fast professionell. Äusserlich gesehen entsprach sie ziemlich weitgehend dem Idealbild, das in den Siebzigerjahren von den Frauenzeitschriften hochgejubelt wurde: hübsch, fraulich gebildet, gehobener sozialer Status, bei Heirat unbedingt gute Partie. So lesen wir in «Ganz Annabelle – eine Zeitschrift als Freundin»: «Die Annabelle offerierte eine bestimmte Sicht der Eigenschaften und Aufgaben, der Lebensziele und der Lebenserfüllung, Eigenschaften und Aufgaben, welche eine richtige Frau haben soll. Und die Annabelle lebte vor, wie sich Weiblichkeit und im weiteren Sinn auch Häuslichkeit über Zeichenträger wie den Körper, die Kleidung und die Wohnung symbolisch ausdrücken lassen. Das Spezielle war, dass sie die entsprechenden Verhaltungsweisen zu popularisieren suchte. Schönheit, Bewegung, gute Formen in sämtlichen Lebensbereichen pflegte sie mit dezidierter pädagogischer Grundhaltung. Disziplin, ja Selbstzucht führte laut Annabelle zum Erfolg als Frau. Zu diesem Erfolg gehörten ein gepflegtes Äusseres, Liebenswürdigkeit und jene schöne Häuslichkeit, in der sich Mann und Kinder wohl fühlen. Hinter einem richtigen Annabelle-Leben stand ein zutiefst bürgerlicher Habitus, wie ihn die Chefredakteurin Claudine verkörperte.»
Die Reportagen «So lebt die Schweiz», für die auch ich als junge Journalistin Beiträge lieferte, zeigten im Detail, wie es geht. Die zu portraitierenden Familien wurden von Claudine ausgewählt und gaben stets ein ähnliches Bild ab: Adrette, fein gestylte Dame, Ehemann in hoher Position und mit üppigem Einkommen (Chefarzt, Bankdirektor, Juwelier, Top-Grafiker, Geschäftsmann etc.) zwei oder drei wohlerzogene Kinder, gepflegtes Haus, Swimming Pool und Hund. Ganz selbstverständlich, dass die Mustergattin gut kochen konnte, gerne den Garten pflegte, oft Gäste empfing, sich für Mode interessierte, sportlich war und kulturelle Hobbys pflegte. Hinzu gehörte gelegentlich auch eine ausserhäusliche Tätigkeit, zum Beispiel Mitarbeit in einer Galerie oder einer Boutique, dies allerdings meist nur auf Sparflamme. Irgendwelche Mängel am Bilderbuchglück mussten verschwiegen werden. Niemals hätte ich erwähnen dürfen, dass eines der Kinder Schulschwierigkeiten hat, der ganze Haushalt von Hilfskräften besorgt wird oder gar, dass der Mann zur Freundin gezogen ist. Ebenfalls verschweigen musste ich alles Unschöne wie unmodische Strickjacke oder zu wenig Zeit für die Familie. Die Erwähnung eines trockenen Kuchens wurde von Claudine ebenso gestrichen wie das Geständnis, die Galerie könne nur dank grosszügiger Unterstützung des Mannes überleben.
Ohne gut gepolstertes Bankkonto aber ging gar nichts. Die Frauenvorbilder der Annabelle waren nicht nur hübsch, gepflegt und oberflächlich gebildet, sie waren auch alle wohlhabend. Geld zählte noch mehr als Schönheit, denn mit Geld konnte man laut Kosmetikindustrie die Schönheit kaufen. Ich nannte die Rubrik im Stillen «So lebt die Schweiz nicht.»
Wichtiges Thema in der Annabelle war die Schönheit oder genauer die Kosmetik, denn die Kosmetikindustrie gehörte zu den wichtigsten Inserenten. Wir hatten stets ganze Berge von Lippenstiften, Lotions, Nacht,- Tag-, Falten- und Handcremes, Wimperntuschen, Puderdosen etc. in der Redaktion herumliegen und wöchentlich kam Neues. Noch erfreulicher waren die Presse-Einladungen. Ein Lunch bei Maxim in Paris, ein Weekend in Monte Carlo oder ein Empfang bei einem Schlossherrn durfte es gerne sein.
Schönheit ist ein Milliardengeschäft, Schönheit und Geld können bei einer Frau wie Gabriela manche kleine Mängel überstrahlen. Die Glamourfrau schaffte nie einen Schulabschluss, hat nie einen Beruf ausgeübt, brauchte weder sie noch die Annabelle- Frauen. Ihre Ehe mit einem deutschen Baron erwies sich als Irrtum, Kinder hatte sie keine und eine gute Hausfrau war sie schon gar nicht. In ihrer Villa herrschte Chaos, Bücher und Fotos lagen überall herum, das Silberbesteck bewahrte sie in Schuhschachteln auf und neue Kleider packte sie manchmal gar nicht aus. Unordnung störte sie nicht, Unordnung konnte sie sich wie vieles andere leicht leisten. Vielleicht genoss sie das Durcheinander von schön und hässlich, kostbar und banal, sah darin das Markenzeichen eines ganz besonderen Wesens. Entschuldigt für die Unordnung hat sie sich jeweils mit lässiger Fröhlichkeit zum Beispiel: «Der Mann, der aufzuräumen versprochen hat, ist momentan beim Golfen in Südafrika, da muss ich eben warten.» (Mir krabbelte es in den Fingern, ich hätte die chicen Blusen gerne selbst in den Spiegelschrank gehängt, doch das wäre wohl schlecht angekommen.)
Kennengelernt habe ich Gabriela an einer Vernissage, wo sie eigene, recht originelle Fotos zeigte. Sie hatte beim Spazieren auf Grossveranstaltungen ihre Kamera laufen lassen, später aus vielen tausend Bildern die interessanten und attraktivsten ausgesucht und zu einer Schau zusammengestellt. Das Resultat war ungewohnt, ebenso die Organisation. Um den Besuchern den Kunstgenuss zu versüssen, gab es Schokoladentorte, es waren Vertreter weltbekannter Galerien und Museen eingeladen, die natürlich nicht kamen, es fehlten